Kosaken vor dem Reichstag

Bei den Nazis kommt ein altes antiwestliches Thema wieder in Mode: Eurasien. Olenin Terek hat dazu den passenden Roman vorgelegt.

Seit Wochen verfolgt mich Brzezinski. Brzezinski kann sich überall einmischen, weil er prominent ist. Früher hat er den amerikanischen Präsidenten beraten, heute berät er US-amerikanische Ölfirmen und ist Politikprofessor. Brzezinski hat die gleichen Interessen wie ich: Russen-Mafia, islamische Freiheitskämpfer am Kaspischen Meer, der Balkan. Zbigniew Brzezinski schreibt gern. Aufsätze, Bücher, Zeitungsartikel. Meistens schreibt er, die USA seien die größte und mächtigste Nation der Welt, und sie müssten aufpassen, dass das auch so bleibt.

Neulich geriet ein Buch mit einem etwas sonderbaren Titel in meinen Besitz: »Von Wladiwostok bis zur Estremadura«. Da mich Berichte über Abenteuer-Reisen weniger interessieren, las ich auch den Untertitel: »Das heißeste Thema des neuen Jahrtausends: Wer entfacht das Feuer auf dem Großkontinent?« Eine politisch brisante Frage? Ich entdeckte eine kryptische Widmung: »Allen Eurasiern«. Unter der Widmung stand ein langes Zitat, in dem erklärt wurde, die USA seien die mächtigste und beste Nation der Welt, und sie müssten aufpassen, dass das auch so bleibt. Besonders aufpassen müsse man auf die Deutschen. Brzezinski!

Das Brzezinski-Zitat hat der Autor an den Anfang des Buches gestellt, weil er zeigen will, wie unverschämt die Amerikaner sind. Der Autor hasst die Amerikaner und die Kommunisten. Weil er die Kommunisten hasst, nennt er sich mit Vornamen »Olenin«. Auf die Entschlüsselung des Nachnamens »Terek« habe ich verzichtet, nachdem einmaliges Rückwärtslesen zu nichts führte. Die Amerikaner hasst der Autor, weil sie die Identität der Europäer zerstören. »Unsere Kinder tanzen im Discofieber, das aus Amerika importiert wird. Moskauer Nächte sehen aus wie die in Chicago.« Die Kommunisten hasst der Autor, weil sie die Identität der Russen zerstörten.

Gegen die Amerikaner und damit die Kommunisten nie zurückkommen, will Olenin Terek gerne ein Reich namens Eurasien errichtet wissen. Der Held des Romans, ein alter Kosakenoffizier, der in Berlin lebt und sich vorrangig zu Pferd fortbewegt, wurde im Zweiten Weltkrieg, nachdem kommunistische Soldaten sein Dorf niedergebrannt hatten, von Nazi-Soldaten gerettet. »Und von den Soldaten hörte ich zum erstenmal von einem neuen Reich, das alle Völker bis zum fernen Atlantik umfassen sollte. Auch meine Heimat würde dazugehören, sobald die Kommunisten besiegt seien.«

»Dieses Reich«, so erzählt der alte Kosak, »war die erste Perspektive in meinem jungen Leben. Hier begann mein Traum, der Traum vom eurasischen Reich, das die Form eines Keils hat, der vom Pazifischen Ozean, von Sibirien also, bis hin zum westlichen Meer reicht.« Sein Traum, so belehrt sanft der Kosake einen skeptischen Berliner Freund, gehe auf die Zeit der Goten zurück. Die Idee sei alt, »mehr als ein Hirngespinst der SS«.

Der Kosak ist ein weiser Mann. Hitler, »dieser deutsche Führer, wollte das Großreich Eurasien. Er wußte, daß es nur mit Blut geschaffen werden konnte, weil der Kommunismus, diese alle Kultur zerstörende Irrlehre, erst beseitigt werden mußte. Ich weiß, ihr Deutschen hängt an eurer Schuld, aber dieser Krieg wäre euch so oder so nie erspart geblieben. Eure Soldaten waren es, die den roten Koloß mit solcher Wucht ins Mark getroffen haben, daß er sich nie mehr davon erholte.« Drachentöter, die SS-Männer, aber tragische. »Eurasien«, so referiert später der Anführer der in Russland bereits machtvollen eurasischen Bewegung, »hat sich schließlich selbst zerstört. Stalingrad ist dafür das Symbol.«

Regieren soll das eurasische Reich »ein Kaiser, ein Führer, ein regierender Rat, da gibt es noch verschiedene Vorstellungen«, berichtet ein Moskauer Kriminalkommissar, Sympathisant der Eurasier. Die Demokratie hingegen wolle man nicht in Betracht ziehen: »Der kapitalistische Demokratiestaat ist der Staat der US-Mafia.« Bei der notwendigen »einheitlichen Obersprache« Eurasiens müsse man an das Deutsche denken. »Deutsch ist eine hochentwickelte, gebildete Sprache mit weltweiter Geltung und ideal für die »eurasische Gegenoffensive zur englischen Sprachinvasion der Atlantiker«. Gerne erklärt der russische Kosak seinem deutschen Freund die inneren Verhältnisse im künftigen Reich: »Wir haben das Land, ihr den Genius.« So ähnlich hatten sich das auch die Vordenker des großen deutschen Führers vorgestellt.

