IWF-Chef Camdessus steigt vorzeitig aus

Krisenkiller gesucht

Mission ausgeführt: Kapitalismus vorerst gerettet. Jetzt kann IWF-Direktor Michel Camdessus seinen Job vorzeitig an den Nagel hängen - aus persönlichen Gründen, wie er beteuert. Als Haupterfolg seiner Tätigkeit bilanzierte er, bei allen Mitgliedsländern der Organisation eine Einstimmigkeit darüber hergestellt zu haben, die Armutslinderung in den Mittelpunkt der Stabilitätspolitik zu rücken. Wohlgemerkt: Armutsbekämpfung ist für den 66jährigen kein Ziel an sich, sondern Mittel zum Zweck der ökonomischen Stabilität. Nach Camdessus' Überzeugung stellt "Armut die bei weitem größte Bedrohung des Weltwirtschafts- und Währungssystems" dar. Mit der Armutsbekämpfung würden Kriege verhindert, mahnt er - Kriege um die in der Krise des Kapitalismus knapper werdenden Fleischtöpfe, möchte man ergänzen.

Dennoch darf bezweifelt werden, dass Camdessus seinen Posten so "vergnügt und im Frieden mit sich selbst" verlässt, wie er vorgibt. Im Februar wird der Franzose seinen Schreibtisch in der Washingtoner Behörde räumen; dann wird er 13 Jahre lang deren Chef gewesen sein. Eigentlich hätte seine dritte Amtszeit noch zwei Jahre länger gedauert. Aber in der letzten Zeit ist Camdessus heftigen Attacken ausgesetzt gewesen: In der Asienkrise habe der IWF versagt, die Organisation sei arrogant, würde sich zu viel einmischen, unter Camdessus sei sie zu groß und zu teuer geworden. Der republikanische Mehrheitsführer im US-Senat, Trent Lott, betitelte ihn gar als "französischen Sozialisten". Seit einigen Wochen mehren sich zudem die Hinweise darauf, dass knapp neun Milliarden Mark von den Geldern, die der IWF an Russland ausgezahlt hat, in dunklen Kanälen verschwunden sind.

Von Camdessus' Nachfolger erwarten die USA und andere wichtige Mitglieder vor allem, dass er die Organisation wieder verkleinert und die Ausgaben reduziert. Seit Tagen laufen auf internationaler Ebene emsige Konsultationen zu der Frage, wer diese Aufgabe erfüllen könnte. Traditionell steht der Posten einem Europäer zu, während die US-Amerikaner den Chef der Schwesterinstitution Weltbank stellen. Dennoch kann das IWF-Exekutivdirektorium ohne das Einverständnis der USA keinen Nachfolger bestellen, denn diesen fällt mit einem Kapital- und Stimmrechtsanteil von knapp 18 Prozent eine Sperrminorität zu.

Nun zirkulieren die Namen französischer, britischer, italienischer und deutscher Ökonomen. Während 31 der letzten 36 Jahre saß ein Franzose an der Spitze des IWF. Doch Banque de France-Chef Claude Trichet, der diesmal ein aussichtsreicher Kandidat wäre, hat bereits abgewinkt, denn er soll in drei Jahren Wim Duisenberg an der Spitze der Europäischen Zentralbank ablösen. Aus Großbritannien ist unter anderem Andrew Crocket im Rennen, derzeit Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel.

Jürgen Stark, Vizepräsident der deutschen Bundesbank, hat schon einen deutschen Anspruch auf den Posten geltend gemacht, ohne Namen zu nennen. Von anderer Seite wurde schon sein eigener Name ins Spiel gebracht, ebenso wie der von Horst Köhler, derzeit Präsident der Osteuropabank in London.

Der aussichtsreichste Kandidat scheint jedoch Caio Koch-Weser zu sein, derzeit Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Zuvor war er zweiter Mann bei der Weltbank, wo er sich während seiner 26jährigen Anstellung hochgearbeitet hatte. Aufgewachsen ist Koch-Weser in Brasilien, weswegen ihm auch in Dritte-Welt-Ländern gewisse Sympathien entgegengebracht werden. Damit scheint der 55jährige geeignet zu sein, den Einfluss, den Deutschland sich im Luftraum über Jugoslawien erkämpft hat, auf andere Bereiche auszuweiten.