Lädierter Steuermann

Nach der Spaltung des Front National und dem Erstarken sozialer und antirassistischer Kämpfe sind Frankreichs Neofaschisten geschwächt.

Der Chef des rechtsextremen Front National (FN), Jean-Marie Le Pen, Sohn eines bretonischen Fischers, sieht sich gerne so: "Sturm und Wellen trotzend, steht der Kapitän aufrecht auf der Brücke und hält das Ruder fest in der Hand." Doch der Steuermann, so könnte man heute seine Metapher wieder aufnehmen, vermag das Schiff nicht mehr zu manövrieren. Kurslos treibt der lädierte Kahn auf dem Meer dahin.

Indessen haben sich die Klügsten seiner Mannschaft längst mit einem Rettungsboot davongemacht. Und vor einer Woche musste auch noch der erste Hilfskapitän von der Brücke weichen, nachdem die Besatzung gegen ihn rebelliert hatte.

Der triumphierende Lepenismus der jüngeren Vergangenheit war keineswegs, wie Burkhard Schröder in der Jungle World (44/99) anklingen lässt, ein bloß kurzfristig anhaltender "Tabubruch", dessen Wirkung sich alsbald "abnutzte" und damit den Niedergang der dazugehörigen Partei einleitete. 15 Jahre lang konnte der FN seinen gesellschaftlichen Einfluss kontinuierlich ausbauen. Zunehmend wuchs der Anteil an Stammwählern. "Zehn bis 15 Prozent der Wählerschaft analysieren sämtliche Probleme der französischen Gesellschaft nur noch durch die Brille des 'Immigrationsproblems'", stellten Politikforscher 1995 nach dem guten Abschneiden Le Pens bei der letzten Präsidentschaftswahl fest. Der FN konnte die Parteien der bürgerlichen Rechten systematisch verlieren lassen, falls sie keine Absprachen mit den Lepenisten treffen wollten. Schließlich waren der Mehrheit der FN-Wähler die etablierten Rechts- wie Linksparteien mittlerweile gleichgültig geworden. Im Frühjahr 1998 stand der FN so auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

Heute, anderthalb Jahre später, ist der französische Neofaschismus dennoch gespalten und geschwächt. Beide aus dem FN hervorgegangenen Organisationen erhielten bei den Europaparlamentswahlen im Juni 1999 zusammen knapp neun Prozent der Stimmen. Zum Vergleich: Zwischen 1995 und 1998 hatte der FN konstant einen Stimmenanteil von 15 Prozent.

Was sind die Gründe für dessen Abstieg ? Da ist zum einen das objektive Erlahmen der Dynamik, mit der der FN gegen die "etablierten Kräfte" vorgestoßen war. Anfang der neunziger Jahre hatte es noch so ausgesehen, als bleibe der Protest gegen soziale Ungleichheiten allein den Neofaschisten überlassen - die Sozialdemokraten bedienten sich während der zweiten Präsidentschaft Fran ç ois Mitterrands vor allem selbst, die Kommunisten schienen nach dem Fall der Berliner Mauer dem sicheren Untergang geweiht.

Doch ab 1995 hat sich die Situation gewandelt: Die klassenkämpferischen Spannungen nahmen zu, die Basis der Linken ging auf die Straße. Zu einem großen Teil mobilisierten dieselben Kräfte gegen neofaschistische Bedrohung und repressive Ausländergesetze und schufen so eine neue Verbindung zwischen Antirassismus und sozialem Protest.

Der FN stieß hingegen auf einigen Gebieten sowohl an institutionelle wie auch an soziale Grenzen. Versuche, eigene Gewerkschaften zu gründen und in den Wahlen der Arbeitsgerichte Anhänger zu platzieren, scheiterten 1996/97 am kombinierten Widerstand von Gewerkschaftern und Juristen. Das Mehrheitswahlrecht sorgte zudem dafür, dass der FN praktisch keine Vertretung im nationalen Parlament erringen konnte.

Diese Blockaden hätten dem FN jedoch nicht den Garaus gemacht, hätte es nicht gleichzeitig interne Probleme gegeben. Angesichts des Misserfolgs wuchs die Ungeduld einiger der jungen, gut ausgebildeten Kader. Sie hatten es eilig, an der politischen Macht teilzuhaben. Le Pen, gedrängt von den jungen "Technokraten", war immer weniger gewillt, seine Macht in der Partei in Zweifel ziehen zu lassen. Angelegt als streng hierarchische Führerpartei, muss der FN in solchen Krisen dahin tendieren, den Konflikt durch einen radikalen Bruch zu lösen. Kompromisse sind schlicht undenkbar.

