Noch zwei Minuten bis zur Abzocke

Gegen die Gebührenordnung des Internet-Auktionshauses eBay proben die User den Aufstand und aktivieren den alten Community-Geist.

Mit einem harmlosen »Liebe Freunde« begann der am 30. Januar verschickte Newsletter von eBay-Deutschland, einer Filiale des virtuellen Auktionshauses eBay-USA. Er sollte zu einer der größten Protestauktionen in der Geschichte des hiesigen WWW führen. Denn neben ausdrücklichem Lob für die User und der Ankündigung, dass nun bald alles besser, sicherer, überschaubarer und schöner werden würde, enthielt die Mail auch die Ankündigung, dass ab dem 5. Februar Gebühren auf Angebote erhoben werden würden.

Die Community reagierte auf diesen Schritt zur weiteren Kommerzialisierung des an der Börse notierten Unternehmens und unangefochtenen Marktführers empört, auch die nicht-professionellen Gelegenheits-Anbieter, für die die Versteigerung des eigenen Hausrats ein netter Nebenerwerb bedeutet, mochten sich nicht damit abfinden, dass z.B. für ein bei eBay mit einer Mark in die Auktion gestelltes Taschenbuch künftig 25 Pfennig Gebühren pro Anbietungszeitraum (höchstens zwei Wochen) erhoben werden sollen - und dies unabhängig vom tatsächlichen Verkaufserfolg.

eBay hatte es mit der Gebühren-Ordnung tatsächlich geschafft, eine einzigartige Allianz gegen sich zu schaffen. Plötzlich entdeckten pfennigfuchserische Kleinanbieter den früher von Net-Aktivisten und Hackern propagierten Slogan »»Keep the net free« und die Idee, dass nirgendwo die Macht der Verbraucher direkter und wirkungsvoller ausgeübt werden kann als im Netz, machte schnell die Runde. Dazu kommt noch, dass viele eBay-Nutzer sowohl als Käufer wie auch als Verkäufer agieren und deswegen auf zwei Ebenen Druck ausüben können. In den Foren begannen aufgeregte Debatten über die Bildung von Widerstandsgruppen. Erste Protestmails an »e-Pay« wurden schon wenige Stunden später formuliert und als Kettenbriefe verschickt, Unterschriftenlisten erstellt, aber rasch stand fest, dass eBay darauf allein nicht reagieren würde. Zuerst begannen die Großanbieter mit dem demonstrativen Löschen ihrer Auktionen, in einer Stunde konnte man, stellte sich rasch heraus, knapp 300 abschaffen.

Aber wohin dann damit? Als einer der ersten fahndete »Konstantin« nach Ausweichmöglichkeiten für die enttäuschten Ex-eBayer. »Während meiner Suche nach alternativen Auktions-Plattformen landete ich bei auXion, nahm mit den Jungs Kontakt auf und war von deren Arbeit begeistert - eine ziemlich junge Plattform mit viel Idealismus und einem gewaltigen Ausbaupotenzial. Hier konnte man also den Grundstein für die Völkerwanderung legen. Und die geschah dann auch«, sagt Konstantin rückblickend.

Innerhalb von etwas mehr als 24 Stunden meldeten sich 1 600 neue Mitglieder bei auXion an, zeitweilig war wegen eines Server-Ausfalls gleich gar kein Durchkommen. Konstantin, der verhindern wollte, dass die unzufriedene eBay-Community auseinanderfiel, hatte Mails an alle eBay-Foren verschickt, in denen die User noch darüber rätselten, was man denn nun anfangen sollte. »Innerhalb nur einiger Stunden stand eine kleine Protestbewegung.«

Das gerade ein Jahr bestehende auXion.de war der ideale Kandidat für eine freundliche Übernahme. Die Anzahl der Auktionen dort war - gemessen an den durchschnittlich 1,2 Millionen Angeboten und einer halben Million abgegebenen Geboten pro Tag bei eBay, dem größten Internet-Auktionshaus Deutschlands - lächerlich, alles konnte nur besser werden, und deshalb ließ man sich wohl allzugern auf die Forderungen der ehemaligen eBayer ein. Innerhalb von Stunden stellte man die im Forum von den Neuankömmlingen geforderten neuen Kategorien bereit, verbesserte die Zugriffsmöglichkeiten und hielt sich ansonsten zurück. »Wir sagen zu eBay nichts«, erklärte Anja Hollstein von auXion, schloss jedoch für ihr Auktionshaus die Einführung von Gebühren ausdrücklich aus.

