Die Wege des Geldes

Ein Richter und ein Staatsanwalt aus Genf stehen vor der Lösung des Elf-Aquitaine/Leuna-Bestechungsfalles. Doch die deutschen Behörden scheinen an einer Zusammenarbeit nicht interessiert zu sein.

Ungewöhnlich vertraulich ging es am vergangenen Samstag zu, als das Ehepaar Schröder nach Paris reiste, um eine Dreiviertelstunde mit den Chiracs zu plaudern und anschließend mit den Jospins im Eiffelturm zu Mittag zu essen. Über den Inhalt der Gespräche gab es nicht einmal eine nichtssagende offizielle Erklärung. Journalisten erfuhren auf Anfrage, der Besuch sei rein privater Natur - was die Staatsmänner zu besprechen gehabt haben, bleibe vertraulich. »Wir haben über uns geredet, über unser Leben, unsere Verantwortung, über Frankreich, über Deutschland, über das, was wir in Europa gemeinsam machen, in aller Freundschaft«, plauderte ein satter Lionel Jospin nach dem Dessert in die Mikrofone.

Das klang so demonstrativ gut gelaunt, dass jeder sofort wusste, dass die beiden Regierungschefs und ihre Ehefrauen sich sicherlich nicht lange mit den Qualitäten des Canard ˆ l'Orange und des Pomerol aufgehalten haben. Mit Sicherheit dürfte dagegen der plötzliche politische Rückenwind eine Rolle gespielt haben, den Schröder in Berlin erlebt - zumal dessen Auslöser nur ein gutes Dutzend Kilometer entfernt vom Essenstisch der beiden im glanzvollen Elf-Hochaus in La Défense liegt.

In der Zentrale des damaligen Staatskonzerns muss irgendwann Anfang der neunziger Jahre die Entscheidung gefallen sein, die an sich unrentable ostdeutsche Raffinerie Leuna zu kaufen - im Paket mit dem weit attraktiveren Tankstellennetz Minol und gegen die Zusage von EU-Subventionen in Höhe von umgerechnet mehr als 700 Millionen Euro. Das betriebswirtschaftliche Risiko sollte außerdem ein Joint Venture mit dem deutschen Thyssen-Konzern absichern, dessen ausgezeichnete Verbindungen zu Bonner Regierungskreisen auch den Pariser Ölmanagern nicht verborgen geblieben waren.

Für einen Einstieg in das Ostdeutschland-Geschäft sprach außerdem, dass der Lobbyist, den die Elf-Spitze aufgetan hatte, sicherlich in der Lage war, für den Konzern die bestmöglichen Bedingungen herauszuholen: Dieter Holzer ging beim Kanzler ein und aus, in der Union galt sein Name etwas. Er duzte sich gleich mit einer ganzen Reihe von Staatssekretären in verschiedenen Ministerien, der BND führt ihn als Agent, und der damalige bayerische Wirtschaftsminister Edmund Stoiber pflegte seinen Urlaub in Holzers Villa in Monaco zu verbringen.

In seiner Liechtensteiner Firma Delta International Establishment beschäftigte Holzer mit Agnes Hürland-Büning gar eine leibhaftige Ex-Staatssekretärin, die zudem als enge Vertraute von Kanzler Kohl galt. Als ein Konkurrenz-Unternehmen von Elf eine Pipeline in die sächsische Tiefebene bauen wollte, reichte ein kurzes Gepräch von Hürland-Büning mit dem sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten Werner Münch, und schon wurde dem Projekt die Genehmigung entzogen. Holzer war die hundertfünfzig Millionen Francs wert, die er als Provision von Elf Aquitaine bekommen hatte.

Der Leiter der Schweizer Niederlassung von Holzers Firma, Thomas Eggenberger, verfügt wiederum über Beziehungen zu dem mit internationalem Haftbefehl gesuchten Ex-Staatssekretär und Leiter der ostasiatischen Niederlassung von DaimlerChrysler, Ludwig Holger Pfahls (CSU), der von dem Waffenhändler Karlheinz Schreiber im Zusammenhang mit dem Verkauf von Fuchs-Spürpanzern 3,8 Millionen Mark entgegennahm.

286 Millionen Francs Schmiergelder sollen über das maßgeblich von Holzer aufgebaute Netzwerk damals verteilt worden sein. Leider lief das Geschäft trotzdem nicht ganz so, wie die Herren in La Défense das für ihr Geld hätten erwarten dürfen. Thyssen stieg vorzeitig aus, und auch die zugesagten EU-Gelder flossen weitaus spärlicher als gedacht. »Mehrere Milliarden Francs« seien dem Konzern auf betrügerische Art und Weise abgenommen worden, klagen dessen Chefs heute.

Bei ihren Ermittlungen gegen den Staatsbetrieb stolperten die französischen Ermittler auch über Akten, die Hinweise auf den Leuna-Deal enthielten. Wie es scheint, hatte sich die damalige Konzerspitze unter dem zwischenzeitlich inhaftierten Loik Le Floch-Prigent eine outgesourcte Abteilung für Korruption geleistet, die von dem früheren Fischhändler André Guelfi - genannt »la sardine« - geleitet wurde. Le Floch-Prigent war vom französischen Staatspräsidenten Fran ç ois Mitterrand selbst eingesetzt worden. Weil die Spuren des Schmiergelds in Richtung Schweiz wiesen, stellten die Ermittler eine Rechtshilfebegehren an die Staatsanwaltschaft in Genf.