Überhaupt steht der Errichtung des eurasischen Reiches nur noch entgegen, dass niemand in Westeuropa die Pläne kennt, und das wiederum liegt am amerikanischen Imperialismus, der perfiderweise auch die EU nur fördert, damit er sie als »größeren Westen« unter seiner Fuchtel halten kann. Die USA haben es gerade nötig: »In den grausamsten Kriegen der Weltgeschichte hat Amerika die unappetitlichste Rolle gespielt und ist als alleiniger Kriegsgewinnler in die Geschichte eingezogen.«

Ich habe diese Nazi-Fiction aus zwei Gründen mit einigem Vergnügen gelesen. Erstens, weil sie in ihrer Kritik am westlichen Liberalismus ebenso wie in der eurasischen Gegenidee das poetische Pendant zum »Europäischen Manifest für das 21. Jahrhundert« ist, das der französische Philosoph der Neuen Rechten, Alain de Benoist, vor einigen Wochen veröffentlichte. Zweitens, weil sie einen Krimi-Plot hat. In der Mischung aus Heldenepos, Krimi und politischer Agitation werden auf eine sehr sinnliche Weise jene Erkenntnisabläufe und ihre Begrenzungen sichtbar, die sich in der individuellen Psyche zu einem bizarren und gleichzeitig gemeingefährlichen völkischen Fanatismus formieren.

Erkenntnis hat hier immer mit dem Aufdecken niederträchtiger Verschwörungen gegen die wahren Interessen der kleinen Leute zu tun, und sie hat eine spezielle Mechanik. Anfangs erfasst sie nur Einzelne, diese bekämpfen als Eingeweihte die kommunistische und amerikanische Niedertracht durch legitime Gegenverschwörungen, bis aus den Fanalen eine Bewegung erwächst, die die Feinde des Volkes machtvoll hinwegfegt.

Der Plot geht so: 1995 werden, immer mittwochs, ganz weit auseinanderliegende europäische Städte von Brandanschlägen erschüttert. Historisch wertvolle »staatliche und kirchliche Symbole« gehen in Flammen auf. Eine deutsche BKA-Kommissarin ermittelt zusammen mit einem Moskauer Kollegen. In den Pausen schlafen sie miteinander oder gehen in Moskau zu Kundgebungen der eurasischen Bewegung. Die Deutsche ist den Eurasiern gegenüber skeptisch (natürlich weil sie im Geist des amerikanischen Imperialismus erzogen wurde).

Unterdessen baut sich der alte Kosak einen Molotow-Cocktail. Den will er am 3. Oktober, am Nationalfeiertag also, vor dem Berliner Reichstag zünden. Als Fanal für die eurasische Bewegung. Gleichzeitig plant er, ganz Luther, den Entwurf einer eurasischen Reichsordnung an die Reichstag-Tür zu heften. Der Reichstag ist zu dieser Zeit von dem »bulgarisch-amerikanischen« Künstler Christo verhüllt worden, und die Deutschen fahren darauf ab. »Auf ewig wird man bestaunen können, wie sich Deutschlands Hauptstadt zum Hipp-Hopp-Country entwickelte, nachdem der Reichstag eingewickelt war.« Kurz vor dem geplanten Anschlag fällt der alte Kosak, den Reichstag bereits in Sichtweite, vom Pferd und stirbt.

Derweil kann Dr. Markant, ein ehemaliger Stasi-Offizier, weiter an Eurasien werkeln. Markant war seinerzeit von Mielke gefeuert worden, weil der Offizier die SED-Propaganda im Vergleich mit jener von Goebbels als kurzatmig bezeichnet hatte. Nach seinem Rauswurf hat er sich heimlich der Perfektionierung des ursprünglich für die Stasi gedachten PAW-Systems gewidmet. PAW steht für »Personen Aktivierende Worte«.

Indem Markant Begriffe wie »Feuersbrunst«, »Brandherd«, »Flammenmeer« in eine europaweit ausgestrahlte Radiosendung über das Mittelalter einbaut, aktiviert er überall auf dem Kontinent Pyromanen zum Zündeln. Deshalb finden die Brandanschläge in ganz Europa immer zeitgleich und mittwochs statt. Mit dem Terror sollen die politischen Systeme zu Gunsten der Eurasier destabilisiert werden.

Dass Markant im Dienste der eurasischen Sache steht, kommt erst am Ende heraus. Markant versucht selbst, ebenfalls am 3. Oktober 1995, den Reichstag anzuzünden. Das geht schief, er wird verhaftet, kann aber wenig später fliehen und startet vom stillgelegten sowjetischen Hauptquartier Karlshorst symbolträchtig mit einem Flieger gen Osten. In den letzten Zeilen des Buches wird der Raum noch einmal zum Wort. Die Ermittlerin vom BKA ist zum Rapport bei ihrem Chef und orakelt schaudernd-ehrfürchtig dem flüchtigen Markant hinterher. Die Wirkung der eurasischen Parolen werde dem Westen wohl erst dann bewusst werden, »wenn wir sehen, wozu sie führen in den riesigen Weiten zwischen Wladiwostok und der Estremadura«. Die Estremadura liegt übrigens in Portugal (und so heißt auch eine spanische Provinz).

In einer dem Roman vorangestellten Summary hat der Autor, die große Zukunft der Bewegung vor Augen, ziemlich zuversichtlich vermerkt: »Es wird nicht das einzige Buch zum Thema Eurasien bleiben.« Wenn es so kommt, muss ich Brzezinski wohl bald mal zum Abendessen einladen.

Olenin Terek: Von Wladiwostok bis zur Estremadura. Eurasischer Verlag Hans Wagner, Altomünster 1999, 237 S., DM 19,90