Der Klon von Jelzin

Leonid Kutschma wird abermals Präsident der Ukraine. Aus zwei Gründen: Er hat das Jelzin-Modell auf die Ukraine übertragen, und die parlamentarische Linke hat sich selbst ausgetrickst.

Da hatte Leonid Kutschma aber noch einmal Glück. Nur vier Tage, bevor die Ukrainer am vergangenen Wochenende ihren nächsten Staatspräsidenten wählen sollten, zerbrach die Allianz der Kutschma-Gegner: Die ukrainische Linke hatte zur Verhinderung einer zweiten Amtszeit des westlich-orientierten Präsidenten eine Allianz aus vier Präsidentschaftskandidaten gebildet: Der frühere Premier Jewgeni Martschuk, der Sozialist Alexander Tkatschenko, der Bürgermeister der Stadt Cherkasy, Wladimir Oliynk, und Alexander Moros, Ex-Parlamentspräsident, versprachen den ukrainischen Bürgern eine politisch eigenartige Mischung aus Planwirtschaft, Annäherung an den Westen bei gleichzeitiger Reinkarnation der Sowjetunion und Freiheit für Unternehmer.

Doch wenige Tage vor der Wahl war es vorbei mit der Einigkeit: Plötzlich wollte keiner der Kandidaten - wie abgemacht - auf seine eigene Kandidatur verzichten und stattdessen eine Wahlempfehlung für Ex-Premier Martschuk abgeben. Begonnen hatte Ex-Parlamentspräsident Alexander Moros mit der Desintegration des Bündnisses: Er wollte sich nicht mehr damit zufrieden geben, nach der Wahl Martschuks abermals zum Parlamentspräsidenten gekürt zu werden.

Leonid Kutschma bot der Zerfall der Viererbande die Chance für eine abermalige Amtszeit: Er musste nicht gegen einen starken Linksblock antreten, sondern war klarer Favorit unter vielen völlig chancenlosen Kandidaten. Zudem hatte er sich in den Medien durchgesetzt: Das Staatsfernsehen und die privaten, von Kutschma-loyalen Tycoons kontrollierten Kanäle standen eh hinter dem Präsidenten und ignorierten seine Rivalen weitgehend. Andere Medien, die auf Kutschmas Konkurrenten setzten, wurden kurzerhand von den Steuerbehörden heimgesucht. Einem Sender, STB, wurde im August das Konto eingefroren und zu guter Letzt verscherbelte der Eigentümer die Station an einen Kutschma-Unterstützer.

Großartig für den Präsidenten war auch der Zeitpunkt des Zerfalles des Linksbündnisses: Nur mühsam ließen sich die vier gescheiterten Bündnispartner in ihren politischen Äußerungen zügeln, doch die schaumgebremste Profilierung der eigenen Person führte nach dem Zerfall des Bündnisses auch zu erheblichen Schwierigkeiten, sich doch noch als eigenständiger Kandidat mit eigenen Ideen zu präsentieren. Alle vier mussten erkennen: In den wenigen Tagen zwischen Bündniszerfall und Wahl war es unmöglich, noch einen funktionierenden Wahlkampf auf die Beine zu stellen.

Echte Hindernisse auf dem Wege Kutschmas in den Präsidentenpalast von Kiew waren nur noch der KP-Kandidat Petro Simonenko und die Chefin der Progressiven Sozialistischen Partei, Natalia Witrenko. Obwohl Witrenko eindeutig den sozialistischen Weg in seiner Hardcore-Version durchsetzen wollte und eine Union zwischen Russland, Belorussland und der Ukraine versprach, während Simonenko eher sozialdemokratisch agierte, bemühten sich beide, im Doppelpack aufzutreten. Selbst Präsident Kutschma erkannte "eine Übereinstimmung in den meisten politischen Zielen" der beiden Mitbewerber.

In der nächsten Woche wird Kutschma gegen Simonenko in einer Stichwahl antreten und - gewinnen. Laut einer Prognose des Kiewer Institutes für soziale Studien wird Kutschma 41 Prozent der Stimmen bekommen, Simonenko dagegen nur 28 Prozent.

Für Kutschma spricht nach Meinung der Mehrheit der ukrainischen Staatsbürger einfach seine Berechenbarkeit. In der Ukraine gilt er als politischer Klon von Boris Jelzin - ohne Wodka. Zwar hat auch er es nicht geschafft, aus der Ukraine blühende Landschaften zu machen, aber darin ist er konsequent: Seit er sich 1994 auf dem Präsidentensessel niederließ, ist das Bruttosozialprodukt der Ukraine um 25 Prozent gefallen, die Regierung ist mit der Auszahlung von umgerechnet einigen Hundert Millionen Dollar an Löhnen und Renten im Rückstand. Aber das scheint dem Präsidenten nicht zu schaden.

Als besonders hilfreich hingegen stellte sich für Kutschma das Wiedererstarken des ukrainischen Zentralismus heraus. 1994 noch verschaffte sich jede Provinz ihre eigene Autonomie mit weit reichenden Rechten. Doch durch geschickte Personalpolitik hat es Kutschma geschafft, seine Satrapen in die Gouverneursposten zu hieven und damit die Kontrolle des Zentralstaates über das riesige Land zurückzugewinnen.

Auch die Wirtschaft ist fest in der Hand von Kutschma-Günstlingen, die andererseits wieder die Wahlkampagne des Präsidenten mit zweistelligen Millionen-Dollar-Beträgen finanzieren. Zur Gruppe der ukrainischen Beresowskis gehören etwa der Chef des Handelsriesen "Slavutych", Hryhoriy Surkis, oder Wiktor Pintschuk, der Millionen Dollar auf nicht ganz geklärte Weise machte und außerdem ein guter Freund der Kutschma-Tochter Olga Frantschuk ist.

Das aber wird es für Kutschma in seiner zweiten Amtszeit schwierig machen, unabhängig zu agieren. Er muss jene oligarchischen Kartelle zufriedenstellen, bei denen er nun finanziell oder politisch in der Kreide steht. So meint etwa der Kiewer Analyst Wladimir Malenkowitsch: "Es gibt keinen Ausweg. Wenn er wiedergewählt wird, muss er seine politischen Schulden zurückzahlen."

Was dem Land droht, ist also eine ukrainische Version jener "Familie", die auch in Moskau die Fäden zieht. Mit einem Familienoberhaupt, dessen Netzwerk mindestens ebenso undurchdringlich ist wie jenes von Boris Jelzin. Nur das Alkoholproblem in der staatlichen Cheftetage bleibt alleine ein russisches.