Bauern-Legen für Europa

Die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und Polen gehen voran. Nur Polens Landwirte und Österreich und Deutschland stellen sich noch quer.

Mit einem Besuch zollte der deutsche Herrscher Otto III. am 12. März im Jahre des Herrn 1000 Boleslaw I. dem Tapferen, der mit Schwert und Kreuz die Heiden zwischen Ostsee und Warthe zur Räson gebracht hatte, seine Anerkennung.

1 000 Jahre später wollen die Außenminister Deutschlands und Polens, Joseph Fischer und Bronislaw Geremek, diesen Tag als »symbolischen Anfang der deutsch-polnischen Beziehungen« begehen, hieß es vergangene Woche in einer gemeinsamen Erklärung, die gleichzeitig im Berliner Tagesspiegel und der Warschauer Rzeczpospolita abgedruckt wurde. Zum Millennium »dieser zukunftweisenden Begegnung« werden sich Bundespräsident Johannes Rau und sein polnischer Amtskollege Aleksander Kwasniewski in Gnesen treffen.

So wie damals Otto seinen Boleslaw, so heute Johannes seinen Aleksander: Wer seine Macht über ein Territorium nachweisen kann und unter die gleiche Ideologie stellt, wird in den Kreis der Gleichberechtigten aufgenommen. Doch Ungläubige gibt es heute weder in Deutschland noch in Polen, deshalb funktioniert die Vereinigung Europas »zum ersten Mal seit dem Niedergang des Römischen Reiches nicht mit Waffengewalt, sondern in Anlehnung an gemeinsame Ideale und vereinbarte Regeln«. So zitieren Fischer und Geremek den Präsidenten der Europäischen Kommission, Romano Prodi.

Die Ideale und Regeln sind zwar als gemeinsame benannt, werden jedoch von dem, der anerkennt, vorgegeben - mitsamt der Definition, wann sie denn erreicht seien. Während Prodi schon eine konkrete Antwort auf die Termin-Frage Kwasniewskis gab - bis 2005 -, meinte der deutsche EU-Chefunterhändler Günter Verheugen: »Der Erste, der einem Beitrittsland Versprechungen macht, öffnet die Schleusen.« Die Brüsseler Kommission will die Kontrolle über den Beitrittsprozess behalten, »Genauigkeit und Tempo« miteinander verbinden, wie Verheugen sagt.

In Polen kann es den Regierenden nicht schnell genug gehen. In der großen EU-Debatte letzte Woche im Parlament, dem Sejm, kannte Ministerpräsident Jerzy Buzek keine Parteien mehr, nur noch Beitrittsfans und -gegner. Der Beitritt sei ein »großes nationales Ziel«, bei dem »alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte« an einem Strang ziehen müssten.

»Bis Juli des Jahres holen wir den Integrations-Rückstand auf«, gab sich der Premier kämpferisch. Dafür müssten 150 Gesetze, die das EU-Regelwerk verlangt, den Sejm passieren. Die Bauernpartei PSL und die sozialdemokratische SLD auf den Oppositionsbänken freuten sich, dass sie endlich direkt aufgefordert wurden mitzumachen. Bisher sind zahlreiche Gesetze nur mit ihrer Hilfe durch den Sejm gekommen, da der rechte Flügel der regierenden AWS immer wieder aus dem Fraktionszwang ausschert und gegen Regierungsprojekte stimmt.

Nur die äußerste Rechte will sich nicht beteiligen. Sie hält den EU-Beitritt für Verrat an der polnischen Sache. Jan Lopuszanski von der Verständigung Polens, einer rechten Splittergruppe, nutzte das Wir-Gefühl von Solidarnosc bis Postkommunisten zu einem Tiefschlag: »Wer Polen ausverkauft und die nationale Souveränität verspielt, muss sich vor Gericht verantworten« - und danach »an der Wand«, rumpelte Lopuszanski los.

Andrzej Potocki von der liberalen Freiheitsunion hoffte, mit der letzten gemeinsamen moralischen Instanz »Verständigung« erzielen zu können: Selbst der Papst habe im Sejm die Integration Polens in die EU gefordert. Doch Lopuszanski blieb unversöhnlich. Man solle sich nicht hinter der heiligen Kutte des Papstes verschanzen. Die extreme Rechte setzt auf die Bevölkerung. Im Gegensatz zur Einmütigkeit im Parlament sind nur noch 50 Prozent der Befragten für einen raschen EU-Beitritt. Den größten Widerstand leisten nach wie vor die Bauern.

