Keinen Pfennig mehr

Die deutsche Industrie bleibt stur: Wenn der Regierung an einem erfolgreichen Abschluss der Entschädigungsverhandlungen mit den NS-Opfern gelegen ist, soll sie finanziell selbst drauflegen, meinen die deutschen Unternehmer.

Wie war das gleich wieder vor der letzten Verhandlungsrunde? Nur noch "einzelne Formulierungen", so Otto Graf Lambsdorff, seien offen zwischen der Bundesregierung und den Vertretern und Anwälten der NS-Zwangsarbeiter. Von Summen wollte der Regierungsbeauftragte für die Entschädigungsverhandlungen Ende August gar nicht erst sprechen; Lambsdorff vermittelte den Eindruck, als sei auf deutscher Seite alles klar: Industrie und Regierung stünden der Forderung nach Entschädigung für die NS-Geschädigten einmütig gegenüber. Ein paar Unterschriften noch - und fünfzig Jahre deutsche Verweigerungshaltung gegenüber den Ansprüchen der Opfer seien vorüber, das Unrecht der NS-Herrschaft endlich beglichen.

Das war vor knapp drei Monaten. Eine Woche vor der geplanten nächsten Runde mutet das flapsige Lambsdorff-Statement von damals an wie ein Spruch aus einer vergangenen Zeit. Nicht, dass sich seitdem an der Haltung der Regierung, mit der Einrichtung des Entschädigungsfonds lediglich drohende Sammelklagen ehemaliger NS-Opfer abzuwehren, etwas geändert hätte. Der Kurs war immer klar: Um Wiedergutmachung ging es nie, mit kollektiver Abspeisung sollten die deutschen Unternehmen vor massenhaften Gerichtsverfahren bewahrt werden. Was die Verhandlungspartner Lambsdorffs jedoch zunehmend in Rage bringt, ist die Hartnäckigkeit, mit der die deutschen Industrie-Vertreter auf den von ihnen zugesagten vier Milliarden Mark beharren.

Lambsdorff selbst kommt dabei allenfalls in der innerdeutschen Auseinandersetzung gut weg: Nach der Rückkehr von einem Treffen mit dem US-Unterhändler Stuart Eizenstat in Washington forderte er die Unternehmen einmal mehr dazu auf, es der Regierung gleichzutun - und finanziell nachzulegen. Doch was ihm in der deutschen Presse lobende Schlagzeilen beschert, wird im Ausland als das gesehen, was es ist: ein geschicktes Rollenspiel, in der die Bundesregierung ihren Ruf nach außen wahren und mahnend auf die zögernden Unternehmer verweisen kann. Am besten auf den Punkt brachte das vielleicht der CDU-Bundestagsabgeordnete Erwin Marschewski: "Ob ich das durch geringere Zinsen bei meinem Bankkonto oder über Steuern zahle, ist doch egal. Irgendwie trägt ja doch das deutsche Volk alles", sagte er.

Good guy Lambsdorff? Mitnichten. Er habe den Eindruck, meinte letzte Woche etwa der Vorsitzende der Stiftung für deutsch-polnische Versöhnung, Jacek Turczynski, dass die Deutschen "Polen mit Erpressung zur Annahme der vorgeschlagenen Bedingungen zwingen wollen". Falsch liegt er damit nicht: "Die Industrie wird nicht mehr auf den Tisch legen. Das ist sicher", hatte einen Tag zuvor der Chefjustitiar der Deutschen Bank, Klaus Kohler, den harten Kurs der Unternehmen bekräftigt. Und auch der Sprecher der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, Wolfgang Gibowski, signalisierte: Vier Milliarden und keinen Pfennig mehr. Die Opfer-Vertreter sollten sich mal nicht so anstellen.

