Sommerzeit des Yakuza

Der Violent Cop hat Pause. Takeshi Kitano reist ans Meer: "Kikujiros Sommer".

Ich habe vor, einen Film zu drehen, in dem es um ein Kind, eine Mutter und eine Großmutter geht", kündigte der Regisseur und Schauspieler Takeshi Kitano in der österreichischen Filmzeitschrift Meteor vor zwei Jahren an. "In diesem Film möchte ich ganz ohne Gewalt auskommen, das ist für mich eine Herausforderung. Der vorläufige Titel ist 'Angel Bells'." "Kikujiros Sommer" dürfte dieser Film sein, wenn man akzeptieren kann, dass Kitano die Rolle der Großmutter gleich selbst übernommen hat. Als der notorisch tunichtgute Yakuza begibt er sich in "Kikujiros Sommer" mit einem Kind auf die Suche nach dessen Mutter.

Spätestens, nachdem der Regisseur auf den Filmfestspielen in Venedig 1997 für "Hana-Bi" mit dem Goldenen Löwe ausgezeichnet wurde, gilt er im Westen als Protagonist des neuen japanischen Kinos. In dieser abstrakt-enigmatischen Erzählung über das Sterben verknüpft Kitano den Yakuza-Thriller mit Motiven des Familienmelodrams. Schweigsam und verborgen hinter einer dunklen Sonnenbrille, spielt er in "Hana-Bi" den korrupten Bullen Nishi, der, von der Sorge um seine sterbende Frau umgetrieben, immer tiefer in eine Hölle aus Gewalt und Verzweiflung rutscht, an deren Grund der gemeinsame Freitod der Liebenden steht. Nishi ist eine geradezu paradigmatische Figur für den Regisseur und Schauspieler, der mit vereistem Altmänner-Cool und elegantem Designer-Anzug bereits 1995 in "Johnny Mnemonic" als Vorzeige-Yakuza gecastet wurde. Die Reise ans Ende der Nacht verläuft für die Protagonisten seiner im Westen bekannten Filme immer extrem gewalttätig und endete stets mit ihrem Tod. Beeindruckend vor allem in "Sonatine", in "Violent Cop" und "Boiling Point".

Kitano kommt gerade recht, um eine Lücke zu füllen, die das Hongkong-chinesische Kino, das seit der Übergabe der britischen Kronkolonie an China, einen kläglichen Niedergang erfährt, im Post-Tarantino-Universum hinterlässt: als Vertreter eines ultra-violenten Kino, als die "japanische Antwort auf Dirty Harry". Tatsächlich jedoch war man mit diesen Erwartungen bei Kitanos Filmen an der falschen Adresse.

Kommerziell erfolgreich waren seine Produktionen deshalb auch nicht. Zwar mag die Gewalt bei Kitano ästhetisiert sein, leicht zu konsumieren ist sie allerdings nie. Kitanos Kamera verweilt immer so lange auf diesen Szenen, bis sie unangenehm werden. Oder er lässt die Gewalt außerhalb des Bildausschnittes stattfinden - und frustriert sein Publikum damit genauso.

Dass Kitano dennoch fasziniert, hat wesentlich mit seiner eigentümlich elliptisch-modernistischen Erzählweise zu tun, die Kritiker wie David Kehr dazu verführte, ihn als "embodiment of the great contemporary period the Japanese cinema never had" zu apostrophieren. Und in der Tat: Selten wird im Film der Gegenwart so deutlich, worin sich das Kino von der Literatur unterscheidet, dass es seine eigene Zeitlichkeit, eigene Rhythmen, Verkettungen und Bilderlogiken kennt.

Kitanos Kino ist ein Kino der Zeit-Bilder, der Zeit zwischen den Bildern. Lakonisch ist es und unendlich langsam. Kamerabewegungen gibt es in seiner Totalen-verliebten Filmsprache kaum. Wenn sich etwas bewegt, dann passiert es innerhalb einer Einstellung oder in der Zeit zwischen zwei Einstellungen. In "Violent Cop" hetzte er seinen Protagonisten zu Fuß durch die Unterwelt; sein Jugendporträt "Kids Return" wurde durch ausgedehnte Fahrradfahrten und Joggingrunden strukturiert - und in "Sonatine", seiner vielleicht größten Leistung, brachte er innerhalb eines so trieb- und aktionsgesteuerten Genres wie dem Gangsterfilm die Handlung auf halber Strecke zum Stillstand. Kaum ein Film zelebriert den Übergang vom Bewegungsbild zum Zeitbild so beispiellos wie diese Studie des Wartens, in der sich einige Yakuza die Feuerpause während eines Bandenkrieges am Strand mit Frisbee-Spielen, Sumo-Ringen, Sandlöchergraben oder dem Einüben von Theaterstücken vertreiben.