Dort erhielt der Fall eine eigene Dynamik, als der Staatsanwalt Bernard Bertossa seinerseits Ermittlungen wegen des Verdachts des Verstoßes gegen Gesetze der Eidgenossenschaft aufnahm. Innerhalb der vergangenen zwei Jahre hat Bertossa ein System von rund 300 Konten aufgedeckt, die einem einzigen Zweck dienten: Das Woher und Wohin der von Elf Aquitaine investierten Schmiergeld-Millionen zu verschleiern.

Trotzdem fand Bertossa heraus, dass das Geld im Dezember 1992 in zwei Depots in Liechtenstein gelandet ist: rund 34 Millionen Euro auf einem Konto, dessen Verfügungsberechtigter der Kohl-Intimus Holzer war, weitere 5,5 Millionen auf einem Konto, das dessen französisches Pendant betreute - Pierre Lethier, ebenfalls früherer Geheimdienstler und Protegé von Mitterrand.

Kein Wunder, dass Bertossa alsbald zu dem Schluss kam, »Einflussnahme im politischen Bereich« sei »nicht auszuschließen«. Diese Annahme stützt seit dem Wochenende auch ein von der ARD und dem französischen Staatssender France 2 zitierter »hochrangiger Informant aus dem unmittelbaren Umfeld von Mitterrand«. Der Mann sagte aus, bei dem Geld habe es sich »nicht um Bestechungsgeld« gehandelt, sondern um »Geld für eine Wahlkampagne. Die Zahlung war im Staatsinteresse - für Europa.« Demnach hat der Sozialist Mitterrand mit dem Geld aus dem Staatsbetrieb den Wahlkampf Kohls unterstützt. Das Geld sei von Geheimdienst-Spezialisten in kleinen Summen aus der Schweiz nach Deutschland geschleust worden.

Für politische Einflussnahme hatte von Anfang an die Tatsache gesprochen, dass die deutschen Namen, die Bertossa und der Untersuchungsrichter Paul Perraudin in diesem Zusammenhang herausfanden, fast allesamt in Richtung CDU und CSU wiesen: Holzer, Pfahls, Münch und Hürland-Büning, der frühere Verkehrsminister Günther Krause (CDU), die Staatssekretäre Manfred Carstens (CDU) und Wolfgang Gröbl (CSU) sowie Kohls Kanzleramtsminister Friedrich Bohl.

Als die Schweizer Strafverfolger über die Affäre um den Verkauf von Fuchs-Spürpanzern an Saudi-Arabien im Jahre 1991 in der Presse lasen, kamen ihnen die meisten Namen bekannt vor. »Wir haben plötzlich festgestellt, dass zum Teil dieselben Leute in beiden Fällen verdächtige Zahlungen erhalten haben«, sagt Bertossa.

Beweisen konnten die Schweizer Strafverfolger trotzdem nichts, denn die Geldverschiebungen ließen sich stets bis zu einem gewissen Punkt verfolgen: Das war dort, wo das Geld die Grenze des Fürstentums Liechtenstein überquerte. Ganz offenbar hatten sich die Spezialisten der Geldwäsche auf die für ausländische Steuerfahnder undurchlässigen Grenzen des Kleinstaates im oberen Rheintal verlassen.

Wie sich zeigen sollte, eine trügerische Sicherheit. Denn als Bertossa vergangene Woche ein Rechtshilfeersuchen an die Justizbehörden des Fürstentums stellte, handelte man dort für einmal ungewohnt zügig: Per Dringlichkeitserlass wurde die sofortige Sperrung mehrerer verdächtiger Konten und die Sicherstellung verfänglicher Unterlagen verfügt.

Um die vernebelten Zusammenhänge aufzuhellen, hat Bernard Bertossa im Dezember auch bei der Staatsanwaltschaft in Augsburg ein Rechtshilfegesuch eingereicht. Es sei nicht auszuschließen, heißt es darin wörtlich, dass »der Fluss der untersuchten und zu untersuchenden Gelder letzten Endes einen Zusammenhang mit Abläufen hat, die der öffentlichen Bestechung unterliegen«.

Dass sich jetzt ausgerechnet ein Schweizer Staatsanwalt so brennend für die deutsche Parteispendenaffäre interessiert, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Insgesamt sieben Rechtshilfebegehren für zusätzliche Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Augsburg in den letzten vier Jahren bereits an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement in Bern geschickt. Mit wenig Erfolg: Die Mehrheit der Gesuche blieb wegen Einsprüchen der Betroffenen bis heute liegen.

Angesichts der neuesten Erkenntnisse rät Staatsanwalt Bertossa den Untersuchungsbehörden in Deutschland aber dennoch zu einem neuen Vorstoß; zumindest vermutet er, dass die Hinweise, die er in seinem Rechtshilfegesuch kurz vor Weihnachten geliefert hat, seine Kollegen in Augsburg eigentlich ziemlich neugierig machen müssten. Gemeldet hätten sie sich bei ihm aber noch nicht: »Bis zum heutigen Tag ist bei uns in Genf noch kein Rechtshilfegesuch aus Deutschland eingegangen«, sagt er. »Sollte aber eines kommen, würden wir es sicherlich bevorzugt behandeln.« Von der Staatsanwaltschaft Augsburg war dazu bis Redaktionsschluss trotz mehrfacher Nachfrage keine Stellungnahme zu erhalten.