Eierdiebe, aufgepasst!

Die rosa-rote Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern macht Schluss mit der Entkriminalisierung von Bagatelldelikten.

Wer glaubt, in Mecklenburg-Vorpommern gäbe es nur Kühe, Tankstellen und Nazis, täuscht sich. Offenbar gibt es auch jede Menge Einzelhändler, jedenfalls so viele, dass sie angeblich auf eine Schadenssumme von jährlich rund 90 Millionen Mark durch Ladendiebstahl kommen. Das dürfte nur knapp unter dem Bruttosozialprodukt des Landes liegen.

Aber Spaß beiseite: Tatsächlich wird auch in Mecklenburg-Vorpommern geklaut. Zwar nicht mehr als in anderen Bundesländern, aber immerhin so viel, dass die Einzelhändler manchmal schlecht schlafen. Dabei ist die Tendenz im Land für sie durchaus positiv, seit Ministerpräsident und Justizminister Harald Ringstorff (SPD) im Herbst letzten Jahres einen so genannten Eierdieb-Erlass verfügte. Die Bestimmung besagte, dass die Staatsanwaltschaften bei Ersttätern Verfahren einstellen können, wenn der Wert der geklauten Ware unter 100 Mark liegt. Ziel war die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten.

Befürchtungen von CDU-Politikern und Einzelhändlern, dies werde als Einladung zum Ladendiebstahl aufgenommen, werden durch klare Fakten widerlegt. Die Zahl der polizeilich registrierten Ladendiebstähle sank im Jahr 1999 im Vergleich zum Vorjahr sogar um acht Prozent. Und dies, obwohl die Geschäfte der Ladendetektive und Sicherheitsdienste einen wahren Boom erleben.

Nun könnte man meinen, der Erfolg gäbe der Methode der Entkriminalisierung Recht und die SPD/ PDS-Koalition könne sich feiern lassen. Aber in Mecklenburg-Vorpommern ist eben alles ein bisschen anders. Letzte Woche nahm Ringstorff wie aus heiterem Himmel seinen eigenen Erlass mit sofortiger Wirkung zurück und erklärte, dass man künftig um der Abschreckung willen »ein deutliches Zeichen setzen« werde.

So soll vor allem die Strafe für Ladendiebstahl drastisch erhöht werden. Nun muss schon der Ersttäter mit einem ganzen Wochenlohn als Bußgeld rechnen - vorausgesetzt, er wird erwischt. Wer also beispielsweise 3 000 Mark netto verdient, muss dann 700 Mark Strafe zahlen - unabhängig vom Wert des Diebesguts. Wiederholungstäter müssen mit noch härteren Strafen rechnen. Außerdem will Ringstorff in Schwerin und Rostock Sonderdezernate der Polizei für Ladendiebstahl bilden. Formulare zur schnelleren Anzeige von Diebstählen sollen künftig auf der Internet-

Homepage des Justizministeriums abrufbar sein.

Bekanntlich aber regiert Ringstorff nicht allein das karge Land an der Ostsee, auch wenn die Art und Weise, wie er Erlasse produziert und wieder aufhebt, eine solche Vermutung nahe legt. Mit von der Partie sind neben den Sozialdemokraten auch noch die Demokratischen Sozialisten um Arbeitsminister Helmut Holter. Die zeigten sich von der Verschärfung nicht gerade begeistert. Der innenpolitische Sprecher der PDS-Fraktion, Arnold Schoenenburg, kritisierte Ringstorff, weil erstens durch die neue Regelung »keine Verbesserung der Situation zu erwarten« und es zweitens »schlechter Stil« sei, dass der Koalitionspartner vorher nicht einmal informiert werde. Dass die Kritik der PDS so zurückhaltend ausfällt, liegt vermutlich daran, dass der Öffentlichkeit der Fall Caterina Muth noch im Gedächtnis ist. Die frühere PDS-Fraktionschefin im Landtag musste im Januar 1999 zurücktreten, nachdem sie in einem Drogeriemarkt beim Klau einer Wimpernspirale im Wert von 22 Mark 90 erwischt worden war. Nach der neuen Regelung müsste Caterina Muth, die damals monatlich 14 000 Mark Diäten kassierte, als Ersttäterin 3 500 Mark Strafe berappen. Ein stolzer Preis für so ein mickriges Wimpernschmierdings.