In Japan kennt man Takeshi "Beat" Kitano eher als Komiker und TV-Moderator, als Baseball-Kommentator, Romancier, Kolumnisten, Lyriker und Essayisten - weniger jedoch als Kunstfilmer. Zeitweise inszenierte und spielte er in bis zu sechs TV-Shows pro Woche, deren Humor mit "bizarr" nur unzureichend beschrieben ist. In einer Show ließ das Enfant terrible angeblich einen Bus mit Quizkandidaten im Wasser versenken; einige von ihnen sollen dabei fast ertrunken sein. Einen ganzen Tross von Schülern hat er inzwischen um sich geschart, die längst mit eigenen Produktionen an die Öffentlichkeit gehen. Sein Regie-Assistent Hiroshi Shimizu mit seiner äußerst sehenswerten Office-Kitano-Komödie "Ikanai" zum Beispiel. Wenn nun der spröde Humor Kitanos, der mal mehr, wie in "Kids Return", oder weniger, wie in "Hana-Bi", ausgeprägt ist, auch einem westlichen Publikum gefällt, umso besser.

Freunde gepflegter Shoot-outs und anderer maskuliner Heroismen dürften von "Kikujiros Sommer" allerdings enttäuscht sein. Kitano setzt hier, wie schon in der zweiten Hälfte von "Sonatine", beim Nichtstun an. Gab sich dort eine auf ihre eigene Exekution wartende Bande Yakuzas todesmutig dem kindlichen Spiel hin, lässt der Regisseur jetzt einen Kleinganoven mit einem Kind umherziehen - Chaplin in "The Kid" nicht unähnlich - und spielt die Rolle des Yakuza gleich selbst.

Kitano beschreibt seinen Film als eine Art Road-Movie, allerdings eher eines in der Art von "The Wizard of Oz". Wie "The Wizard of Oz" ist "Kikujiros Sommer" ein Film der Zufallsbekanntschaften und vor allem der in aller Künstlichkeit ausgestellten Special-effects, die dann zum Einsatz kommen, wenn das Kind träumt, in knallbunten Bildern, die wie schon in "Hana-Bi" in ihrer Bizarrerie für sich stehen und alles andere sind als ein Schlüssel zum höheren Verständnis der Geschichte.

Durch Zufall gerät Kikujiro (Takeshi Kitano) an den kleinen Jungen. Masao (Yusuke Sekiguchi) ist in den Sommerferien verwaist und sucht seine Mutter. Kikujiro, ein Taugenichts vor dem Herrn, willigt ein, den Jungen auf dessen Suche zu begleiten. Nachdem Kikujiro mit Masaos Hilfe beim Radrennen gewonnen hat, den Jungen aus den Fängen eines Päderasten befreit und ein schrottreifes Taxi geklaut hat, ziehen die beiden zu Fuß weiter, versuchen mit allerlei kruden Tricks Autofahrer anzuhalten und sammeln Stoff für Masaos Aufsatz mit dem Thema: "Was ich letzten Sommer gemacht habe".

Auf ihrer Reise ans Meer begegnen die beiden einem japanischen Beatnik, treffen auf ein junges Pärchen und zwei Motorradrocker, die Kikurjiro alle dazu bringt, seinen kleinen Begleiter wie auch den Zuschauer zu unterhalten.

Zwar scheitert die Suche des ungleichen Paares am Ende, dennoch haben sie einen Sommer gemeinsam verbracht. Ob sie sich dabei wirklich näher kommen, sich gar verstehen, bleibt fraglich, dient die Handlung doch eher dazu, ein Feuerwerk an bösartigen Slapstick-Gags abzufeuern, die sich genau deshalb nicht nacherzählen lassen, weil sie völlig visuell, in Kitanos Off- und Totalen-Stil funktionieren und sight-gags sind. Komik entsteht durch die Art und Weise, wie Kitano altbekannte Slapstickelemente verwendet, auf der Tonebene, als Ellipse, Spiel von Detail und Ganzem.

Ganz schön anrührend ist das manchmal schon, denn dahinter verbirgt sich eigentlich eine ziemlich traurige Geschichte, die zwischen all den Lachern in Kikujiros verhärmtem Gesicht als die für Kitano so wesentliche existenzielle Teilnahmslosigkeit durchblitzt. Dann aber wird schon die nächste Bananenschale ausgelegt.

"Kikujiros Sommer". Japan 1999;
R: Takeshi Kitano; D: Beat Takeshi,
Yusuke Sekiguchi. Start: 18. November