Dabei waren diese es gewesen, die ihre ursprünglichen Forderungen auf 12,5 Milliarden Dollar (rund 23 Milliarden Mark) zurückgeschraubt hatten. Kein Anlass jedoch für die deutsche Industrie, Bereitschaft für ein Entgegenkommen aufkommen zu lassen. Im Gegenteil: Auch als Lambsdorff ankündigte, den Regierungsanteil von ursprünglich zwei Milliarden Mark zu erhöhen, blieben sie hart. Und das, obwohl die Hälfte der versprochenen Unternehmer-Milliarden ohnehin steuerlich abgesetzt werden kann.

Will die Industrie die nächste Runde, die Anfang nächster Woche in Bonn stattfinden soll, platzen lassen? Setzt sie wirklich, wie Turczynski meint, auf Erpressung? Die Einschätzung, dass Deutschland vor allem die slawischen Staaten an den Rand zu drängen versucht, äußerte am Wochenende auch der polnische Außenminister Bronislaw Geremek. Im Mittelpunkt seiner Kritik: nicht die Unternehmen, sondern der deutsche Regierungsbeauftragte. Lambsdorffs Verhandlungsführung, so Geremek, sei "skandalös und beleidigend für den Staat Polen".

Was war geschehen? Lambsdorff hatte seine bereits vor zwei Wochen von der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita veröffentlichte Äußerung, wonach die Beschäftigung von Ostarbeitern in der deutschen Landwirtschaft "eine natürliche historische Erscheinung" sei, gegenüber der Welt am Sonntag wiederholt. Lambsdorff versucht auf diese Weise, die Ansprüche der rund 200 000 heute noch lebenden, im NS eingesetzen polnischen Landarbeiter abzuwehren - schließlich arbeiteten heute polnische Arbeiter ebenfalls auf deutschen Feldern.

Polen, so Geremek, soll so aus den Verhandlungen gedrängt werden. Kein ganz falscher Eindruck: Bei den Gesprächen über das Bankenwesen, so ein polnischer Regierungsbeamter gegenüber der Frankfurter Rundschau, seien die Vertreter Polens und Tschechiens aus dem Saal geschickt worden und bereits davor immer wieder "rüde behandelt" worden. "Und später sollen wir das gesamte Paket akzeptieren, obwohl wir gar nicht dabei gewesen sind", beklagte er sich.

Doch nicht nur in Warschau, wo weniger die angebotene Summe als der geplante Verteilungsmodus - lediglich 13 Prozent der Mittel kämen den polnischen Opfern zu Gute - im Mittelpunkt der Kritik steht, auch in Washington wächst die Bereitschaft, gegebenfalls auf anderem Wege an das deutsche Geld zu kommen. Am vergangenen Donnerstag, kurz bevor Eizenstat und Lambsdorff verkündeten, sich bei der Frage der Rechtssicherheit für die deutschen Firmen näher gekommen zu sein, brachten zwei US-Senatoren einen Antrag in den Kongress ein, der den Opfern doch noch bringen könnte, was Lambsdorff und die deutsche Industrie unter allen Umständen vermeiden wollen: die Möglichkeit, Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen einzureichen. Charles Schumer und Robert Toricelli, Senatoren der Demokratischen Partei, legten ihre Gesetzesvorlage ausdrücklich als Reaktion auf das "völlig unzulängliche Angebot der deutschen Wirtschaft" vor.

Lambsdorff zeigte sich alles andere als begeistert. Die Motivation der deutschen Unternehmen, mehr in den Fonds einzuzahlen, würde durch den Gesetzesvorstoß nicht gerade gestärkt. Doch damit nicht genug: Ausgerechnet Lambsdorffs innerparteilicher FDP-Konkurrent, Ex-Innenminister Gerhart Baum, brachte den deutschen Verhandlungsführer letzte Woche weiter in Bedrängnis. Im Auftrag einer der russischen Regierung nahe stehenden Stiftung forderte er die Bundesregierung auf, den russischen Zwangsarbeiter 4,5 bis fünf Milliarden Mark zukommen zu lassen. Sollte dies nicht geschehen, sei mit Boykotten und Demonstrationen vor deutschen Firmensitzen und diplomatischen Vertretungen zu rechnen. Damit hatten zuvor bereits die US-Anwälte gedroht.