In den eBay-Foren wurde nun abgerechnet. Allein durch die Einführung der dreiprozentigen Verkaufsprovision im Herbst verdiene die Firma zwischen 10 000 und 30 000 Mark pro Stunde, außerdem werde eBay ab März massiv Bannerwerbung einführen. Für 1 000 Seitenkontakte werden von den Reklametreibenden in der Regel 80 Mark an die Page-Betreiber gezahlt. Bei eBay, wo jeder Nutzer im Durchschnitt acht Seiten pro Besuch anklickt, würde dies monatliche Zusatzeinnahmen in Höhe von mindestens acht Millionen Mark bedeuten. »Hat so ein Konzern wirklich die Marktmacht, mit seinen Kunden alles zu tun????? Oder sind wir (die Kunden und Geldgeber für eBay) vielleicht doch die stärkeren??? Wenn wir hier nicht reagieren, so werden über kurz oder lang alle Auktionshäuser mit saftigen Gebühren kommen! Wir sind der Markt - wir können agieren.«

Plötzlich meldeten sich jedoch auch Befürworter der neuen eBay-Geschäftspolitik. Sie erklärten, hochzufrieden zu sein, wenn »der ganze Schrott hier rausfliegen würde«, wurden jedoch meistens umgehend als eBay-Mitarbeiter enttarnt, denn sie hatten weder laufende Auktionen noch Bewertungen (pro reibungsloser Transaktion erhalten Käufer und Verkäufer je einen Punkt) vorzuweisen. Einfluss auf die boykottbereiten User konnte man dadurch natürlich nicht erlangen.

Zusätzlich entstanden innerhalb weniger Tage Protest-Webpages. Die meisten sammelten Argumente gegen die neuen Abgaben und boten sich als Versammlungsplatz für alle Opponenten an, für die eBay auch aus sozialen Gründen eine wichtige Plattform war. Sie wurden neben den Foren zu den wichtigsten Informationsquellen, zumal sie regelmäßig die neusten Erfolge im eBay-Boykott meldeten. Täglich rechnet man dort z.B. den aktuellen Rückgang bei den auf der Mainpage der Firma veröffentlichten Auktionszahlen aus: Innerhalb von sieben Tagen waren es schon fast 300 000 Auktionen weniger, ein Minus von zehn Prozent. In einzelnen Bereichen war der Rückgang deutlich stärker, bei »Reise & Sport« nahm die Anzahl der Angebote z.B. um fast 20 Prozent ab, in den Rubriken »Bücher und Musik« und »Film« waren es über 15 Prozent.

Bei eBay betrachtete man den User-Protest noch am letzten Freitag betont gelassen. Pressesprecher Joachim Guentert sah keinen Grund, die Gebühreneinführung zurückzunehmen: »Natürlich beobachten wir die Foren, aber wenn da jetzt Einzelne weggehen, dann ist das doch nur gut. Wir wollen ja die Qualität der Angebote erhöhen, das Surfen auf eBay soll künftig noch mehr Spaß machen.« Wann für sein Unternehmen die Schmerzgrenze erreicht sei, wollte er nicht sagen, bisher könne man mit dem aktuellen Rückgang gut leben.

Allerdings wird sich erst in zwei Wochen, wenn die noch kurz vor dem 5. Februar verlängerten Auktionen auslaufen, zeigen, wie erfolgreich der Protest tatsächlich war - ein weiterer dramatischer Rückgang ist sehr wahrscheinlich.

Bei den anderen Auktionshäusern verzeichnet man dagegen schon jetzt eine deutliche Zunahme der Angebote. Dies, obwohl sich viele Ex-eBayer noch zurückhalten, denn zum einen hofft man noch auf ein Einlenken der Firma, zum anderen ist nicht ausgeschlossen, dass es bald ein selbst verwaltetes Auktionshaus geben könnte. Das könnte www.fair-kaufen.de heißen, die Webpage wird gerade erstellt, der entsprechende Verein soll jetzt gegründet werden.

Die letzten Minuten vor Inkraftsetzen der Gebührenerhöhung wurden im eBay-Forum zum Gemeinschaftserlebnis. Man zählte die Minuten und Sekunden (»Intelligent Inside»: »So, noch 2 Minuten bis zur Abzocke. Ist ja fast wie Silvester hier, nur mit mieser Stimmung«), schrieb persönliche Rückblicke, tröstete, machte Werbung, und dann war sie schließlich da, die endgültige Kommerzialisierung von eBay. Oder, wie der User »ePay-loser« um Punkt 0 Uhr schrieb: »Ich höre sie schon abzocken.«

Aber so ganz fertig sind die ehemaligen eBayer noch nicht mit ihrer Ex-Heimat. Auktionen wie die von »ebaysniper« am Donnerstag voriger Woche werden auch in den nächsten Wochen von eBay noch öfter aufgespürt und gelöscht werden müssen. Dort hieß es: »Zu verkaufen: eBay-Onlineauktionshaus, leicht durchgeknallt, abgehoben und geldgierig, ansonsten manchmal hakelig. Nur noch kurze Zeit. Incl.Versand ab 1 DM