Nicht ohne Grund. Brüssel ist nicht gewillt, Millionen polnischer Kleinbauern so zu subventionieren wie die eigenen Landwirte. Die EU fordert - natürlich vor dem Beitritt - »Reformen»: Polen soll sich von der Hälfte seiner Bauern trennen. Dies würde jedoch die Umwälzung der kompletten Sozialstruktur nach sich ziehen. Rund ein Drittel aller polnischen Haushalte leben von der Landwirtschaft.

Da die Staatskommunisten in den fünfziger Jahren Agrar-Kollektivierungen wegen Protesten abgebrochen und teilweise rückgängig gemacht hatten, ähneln ländliche und dörfliche Strukturen in Polen immer noch denen der Vorkriegszeit. Familien bestellen winzige Parzellen, die Alten arbeiten auf den Feldern, die Jungen schaffen Geld aus der Stadt herbei. Auf lokalen Märkten wird die Subsistenz gesichert. An Maschinisierung, teuren Dünger und Kredite ist nicht zu denken.

Durch Zusammenfassung - größere Höfe, weniger Bauern - würde man Hunderttausenden die Lebensgrundlage entziehen. Sie müssten in den Städten ihr Glück versuchen und würden die im europäischen Vergleich geringen urbanen Arbeitslosenquoten - im Durchschnitt fünf Prozent - in die Höhe treiben. Für andere wiese der Weg nach Westen.

Doch schon jetzt macht die EU polnischen Bauern das Leben schwer. Direkthilfen und Kredit-Garantien drücken die Preise in Europa. Nur durch die EU-Förderungen sind die West-Artikel billig genug, um nicht nur auf dem polnischen Markt mitzuhalten, sondern auch noch polnische Kühe und Fische langsam vom russischen Markt zu verdrängen.

Zwar würde der Beitritt einigen Bauern wenigstens Geld aus Brüssel bescheren. Dies soll ihnen jedoch vorerst verwehrt bleiben. Der österreichische EU-Diplomat Gregor Woschnagg meinte jüngst, um »gleiche Konkurrenzbedingungen« zu gewährleisten, dürfte der freie Handel mit Agrarprodukten erst dann erlaubt werden, wenn die mittel- und osteuropäischen Länder die Gesundheits-, Tierzucht- und Umweltschutzbestimmungen einhalten könnten. Grenzkontrollen und Zoll würden somit bleiben.

Nicht nur in der Agrar-Frage gilt Österreich als Hardliner bei Forderungen an beitrittswillige Kandidaten. Eine ähnliche Regelung wie für Gänse und Kraut wünscht sich die österreichische Regierung auch für arbeitswillige Menschen mit polnischem oder tschechischem Pass. Der Arbeitsmarkt soll auf absehbare Zeit für Beitrittsländer geschlossen bleiben. Diese Forderung vom Juli 1999, lange vor der Regierungsbeteiligung der FPÖ, fand Unterstützung bei der deutschen Delegation. Und nur dort.

Rund 400 000 polnische Staatsbürger würden auf den EU-Arbeitsmarkt drängen, die meisten davon nach Deutschland und Österreich - so drückten die Österreicher ihre Überflutungsphantasie aus. Und drohten mit dem Rassismus ihrer Volksgenossen: »Die Rechtsextremen gewinnen dann an Einfluss.« Wenn Polen nicht das Recht zur Arbeitsaufnahme in der der EU bekomme, würde man auch Rechte von Deutschen in Polen blockieren und die Möglichkeit zur Expansion des deutschen Kapitals begrenzen, hielt die Rzeczpospolita dagegen.

Als Faustpfand hat die polnische Regierung dafür noch die derzeit beschränkte Möglichkeit von Bodenerwerb durch Ausländer sowie das noch nicht entschiedene Reprivatisierungsgesetz. Bisher sollte nach EU-Vorstellungen und -Recht die Reprivatisierung aus den Beitrittsverhandlungen ausgeklammert bleiben.

Doch Österreich hat sich die Forderungen der deutschen Vertriebenenverbände zu Eigen gemacht. Die EU-Aufnahme müsse von den Verhandlungen zur Reprivatisierung abhängig gemacht werden. »In den Erweiterungsverhandlungen wird sich die Regierung auf die Einhaltung gleicher Rechtsbedingungen für Österreicher und Ausländer und für die Vermeidung von Diskriminierung auf Grund von nationaler Herkunft oder Muttersprache in Fällen der Rückgabe von Eigentum und Privatisierung einsetzen«, hieß es in einem kürzlich veröffentlichten österreichischen Papier, in dem auch die »Einhaltung der Schengener Sicherheitsstandards«, sprich: die Hochrüstung der polnischen Ostgrenze zur Flüchtlingsabwehr, verlangt wird.