So wird auch noch heute, nach der Spaltung des FN, die verbliebene Rumpf-FN von der Person Le Pens dominiert. Und der bestimmt, wie die "gemeinsame Sache", die rassistischen Ideen, ausgelegt werden. Im Europawahlkampf etwa veranstaltete Le Pen personality shows, auf denen von der "Immigrationsproblematik" nicht einmal mehr die Rede war.

Nachdem Bruno Mégret den Großteil der Kader des Neofaschismus mitgenommen hat und mit seiner eigenen Partei zu den Wahlen angetreten war, versuchte Le Pen, seinen Gegenspieler nach Rechtsaußen abzudrängen, indem er selbst ideologischen Ballast abwarf. So ließ er Anfang Juni verlauten, er erkenne "die multikonfessionelle Realität des Landes" an. Innerhalb des Rumpf-FN hat diese ideologische Häresie zu einem unerwarteten Aufschrei geführt. In der vergangenen Woche nun musste Le Pen deshalb seinen vorlauten Schwiegersohn Samuel Maréchal opfern, der ihm bis dahin oft als Sprachrohr gedient hatte. Im Politischen Büro isoliert und angefeindet, gab Maréchal seinen Posten als "Kommunikationsbeauftragter" Le Pens auf.

Den "Verrat" des Rumpf-FN an den einstigen gemeinsamen Ideen will nun die unter Bruno Mégret versammelte andere Hälfte des organisierten Neofaschismus für sich nutzen. So will die Mégret-Strömung am 16. November in Paris eine Großveranstaltung "gegen die Immigration" abhalten. Allerdings haben auch Mégrets Anhänger mit immensen Problemen zu kämpfen, insbesondere seit ihrer Niederlage bei den Europaparlamentswahlen, wo sie nur 3,3 Prozent gegenüber 5,7 Prozent für Le Pen verbuchen konnten.

Bis dahin stets bemüht, sich als der "wahre" Teil des Neofaschismus zu profilieren, will die Partei jetzt auch nach außen hin gemäßigter auftreten, ohne jedoch grundlegende ideologische Elemente aufzugeben. Ausdruck dieser "Mäßigung" ist die Anfang Oktober erfolgte Umbenennung vom Mouvement National (MN, Nationale Bewegung) zum Mouvement National Républicain (MNR, National-republikanische Bewegung). Seither wiederholt die Partei gebetsmühlenhaft ihr Bekenntnis zur Demokratie.

Die neue Strategie geht freilich auch auf eine einfache Erkenntnis zurück: Allein der wohlhabendere, bürgerliche und damit in seinen sozialen Positionen gemäßigtere Teil des früheren FN-Publikums konnte bei den vergangenen Wahlen gewonnen werden. Das originäre Klassenbündnis, das der noch vereinigte FN in seiner Wählerschaft aufweisen konnte, hat sich seit der Spaltung weitgehend aufgelöst. Vorbei sind damit zunächst die Zeiten, in denen mit Hilfe rassistischer Begründungen den Besitzenden der Schutz ihres Eigentums vor den Armen und den Armen das Ende der sozialen Ungerechtigkeit versprochen werden konnte.

Unter den rechtsextremen Parteien Westeuropas, deren Sozial- und Wirtschaftsprogramme häufig ultraliberal ausgerichtet sind, findet der sozialdemagogisch auftretende Le Pen heute meist wenig Gefallen. Le Pen erwidert diese Abneigung, indem er die Mehrzahl der rechtsextremen Massenparteien als Verräter darstellt. Sie hätten sich an das bürgerlich-liberale "Establishment" verkauft.

So war nach den jüngsten Wahlsiegen Jörg Haiders in der Parteizeitung des Rest-FN, National Hebdo, zu lesen, Haider sei ein Mann, der "von der Linken kommt" und nur aus opportunistischen Gründen neben einigem Zeitgeist-Schnickschack auch populäre Themen wie "die Folgen der Immigration oder der Globalisierung" aufgreife. MNR-Chef Bruno Mégret hingegen versuchte sofort, an Haiders Erfolg anzuknüpfen. Noch in der Woche nach den Österreich-Wahlen gab er im Figaro bekannt, er verfolge "einen österreichischen Weg".