Frauen fordern Feindkontakt

Die Verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen will Frauen den Waffendienst erkämpfen

Same procedure as every year - auch 1999 gehört das Thema "Frauen in der Bundeswehr" zu den von daheim gebliebenen Politikern und einfallslosen Journalisten organisierten Sommerdiskussionen. Auch wir beteiligen uns hiermit wieder an dieser Übung. Begonnen hat das nach 1975, als unter dem SPD-Verteidigungsminister Georg Leber erstmals ausgebildete Ärztinnen als Sanitätsoffiziere in der Truppe dienen durften. Leber nannte das damals ein "gesellschaftliches Ereignis von nicht kleinem Rang". Seit zehn Jahren können Frauen die Laufbahn der Unteroffiziere und Mannschaften des Sanitätsdienstes einschlagen. 4 250 dienen heute in Uniform, davon 50 als Musikerinnen für die Frontbelustigung.

Die umstrittensten Punkte in den meist mit mäßigem Engagement geführten Argumentationsschlachten waren stets der Dienst mit der Waffe sowie der Einsatz im Krieg. Schließlich erlernen die Soldatinnen während ihrer Ausbildung zwar den Umgang mit Gewehr und Pistole. Doch die dürfte eine Sanitäterin nur in Notwehrsituationen einsetzen. In kämpfenden Einheiten dienen Frauen jedoch bis heute nicht. Nach Artikel 12 a des Grundgesetzes dürfen nur Männer "zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden". Frauen können zum Sanitätsdienst herangezogen werden, wenn der Bedarf im sogenannten Verteidigungsfall anders nicht zu decken ist. Sie dürfen jedoch "auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten".

In diesem Jahr läuft beim Militär-Talk allerdings etwas anders - die einst bei den Grünen heimischen Pazifisten und Bundeswehrkritiker sind rar geworden. Aber der Reihe nach. Seit Ende Juni beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof mit einer Klage gegen diesen gesetzlichen Ausschluß von Frauen vom Dienst an der Waffe. Die Elektronikerin Tanja Kreil hatte ein Jahr zuvor vor dem Verwaltungsgericht Hannover gegen diese "Diskriminierung" geklagt. Ihrer Ansicht nach kann es "nicht angehen, daß einer Gemeinschaftsangehörigen durch Gesetz oder Verordnung der Zugang zu einem von ihr gewünschten Beruf verwehrt" werde. In zwölf der 15 EU-Staaten dürfen Frauen alle Tätigkeiten in der Armee ausüben, einschließlich dem Dienst an der Waffe. Lediglich in der Bundesrepublik, in Italien und Portugal sind Frauen vom Waffendienst ausgeschlossen.

Die Hannoveraner Richter zogen den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zu Rate. In offiziellen Verlautbarungen hält die Bundesregierung am Schutzgedanken des Grundgesetzes für Frauen fest. Artikel 12 a verhindere, daß Frauen im Verteidigungsfall "feindlicher Waffeneinwirkung ausgesetzt würden". Angesichts aktueller Gemetzel auf dem Balkan, bei denen die Zivilbevölkerung mit "Präzisionswaffen" in Bussen, Bahnen und Wohnhäusern beschossen wird, ist dieser Gedanke zwar weltfremd. Aber allein die Absicht, die Hälfte der Bevölkerung vom Krieg auszuschließen, wäre ehrenhaft. Im kommenden Frühjahr soll das Urteil fallen.

Inspiriert durch diese Entwicklung, vielleicht auch nur, um von Haushalts- und Rüstungsproblemen abzulenken, verriet Verteidigungsminister Rudolf Scharping am 13. Juli in der Bild, es gebe mittlerweile in seinem Haus Pläne, Soldatinnen außer im Sanitäts- und Musikbereich auch im Wachdienst, "also auch mit der Waffe", einzusetzen. Zum Fall Kreil sagte der Minister: "Dem Urteil sehe ich mit Interesse entgegen, vielleicht ändert sich etwas."

Daß die FDP-Garde um Jörg van Essen oder Guido Westerwelle jeden Schritt begrüßt, der Frauen an die Gewehre bringt, verwundert nicht. Ihre profunde Kenntnis der aktuellen Praxis bewies nun aber auch die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis, die in der Super-Illu "die volle Waffen-Ausbildung von Frauen in der Bundeswehr" forderte - schließlich könnten die Frauen "im Ernstfall bei einem Angriff auf ihr Lazarett nicht warten, bis ihnen die Männer zu Hilfe eilen". So sieht das auch die CSU-Bundestagsabgeordnete Maria Eichhorn. Schließlich wüßten "junge Frauen, die sich freiwillig für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden, was auf sie zukommt". Und der Bundeswehrverband mäkelte, in den USA, den Niederlanden und Norwegen dürften Frauen als Pilotinnen gar Kampfjets fliegen. Das müsse auch Ziel für die Bundeswehr sein. Daß die israelischen Streitkräfte und auch die USA ihre Frauen aus Gefechtssituationen heraushalten, verschwieg der Soldatenbund allerdings.

