Rechts antäuschen, links zuschlagen

Gefährliche Orte XC: Nach dem Aufmarsch der NPD hat Berlins Innensenator festgestellt, dass die Demonstrationsfreiheit das Recht auf besinnungsloses Einkaufen einschränkt.

Wenn es die NPD nicht gäbe, dann müsste Eckart Werthebach, Innensenator von Berlin, sie erfinden. SS-Lieder grölend und Fahnen schwenkend marschierten die Rechtsextremen zum Jahrestag der Machtübernahme Adolf Hitlers durch das Brandenburger Tor. Erstmals seit 1945 ist der extremen Rechten in Deutschland damit die Wiederholung jenes Fanals gelungen, mit dem die NSDAP am Abend des 30. Januar 1933 den Auftakt des nationalsozialistischen Terrors inszenierte. Die Inszenierung glückte auch der NPD: Weitgehend ungestört von linkem Widerstand wurde aus dem lang gehegten Traum vom Marsch durch das Brandenburger Tor Wirklichkeit.

Was Werthebach damit zu tun hat? Dem CDU-Innensenator dient die berechtigte Empörung über die Demonstration der Neonationalsozialisten dazu, sich einen Wunsch zu erfüllen: die Einschränkung des Demonstrationsrechts.

Seit Monaten kämpft der ehemalige Verfassungsschutzchef dafür, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gegen das Recht auf besinnungsloses Einkaufen und auf gut fließenden Straßenverkehr einzutauschen. Kundgebungen am Brandenburger Tor, so argumentiert der Innensenator, würden die Arbeit des Parlaments im nahe gelegenen Reichstag behindern. Als Kronzeuge dient ihm der CSU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Zeitlmann, von dem man sich erzählt, dass er schon einmal zu spät gekommen ist, weil ihm eine Demonstration den Weg versperrt hat.

Ob sich Werthebach durchsetzen wird, ist noch nicht entschieden. Die Änderung des Demonstrationsrechtes ist unter Juristen umstritten. In bisherigen Urteilen wird darauf hingewiesen, dass die Meinungsfreiheit ein besonders hohes Gut darstelle und damit grundsätzlich über das Bedürfnis nach Fortbewegung und Konsum zu stellen sei. Das aber stört den Juristen Werthebach wenig. Er will eine Initiative im Bundesrat anstrengen, um die Möglichkeiten einer Gesetzesänderung zu prüfen.

Von der SPD ist wie immer nicht viel zu erwarten: Längst hat der sozialdemokratische Innenexperte Hans-Georg Lorentz Werthebach rechts überholt und den Vorschlag in den Raum geworfen, den Alexanderplatz zum zentralen Kundgebungsort zu erklären. Dass Demonstrationen in der Regel an Orten stattfinden, die mit dem Objekt der Kritik in Verbindung stehen, stört den Sozialdemokraten wenig.

Die neonationalsozialistische Gruselshow hat Werthebach, dem entschiedenen Kritiker der Kritik, nur genutzt. Die Ankündigung, dass Anmelder von Demonstrationen am Brandenburger Tor künftig mit mehr Auflagen rechnen müssen, garnierte der Innensenator mit dem Kommentar, eine Demonstration von Neonazis durch das Brandenburger Tor werde es auf keinen Fall mehr geben.

Bei anderer Gelegenheit zeigt sich Werthebachs Behörde freilich moderater gegenüber den Rechtsextremen: Einen Überfall der rechten Szene auf einen türkischen Imbiss in Prenzlauer Berg verharmloste der Senator in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der PDS als »mit hoher Wahrscheinlichkeit eine typische Tat der Jugendgruppengewalt, bei der in erster Linie situationsbedingte und gruppendynamische Aspekte tatauslösend waren«.

Schöner hat wohl selten jemand den Begriff Ausländerfeindlichkeit umschrieben. Und im Zweifelsfall tragen tragen ohnehin die Linken die Verantwortung für die rechte Gewalt: »In Prenzlauer Berg dürfte der Anstieg (rechtsextremer Straftaten; A.S.) auf die stetigen Auseinandersetzungen mit den in diesem Bezirk ansässigen aktiven Angehörigen der linksextremistischen Szene und die durch ein alternatives Milieu geprägte Einwohnerstruktur zurückzuführen sein.«

Peinlich also, gerade von einem Verharmloser wie Werthebach ein schärferes Vorgehen gegen Rechts zu fordern und ihm vorzuwerfen, seine Polizei habe bei der Ausformulierung der Verbotsbegründung versagt, die in zweiter Instanz aufgehoben wurde. Werthebachs Konter auf diesen, von liberaler Seite erhobenen Vorwurf lautete ohnehin, die Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichte in Frage zu stellen und künftig ein Mitspracherecht der Exekutive in der Judikative einzufordern.

Einer wie Werthebach, vor dem selbst Charles de Secondat Montesquieu nicht mehr sicher ist, wird im Ernstfall allemal rechts antäuschen und links zuschlagen. Manche Position aus dem rechten Lager ist ihm ohnehin nachvollziehbar: Noch vor nicht einmal einem Jahr lehnte Werthebach das Verbot einer NPD-Demonstration gegen die doppelte Staatsbürgerschaft mit der Begründung ab, er könne dem Ziel der Demonstranten kein fremdenfeindliches Motiv entnehmen. In einer Diskussionsrunde des Berliner Fernsehsenders B 1 brachte den ehemaligen Verfassungsschützer die Tatsache in Rage, dass der Politologe Hajo Funke von der Sehnsucht nach dem starken Mann sprach. Werthebach war die Kritik an diesem Verlangen offenbar fremd: »Was soll das denn heißen, wenn jemand einen starken Mann will?« Dem so Befragten blieb keine Antwort als ein entsetztes »Ich bitte Sie!«

Und auch für die Nation kann sich Werthebach erwärmen: »Wenn jemand sagt, er ist patriotisch, ist er dann gleich Rechtsextremist?« Mit Bedacht hat es Werthebach vermieden, diese Frage auf das Thema der rechtsextremen Demonstration beziehen. Für die Veranstaltung warb die NPD mit dem Bild eines Bulldozers, der die Stelen des Holocaust-Mahnmals, das an die sechs Millionen ermordeten Juden erinnern soll, niederreißt.

Mit ihrem Protest gegen das Mahnmal, das nur zwei Tage vor der Demonstration, dem Gedenktag für die in Auschwitz Ermordeten, eingeweiht wurde, stand die NPD nicht allein da. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und die Fraktionsspitze seiner Partei blieben dem Staatsakt fern, nachdem die Christdemokraten die Errichtung des Holocaust-Mahnmals über Jahre hinweg torpediert hatten. Ein Verbot von Aufmärschen der Diepgen-Extremisten im Roten Rathaus aber hat noch niemand gefordert. So lange das so bleibt, wird auch dem Vormarsch der Rechtsextremen mit juristischen und polizeilichen Mitteln kaum beizukommen sein.