Alternative Lebensformen

Kampf um Köpfe

Morgens, vorm Spiegel: Igitt, was ist das? Nein, nicht was Sie denken - Pickel und so'n Postpubertätskram. Oder Augenringe, Falten und andere Verfallserscheinungen. Viel fieser ist doch, wenn die Spitzen des Haupthaares die Ohren berühren. Wenn man aussieht wie Patrick Duffy und beim Wettbewerb zum Yeti des Jahres mitmachen könnte.

Also auf zum Friseur. Zwar schneiden und scheren die Mitbewohnerinnen auch nicht schlecht, zumindest eine (die andere hat mich einmal zum Skinhead gemacht und hält sich seither zurück). Aber echte Friseurstimmung mit echten Frisiergeschichten will im heimischen Badezimmer nicht so recht aufkommen. Auch den Stern und die Bunte im Lesezirkel gibt es dort nicht.

Diesmal ist wieder die Nummer 107 dran. An der Skalitzer Straße, gegenüber dem Görlitzer Bahnhof, liegen drei Friseurläden dicht beieinander: "AS", ein türkisches Geschäft, hat die Hausnummer 101; "Caprice", noch ein türkischer Enthaarer, hat seinen Sitz im Haus mit der Nummer 104; und in 107 residiert der Salon mit dem vielsagenden Namen "Friseur für den Herren".

Aus Gründen der ökonomischen Gerechtigkeit - dieser Teil Kreuzbergs ist sehr, sehr arm - besuche ich sie immer im Wechsel. 107 also, Schlichtheit rules. Der Laden ist klein, drei Frisier- und vier Wartestühle. Hier schneidet nur einer - der Besitzer selbst. "Unter Vater", erzählt er, "waren hier noch drei Gesellen." - "Einer davon war ich", sage ich und meine ihn. Er hat mir das schon drei Mal erzählt.

Es sind immer die gleichen Geschichten, die der Mann, dem man das Toupet deutlich ansieht, von sich gibt: Der jährliche Norwegen-Urlaub samt Skandalen in der Nachbarschaft, die Ränke und Intrigen (in) der Kreuzberger SPD und alles über die Erfolgsstory von Hertha BSC. Meistens vermischen sich die Geschichten, auch diesmal, da Hertha gespielt (er war zusammen mit den Kreuzberger Genossen im Stadion) und Dortmund gegen eine norwegische Mannschaft verloren hat.

Schnipp. "Als Vater hier anfing, hatte er es schwer." Schnapp. "Damals fuhren die Leute, die Geld übrig hatten, zum Haare schneiden in den Osten." Schnipp. "Dann kam die Mauer." Schnapp. "Die hat den Laden gerettet." Schere weg. "Plötzlich war die Kundschaft wieder da." Rasierer raus. "Dann zogen sie nach und nach weg." Ritsch. "Neue kamen - Türken und die Autonomen." Ratsch. "Hab' ich denen halt die Haare geschnitten." Spiegel. "So recht?"

Im "Caprice" gibt es solche Monologe nicht. Dafür läuft dort die bessere Musik. Türkischer Pop gemischt mit dem Dröhnen der Trockenhauben. Oder irgendwer legt HipHop mit Föhngeräuschen auf. Tollen türkischen Tee gibt es hier. Und coole Leute: "Willst du echt so 'ne Erdbebenfrisur?" - "Ja, mach mal Marmara-Locken." - "Wie's recht ist."

Das "AS" ist gediegener. Familienbetrieb samt hippem Nachwuchs. Zuletzt war ich dort, als Sonnenfinsternis war. Drei Glotzen im Geschäft übertrugen Sofi gleichzeitig: ARD, Sky-Channel und ein türkischer Sender. Die Familie war hin und weg. Als der ganze - in Berlin nur drei viertel - Spuk los ging, zwang mich der Friseur, mit ihm im Kittel auf die Straße zu gehen. "Nicht direkt reingucken, warte mal." Der Großvater lieh mir seine dunkle Brille: "So recht?"

Manches ist halt überall gleich.

AS, Skalitzer Str. 101;

Caprice, Skalitzer Str. 104;

Friseur für den Herren, Skalitzer Str. 107