Das Kreuz mit dem Halbmond

Die Islamische Föderation darf in Berlin Religionsunterricht erteilen. Außer den Islamisten selbst ist darüber keiner glücklich.

Nicht nur von Jesus und Maria, sondern auch von Mohammad und Fatma soll künftig an Berliner Schulen die Rede sein. Doch nicht einmal große Multikulti-Anhänger wie Özcan Mutlu, grüner Parlamentarier im Berliner Abgeordnetenhaus, zeigen sich von der Einführung islamischen Religionsunterrichts begeistert, sondern beklagen »Versäumnisse der Schulverwaltung«.

Nicht ohne Grund: Bereits 1987 hatte die Islamische Föderation e.V. den Antrag gestellt, Religionsunterricht an den Schulen anbieten zu dürfen. Schuld daran, dass es bis heute keine anderen Träger gibt, sind nach Darstellung der Schulverwaltung die anderen: »Wir haben jahrelang versucht, die verschiedenen türkischen Verbände an einen Tisch zu bekommen«, behauptet Pressesprecherin Rita Hermanns. Das aber sei erst gelungen, nachdem das Berliner Oberverwaltungsgericht 1998 die Islamische Föderation als Religionsgemeinschaft im Sinne des Berliner Schulgesetzes anerkannt und ihr damit den Weg in die Schulen geebnet hatte. Das Urteil wurde nun vergangene Woche vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt - und wieder war die Behörde von Schulsenator Klaus Böger angeblich machtlos, wie die Sprecherin erklärt: »Nur der Nachweis der Verfassungswidrigkeit der Islamischen Föderation hätte die Zustimmung des Bundesverwaltungsgerichts verhindern können - aber wir haben doch keine Verfassungsschutzabteilung!«

Bisher hatten nur die evangelische und die katholische Kirche ihren Schäflein - anders als in den meisten anderen Bundesländern jedoch auf freiwilliger Basis - Religionsunterricht angeboten. Nach dem Urteil können jetzt auch die 30 000 muslimischen SchülerInnen in Berlin in den zweifelhaften Genuss religiöser Unterweisung kommen. Eine der besonderen Art: Die Islamische Föderation ist für ihre Nähe zur Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs bekannt. So war der Präsident und Imam der Islamischen Föderation, Nail Dural, schon 1979 Vorstandsmitglied und später stellvertretender Vorsitzender von Milli Görüs Berlin. »Rein persönliche Überschneidungen«, wie Burhan Kesici von der Islamischen Föderation betont - freilich ohne zu erwähnen, dass sich der Sitz der Föderation in der Berliner Boppstraße im selben Haus befindet, in der auch eine Milli Görüs nahe stehende Stiftung ihre Büros hat.

Die vom Verfassungsschutz beobachtete Milli Görüs steht der in der Türkei verbotenen islamistischen Wohlfahrtspartei nahe. In einem vom Verfassungsschutz (VS) zitierten Papier wird das »An-die-Macht-Bringen des islamischen Rechts« als »größtes Ziel und größte Aufgabe« beschrieben. Auch die Islamische Föderation steht seit einigen Wochen unter Beobachtung des Berliner Verfassungsschutzes. Dieser verfügt zwar über eine »Reihe von Erkenntnissen, die eine Beobachtung notwendig machen« - doch den Einzug der Islamisten in die Klassenräume dürfte auch er nicht verhindern können: Bis zum Herbst jedenfalls, wenn die Islamische Föderation in fünf Schulen mit ihrem Islam-Unterricht beginnen will, sei nicht mit einer Entscheidung zu rechnen, so ein VS-Mitarbeiter.

Zwar soll noch eine Prüfung der Lehrpläne durch die Schulverwaltung erfolgen, doch auch die wird die Föderation kaum bremsen können. Schließlich gibt sich die Islamische Föderation nach außen liberal und offen. Ghulam Totakhyl vom Islam-Rat - einem bundesweiten Zusammenschluss von 38 muslimischen Verbänden, dem auch die Islamische Föderation angehört - sieht in dem Urteil deshalb lediglich eine Bestätigung der in der Verfassung verbrieften Rechte. Außerdem könnten sich andere Organisationen der Föderation ja anschließen, um den islamischen Religionsunterricht gemeinsam zu konzipieren - »im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens«.

Für Verbände, die mit den Islamisten nicht in Verbindung gebracht werden wollen, ist das Angebot jedoch kaum verlockend: Kenan Kolat etwa, Geschäftsführer des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg, der nach eigenen Angaben ein Drittel der türkischen BewohnerInnen der Stadt vertritt, bedauert die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. In seinen Augen stellt die Islamische Föderation gar keine Religionsgemeinschaft dar, sondern verfolgt politische Ziele. Deshalb, so Kolat, fordere der Türkische Bund auch keinen islamischen Religionsunterricht - sondern trete mit zehn weiteren muslimischen Verbänden für ein Fach »Islamkunde« ein. Staatlich ausgebildete LehrerInnen sollten die Grundlagen des Islams »bekenntnisfrei« vorstellen. Ein Vorschlag, den schon Bögers Vorgängerin an der Spitze der Schulverwaltung, Ingrid Stahmer, gemacht hatte. Doch mit der Einführung von »Islamkunde und Ethik« ist vor dem Herbst 2001 nicht zu rechnen.

Böger indes legte nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine erstklassige Kehrtwende hin. Während er wie die Berliner SPD immer für die Trennung von Staat und Kirche plädiert hatte, will er die beiden nun wieder miteinander verquicken. Die so genannte Bremer Klausel, die die freie Entscheidung über die Teilnahme am Religionsunterricht begründet, gehöre im Abgeordnetenhaus zur Diskussion gestellt, so Böger. Denn ohne die Bremer Klausel könnte der Staat - wie in den Ländern, in denen Religions- oder Ethikunterricht bereits Wahlpflichtfach sind - die Lehrer auswählen.

Dass auch diese Form staatlicher Kontrolle nicht unproblematisch ist, zeigt ein Modellversuch für islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen. Dort ist eine Klage anhängig: Der Zentralrat der Muslime in Deutschland und der Islam-Rat sind der Meinung, dass der Entwurf des Unterrichts durch das Land verfassungswidrig sei. Schließlich habe der Religionsunterricht dem Grundgesetz nach in Absprache mit den Religionsgemeinschaften zu erfolgen.

Kaum besser geht es einem anderen Versuch, die Hegemonie der beiden großen Kirchen in Religionsfragen zu durchbrechen: Im Land Brandenburg wurde vor drei Jahren das Pflichtfach Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde (LER) eingeführt. Nur auf ausdrücklichen Wunsch nehmen die SchülerInnen noch an konfessionellem Unterricht teil - was den Kirchen natürlich nicht passt. Bis zum Bundesverfassungsgericht ist ihre Klage schon gekommen - doch dort ruht sie vorerst. Vor 2001, heißt es in Karlsruhe, sei mit einem Urteil nicht zu rechnen. Vorher will sich auch die Berliner Schulverwaltung nicht auf das Experiment LER einlassen. Bis dahin darf weiter darüber lamentiert werden, was die türkischsprachige Zeitung Hürriyet schon nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts vor anderthalb Jahren klar benannte: »Erlaubnis für Milli Görüs, Religionsunterricht zu erteilen«.