Das Possenstück aus Mecklenburg-Vorpommern ist nur ein Beispiel für den widersprüchlichen Umgang mit Bagatelldelikten in Deutschland. Entkriminalisierung hatte die rot-grüne Bundesregierung versprochen. Nicht zuletzt, um die Justiz zu entlasten, die allerorten zwischen Akten unerledigter Verfahren zu versinken droht. Schließlich sind mehr als die Hälfte aller in Deutschland registrierten Strafverfahren Diebstahlsdelikte. Davon ein Fünftel Ladendiebstahl. Glaubt man der Einzelhandelsbranche, werden nur fünf bis zehn Prozent der Taten entdeckt. Zusammengenommen dürfte also der Ladendiebstahl mit Abstand das beliebteste Delikt sein.

Bei der Reform strafrechtlicher Sanktionen geht es im Wesentlichen um zwei verschiedene Ansätze. Zum einen soll eine Strafe in einem größeren zeitlichen Zusammenhang zur Tat stehen als bisher. Zum anderen wird über andere Sanktionsformen nachgedacht, wie etwa Führerscheineinzug. Dass es am Ende tatsächlich zu einem Rückbau der Repression kommt, darf allerdings bezweifelt werden. Bund und Länder sorgen mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen eher für das Gegenteil.

Eine Verschärfung der Strafverfolgung bei Ladendiebstählen gibt es zum Beispiel auch im CDU-regierten Sachsen. Die Polizei hat in einigen Kaufhäusern Aufnahmebüros eigens für Ladendiebstähle eingerichtet. Diebe werden sofort belangt. Gegen Zahlung von 100 Mark wird das Verfahren eingestellt, vorausgesetzt, der Wert des Diebesguts liegt unter 100 Mark und der Dieb ist älter als 18 Jahre. Herta Däubler-Gmelin, Bundesjustizministerin und Sozialdemokratin, lobte ihren sächsischen Kollegen Steffen Heitmann: »Ich sehe mit Freude, dass meine Überlegungen die Anregung zu diesem sächsischen Modell gegeben haben. In der Tat lassen sich meine Vorstellungen zu einer wirksamen, aber bürokratiearmen Sanktionierung von Ladendiebstählen auf zwei Wegen erreichen: durch Gesetzesänderungen, aber auch durch Veränderungen der Praxis.«

Jene Praxis einer schnellen Bestrafung, bei der die Justiz nur noch pro forma beteiligt ist und die Polizei zur Judikative mutiert, stößt dabei auch auf Widerspruch. Allerdings kaum von Links, obwohl diese »Schnellverfahren« eine Einschränkung der rechtlichen Möglichkeiten der betroffenen Täter bedeuten. Die PDS in Mecklenburg-Vorpommern unterstützt das sächsische Modell.

Kritik kommt vielmehr aus dem rechten Lager. Norbert Geis etwa, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, forderte, die Strafgelderhebung durch Polizisten »auf den Müllplatz rechtspolitischer Vorhaben« zu werfen. Und der sozialdemokratische Justizminister aus Nordrhein-Westfalen, Jochen Dieckmann, erklärte: »Wer die Polizei ermächtigt, Ladendiebstahl mit einem Bußgeld zu ahnden, signalisiert den Ladendieben, dass sie nur eine Ordnungswidrigkeit begangen haben. Ladendiebstahl muss Straftatbestand bleiben.« Wenn überhaupt, geht es also um die Entlastung der Justiz, um Entkriminalisierung geht es schon lange nicht mehr.