"Es gibt keine ethnischen Schweizer"

Interview mit Peter Niggli, der zusammen mit Jürg Frischknecht in dem Buch "Rechte Seilschaften" die rechte Szene der Schweiz untersucht hat

Wenn man die zentralen politischen Forderungen der extrem rechten Parteien in Europa vergleicht, haben alle zwei Forderungen gemeinsam: die Homogenisierung der Nation und den starken Staat. In der Schweiz fordert Blocher weniger Ausländer und weniger Steuern.

Bei den europäischen Rechtsparteien gibt es zwei mögliche Akzente. Es gibt Parteien mit einer extrem nationalistischen Position: Der Front National unter Le Pen, der nicht auf den Neoliberalismus setzt. Und da sind Parteien mit einem neoliberalen Akzent, die zuerst die Forderung nach weniger Staat stellten wie die nordeuropäischen Anti-Steuer-Parteien. Sie haben erst Ende der achtziger Jahre den Kampf gegen die Einwanderung und für die Homogenisierung der Nation aufgenommen. Dazu muss man wohl auch die SVP rechnen.

Ist das alles, was die SVP zu bieten hat?

Ihr wichtigster Programmpunkt ist die Ablehnung der EU. Danach folgt das Thema Asyl, wo die SVP ständig den nationalen Notstand ausrufen will. Mit diesem Thema hat die SVP den kleineren rechtsradikalen Parteien in der Schweiz sukzessive das Wasser abgegraben. Als Drittes folgt die Gegnerschaft zu allem, was nach sozialen und kulturellen Veränderungen ˆ la 1968 aussieht. Neu in diesem Jahr waren die SVP-Forderungen nach rabiatem Steuerabbau.

Und da ist, wie bei allen Rechtsparteien, das betrogene, aber gesunde Volk. Es steht gegen eine pflichtvergessene, selbstverliebte, unfähige Elite, die von der Macht weggefegt werden muss. Die SVP führt einen Feldzug gegen die classe politique, Blocher gebraucht diesen französischen Begriff.

Ist die SVP eine klassische Wahlpartei oder ist sie mehr als das?

Die SVP brüstete sich nach dem Wahlerfolg, dass sie nicht mehr nur eine Partei, sondern eine Bewegung sei. Seit den achtziger Jahren existiert neben der Partei eine Art Massenorganisation, die nur ein Ziel verfolgt: die Bewahrung der Neutralität und Unabhängigkeit der Schweiz. Das ist eine Art Führerorganisation, da der Chef der SVP zugleich der Chef dieser Organisation ist, die sich Auns (Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz) nennt. Die Auns ist zentralistisch organisiert, so etwas gibt es sonst in der Schweiz nicht. Sie mischt sich meist nur in außenpolitische Fragen ein - mit Referenden und Demonstrationen. Die SVP, eine Kaderpartei, die von ihren Funktionären einen ungewöhnlichen Einsatz verlangt, versucht durchaus, über den normalen Charakter einer Wahlpartei hinauszukommen.

Wie ist das Verhältnis der SVP zu anderen europäischen Rechtsparteien?

Es gibt kein offizielles Verhältnis. Blocher weiß, dass Kontakte zu Le Pen für ihn in der Schweiz nicht gut wären. Noch schlimmer wären Verbindungen zu den deutschen Republikanern, der DVU oder Haider. Das wären hier Killerargumente gegen ihn. Blocher wurde vor ein paar Jahren von Haider eingeladen. Er hat dafür gesorgt, dass seine Ablehnung überall in der Schweiz bekannt wurde.

Was ist mit anderen SVP-Funktionären?

Andere Parteileute und eine Zeitschrift im Umfeld der Partei haben solche Kontakte. Vor allem nach Deutschland. Dort aber nicht zu rechtsextremen Parteien, sondern zu den FDP-Abspaltungsprodukten oder zu nationalen Altherren-Kreisen. Nach Österreich bestehen Kontakte eher zur extremen Rechten, nach Italien oder Frankreich gibt es nur schwache Verbindungen. Neu ist, dass die Jugendorganisation der SVP mittlerweile Mitglied bei den European Young Conservatives, einer Vereinigung von Jungkonservativen, geworden ist. Dort ist auch die Jugendorganisation der Alleanza Nazionale, der neofaschistischen Partei in Italien, Mitglied.

In Österreich hat die FPÖ der SPÖ den Rang als Arbeiterpartei abgelaufen. Gilt diese Proletarisierung der rechten Wählerschaft auch in der Schweiz?

Die Hälfte der Arbeiter in der Schweiz sind Ausländer, die keine politischen Rechte haben. Was als proletarisches Milieu übrig bleibt, sind oft Leute, die sehr schlecht qualifiziert oder aber zum Vorarbeiter aufgestiegen sind. In diesen Schichten hat die SVP zwar einen gewissen Anhang, der aber nicht überproportional ist.

Dennoch hilft ihr bei diesen Wählern ihr Rassismus, ihre Ethnisierung sozialer Konflikte.

Was die Integration von Ausländern angeht, so hat die Schweiz beim Einbürgerungsrecht ähnlich hohe Hürden wie Deutschland. Dabei kann die Schweiz nicht auf ein ethnisches Staatsvolk zurückgreifen - es gibt keinen ethnischen Schweizer. Es gibt hier Franzosen, Italiener, auch von Deutschen könnte man sprechen. Und dann gibt es noch einen kleinen Bergstamm mit einer eigenen Sprache ...

Wenn hier ein Staatsvolk konstruiert wird, beruft man sich immer auf eine spezifische Geschichte dieses Staates und eines bestimmten Zusammenlebens verschiedenster Gruppen innerhalb des Staates. Im Gegensatz zu Deutschland kann man in der Schweiz nicht auf irgendwelche völkischen Ideen zurückgreifen. Hier muss man immer wieder irgendwelche Staatsideen verabsolutieren, zum Beispiel die neutrale, friedliebende Schweiz gegen den Trend in Europa.