Überraschungsgast in der sommerlichen Talkrunde dieses Jahres ist Angelika Beer, Verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen. Sicher, sie hat sich auch in den Jahren zuvor zum Thema zu Wort gemeldet. Doch das war vor dem Kosovo-Krieg. Jetzt macht sie Druck auf Scharping - von der Frauenseite.

Falsch sei es, so Beer, das Urteil der Luxemburger Richter einfach abzuwarten. Nötig sei vielmehr eine gesellschaftliche Debatte über die Rolle der Frau in der Bundeswehr. Auf diesem Weg könne die Diskriminierung von Frauen beim Militär aufgehoben werden. Die gerade eingesetzte Wehrstrukturkommission müsse sich mit diesem Thema befassen. Auch die Beteiligung von Frauen an Kampfeinsätzen gehöre "in allem Ernst und in aller Konsequenz" auf den Tisch, betonte Beer im Südwestfunk.

Wenn Frauen über ihren Einsatz entscheiden könnten, müßten sie sich auch über die Konsequenzen im klaren sein. Sie stünden dann vor der Frage: "Nehme ich in Kauf, zum Töten ausgebildet zu werden und auch im Fall eines Kriegseinsatzes getötet zu werden?" Man könne nicht junge Männer zum Zivildienst oder zum Bund verpflichten und gleichzeitig Frauen freistellen, wie sie sich in der Bundeswehr engagieren wollen. Eine solche "Gegen-Diskriminierung" der Männer könne nicht akzeptiert werden. All das will die Wehrpolitikerin erst im Rahmen einer Freiwilligenarmee - sprich Berufsarmee - verwirklicht sehen.

Beers Partei allerdings ist so weit noch nicht. Die Frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Albrecht, erkannte es als höchst zweifelhaft, Frauen ausgerechnet im Namen der Gleichstellung den Dienst an der Waffe anzubieten. Auch Angelika Beer dachte mal so. 1993, auf dem Sonderparteitag zum Jugoslawienkrieg, rief sie noch: "Für den Frieden kämpfen, das geht mit Waffen nicht." Eine Feststellung, die damals wohl pauschal für Männer und Frauen gemeint war. Ihre Strategie lautete schlicht, "wir schaffen die Bundeswehr ab".

Auch im Sommer 1996 noch attackierte Beer ihre Parteikollegin Rita Grießhaber, die den Waffendienst für Frauen gefordert hatte, um damit das letzte "Berufsverbot unserer Republik" zu beseitigen. Da die Bundeswehr abgeschafft werden müsse, könne es nicht darum gehen, ausgerechnet dieses Berufsverbot aufzuheben. "Wer das Recht auf Ausbildung zum Töten als Emanzipation bezeichnet", sagte Beer damals, "hat von Emanzipation, wie wir sie seit 18 Jahren definieren, eine Auffassung, die mit grüner Politik nicht kompatibel ist." Seit dem Regierungswechsel klingen solche Worte nur noch als romantische Erinnerung nach.

Die Gründe für den Vorstoß des Verteidigungsministers sind übrigens recht praktische. In den Sanitätseinheiten, die zu einem Viertel aus Frauen bestehen, war es wegen des Wachdienstes zu "Unstimmigkeiten" gekommen, da allein die Männer Wache schieben mußten.

Die Armee selbst könnte die Einführung der Wehrpflicht für Frauen ohnehin nicht verkraften, da gar nicht mehr alle Wehrpflichtigen einberufen werden könnten. Es würde "Wehrungerechtigkeit" entstehen, zumal Scharping aus Sparsamkeitsgründen die Zahl der Wehrpflichtigen (derzeit 135 000) verringern will.

Der einzige, der sich aus der sommerlichen Diskussion heraushält, ist Bundeskanzler Gerhard Schröder. Doch der hat seinen Standpunkt bereits 1996 festgeklopft. Als niedersächsischer Ministerpräsident sprach er sich damals für den freiwilligen Dienst von Frauen auch in Kampfverbänden aus.