Angriff der Schlauchboote

In Italien machen Flüchtlingsgruppen mobil gegen die neue Abschiebepraxis.

Für den italienischen Innenminister Enzo Bianco war es ein ausgesprochen schlechter Tag: Gleich am Vormittag sorgten zwei überregionale Demonstrationen in Florenz und Mailand mit jeweils 6 000 TeilnehmerInnen für Unruhe. Selbst in Sizilien demonstrierten in dem kleinen Ort Trapani immerhin 500 AntirassistInnen. Später, am Abend, erreichte Bianco die Nachricht, dass 22 Abschiebegefangenen im sizilianischen Termini Imerse die Flucht gelungen war. Und auch die Meldung, dass im römischen Abschiebelager Ponte Galeria Gefangene ihre Matratzen anzündeten, wird den Innenminister nicht begeistert haben: Der letzte Samstag im Januar war der landesweite Aktionstag gegen die »Zentren zur vorübergehenden Unterbringung«, wie Abschiebelager in Italien beschönigend genannt werden.

Vor allem in Mailand ging es hoch her. Schon im Vorfeld der Demonstration hatten die VertreterInnen der Centri Sociali Ya Basta und Leoncavallo erklärt, dass sie nicht die Absicht hätten, vor den Toren des Haftzentrums Via Corelli Halt zu machen.

Die Demonstranten in weißen Overalls gingen mit den so genannten Schlauchbooten - übereinander gebundenen Lkw-Gummireifen, mit denen man knüppelschwingende Polizisten auf Distanz hält - auf die Polizeiabsperrungen zu. Doch kam es anders als erwartet: Zwar verschoss die Polizei große Mengen von Tränengas und bei den handgreiflichen Auseinandersetzungen gab es zahlreiche Verletzte. Aber bereits nach einigen Minuten wurden die Auseinandersetzungen unterbrochen, um einen Kompromiss auszuhandeln: Eine Delegation von 50 DemonstrantInnen und sieben JournalistInnen betrat das Haftzentrum, wo sie von den Gefangenen mit dem Ruf »Liberta« begrüßt wurden. Schließlich gab Innenminister Bianco die Schließung der Via Corelli bekannt - der Tag endete mit einem unerwarteten Teilerfolg.

Seit 1998 gibt es in Italien die »Zentren für die vorübergehende Unterbringung«. Die damalige Regierung Prodi hatte ihre Einführung im Rahmen des »modernen« italienischen Ausländergesetzes 40/98 durchgesetzt. Auch die Verdi (Grüne) und die Rifondazione Comunista (PRC) hatten dieses Gesetz in der Regierungskoalition unterstützt. Die »vorübergehende Unterbringung« in den Lagern ist offiziell beschränkt auf 30 Tage. Doch in der Praxis wird diese Obergrenze regelmäßig überschritten. Zwei Haftgründe sind vorgesehen: zur Feststellung der Personalien, entsprechend der deutschen Sicherungshaft, oder zur Durchführung der Abschiebung.

Das neue Ausländergesetz, in erster Linie eine Anpassung an die europäische Asylpolitik, brachte enorme Veränderungen. Während zuvor MigrantInnen ohne Aufenthaltsgenehmigung einfach eine Verfügung in die Hand gedrückt wurde, auf der stand, dass sie das Land innerhalb von zwei Wochen zu verlassen hätten, werden nun auch in Italien effektive Abschiebungen durchgeführt.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Gesetz 40/98 der Preis war, den Italien für den Beitritt zum Schengener Abkommen und zur Währungsunion zu zahlen hatte. Die Einführung von Abschiebelagern entsprach dem expliziten Wunsch der deutschen Verhandlungsführung, was man im italienischen Innenministerium bei inoffiziellen Gelegenheiten ohne weiteres zugibt. Den deutschen Ansprüchen dürfte besonders die Einführung der Sicherungshaft entgegenkommen. So werden Bootsflüchtlinge interniert und registriert, die dann gemäß den Verträgen von Schengen und Dublin in Deutschland vom Recht auf Asyl ausgeschlossen bleiben.

Der Funktion dieser Lager entspricht ihre geografische Lage: Die Mehrzahl liegt in den Ankunftsgebieten der Flüchtlinge in Süditalien und Sizilien. Zusätzlich haben die italienischen Metropolen Turin, Mailand und Rom mit ihren großen Einwanderer-Communities je ein Abschiebelager. Über die süditalienischen und sizilianischen Haftzentren dringen nur wenig Informationen an die Öffentlichkeit. In den Lagern in Rom und Mailand waren im vergangenen Jahr jeweils etwa 2 000 Gefangene inhaftiert, von denen mehr als die Hälfte wieder entlassen wurde. Der Rest wurde über die Flughäfen von Mailand und Rom ausgewiesen. Mindestens 50 Prozent der Häftlinge sind Frauen, von denen ein großer Teil in der Sexindustrie arbeitet: ein gefährlicher Beruf für Migrantinnen, denn Prostitution ist in Italien verboten.

Zunächst wurde den Abschiebeknästen in der italienischen Öffentlichkeit keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Das Innenministerium verweigerte antirassistischen Organisationen und JournalistInnen den Zutritt zu den Haftzentren. Rigoros hielt man an der Behauptung fest, dass es sich bei den Zentren um Einrichtungen zur Unterbringung von Flüchtlingen und keineswegs um eine repressive Institution handele. Dem italienischen Roten Kreuz wurde die Versorgung in den Lagern übertragen und weitgehend darauf verzichtet, die Gefangenen in Zellen einzuschließen. Die institutionelle Linke war in die populäre Prodi-Regierung eingebunden und zog es vor, die offzielle Darstellung nicht zu hinterfragen.

Die Proteste gegen die Lager begannen vor einem Jahr in Mailand mit einer Demonstration, in Rom wurde im September ein Hungerstreik durchgeführt. Über 40 Häftlinge stellten Strafanzeige wegen der Vergabe von Beruhigungsmitteln und Übergriffen gegen Frauen durch Vertreter des Roten Kreuzes. Erstaunlicherweise wurde sogar ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Doch erst seit im Dezember insgesamt sechs Menschen in den Haftzentren umgekommen sind (Jungle World, 4/00), ist der Kampf gegen die Lager zu einem der wichtigsten Themen der italienischen radikalen Linken geworden. Linke Zeitungen berichten seitdem fast täglich über die Lager und den Widerstand dagegen.

Innenminister Enzo Bianco ist in dieser Situation bemüht, die Lage durch Zugeständnisse zu entschärfen. So versprach der Minister nicht nur, das Mailänder Via Corelli zu schließen, sondern auch die durchschnittliche Haftzeit auf zehn Tage zu senken, was aber wohl auf eine Effektivierung der Zwangsausweisungen hinausläuft. Außerdem kündigte Bianco eine Inspektion sämtlicher Lager und eine Verbesserung der Aufenthaltsbedingungen an. Bei den Sozialverbänden, die in die Leitung der Lager eingebunden werden sollten, findet Bianco allerdings bisher keine Unterstützung: Mit Ausnahme des Roten Kreuzes lehnen alle Verbände jedes Co-Management in den Haftzentren ab.