Staus im Internet

Rappelvoll

Radiohörer lieben Staumeldungen, schließlich schaltet die Mehrzahl von ihnen nur während der Autofahrt das Radio ein. Aus Sicht des Senders ist dies kein besonders angenehmes Konsumentenverhalten, denn ebenso wie die Fernsehsender kämpfen auch die Rundfunksender um Einschaltquoten und Werbekunden. Die über Antenne ausgestrahlten Programme sind dabei noch im Vorteil, denn nur sie haben überhaupt Chancen, die vielen autofahrenden Zuhörer zu erreichen.

Auf die Treue der Kundschaft kann man sich dabei jedoch nicht unbedingt verlassen. Denn die schaltet einfach um, wenn ihr das ausgestrahlte Programm nicht gefällt, oder nutzt dankbar die von den Geräteherstellern angebotene Möglichkeit, mit der sich das Radiohören auf die Hauptsache reduzieren läßt: eben die Verkehrsmeldungen. Kassettenrekorder lassen sich zum Beispiel so programmieren, daß das selbst aufgenommene Musikprogramm von den neuesten Staumeldungen automatisch unterbrochen wird.

Deswegen muß man sich immer neue Tricks ausdenken, um die Hörerschaft zum Einschalten zu bringen. Ein Knüller im Quotenkampf sind die privaten Staureporter. Als Handy-Besitzer konnte man sich - zuerst beim Berliner Info Radio - als sogenannter Staumelder registrieren lassen und erhielt eine kostenlose Rufnummer, unter der man dem Sender Tag und Nacht zähfließenden Verkehr, ausgefallene Ampelanlagen und Mausefallen melden konnte. Der Mitmach-Effekt war gewaltig, seitdem wird selbst vor dem kleinsten Stop-and-go-Verkehr im entlegensten Winkel der Stadt bei Info-Radio gewarnt. Der zusätzliche Service fand bald Nachahmer bei anderen Sendern, und mittlerweile gibt es kaum einen Verkehrsbericht, der nicht mindestens eine Staureportermeldung über Verkehrsprobleme in Gegenden enthält, von denen man vorher auch nicht ansatzweise ahnte, daß es sie gibt.

Staus und Verkehrsprobleme sind jedoch nicht nur höchst reale Ereignisse. Auch im Internet kommt es besonders zu den Hauptverkehrszeiten immer wieder zu lästigen Wartezeiten und unvorhergesehenen Umleitungen aufgrund unterbrochener Routen. Durch Surfen außerhalb der Hauptreisezeit kann das zwar alles locker vermieden werden, aber auch auf dem Internet-Zeitschriften-Markt gehen langsam die Themen aus. Online Today, eine dieser Fachzeitschriften für das durch mehrseitige Farbanzeigen-Strecken unterbrochene Internet-Adressen-Abdrucken, erhob daher in seiner Juli-Nummer jahreszeitgerecht den Internet-Verkehr in den Rang eines Problemfalls allererster Ordnung und versuchte, die Leser bei dessen Lösung einzubinden.

In Zusammenarbeit mit der Firma Nettraffic sucht man 400 freiwillige Surfer, die Meßfühler, sogenannte HTTP-Sensoren, auf ihren Homepages installieren lassen. Die sollen "unbestechlich und automatisch Schwachstellen aufspüren", um dann einen "Überblick über die schlimmsten Staus" bieten zu können. Die Warnung dieses Computer-ADAC werden ab Mitte Juli auf www.online-today.de nachzulesen sein.

Bis die Leser der Online-Presse selbst spezielle Handynummern erhalten, um vor Datenstaus warnen zu können, dauert es dann bestimmt nicht mehr lange. "Achtung, www. umsonst.de ist derzeit wegen Überfüllung geschlossen, Pfennigfuchser werden gebeten, statt dessen auf www.geizkragen.de auszuweichen."

* Elke Wittich

Wo führt das hin, "Sit & Watch"? Zu einem philosophischen oder spiritistischen Trend? Oder nüchterner, zur meistbefolgten Freizeitbeschäftigung in der amerikanischen und europäischen Kultur, dem Fernsehen; genauso gut ins Kino oder Theater; zum Verweilen auf einer Parkbank, um Passanten zu beobachten?

In diesem Fall zum Titel eines A3-großen Plakates, Reklame in einen Rahmen gespannt, an der Wand gegenüber dem Klo, das ich neulich bei einem Kneipenbesuch aufsuchte. Eigenwerbung der Firma, die Rahmen an solchen Orten - "Toilettenräume der Berliner Trendgastronomie" - zur Verfügung stellt. Dort stellt sie fest: "Die Wirksamkeit der Werbung an diesen Orten ist im Vergleich zu bereits etablierten Medien außerordentlich hoch. Auch die Situation des Kontaktes ist eine besondere."

In der Regel ist dies ein Ort, wo ich Kontakt meide, also für mich sein will. Kneipenklos suche ich notgedrungen auf, die meisten laden nicht zum Hinsetzen ein. Ist deshalb der Rahmen in Stehhöhe angebracht? Oder zielt die Strategie darauf ab, die Wirkung des Mediums dadurch zu verstärken, daß die Betrachterin hinaufschauen muß? Es könnte auch "Stand & Watch" heißen, dann würde es sich genauso für den Platz über den Pissoirs eignen. Ich habe nicht recherchiert, ob es diese Rahmen dort gibt, ob diese Werbebotschaften Männer gleichermaßen treffen wie Frauen.

"Das Medium prägt sich ein", wird dort behauptet - in meinem Fall ist das offensichtlich gelungen, obwohl es mir ausreicht, wenn das Toilettenpapier geprägt ist. Es heißt weiter: "Genau wie all die 'Klosprüche', die jeder liest und sehr gut kennt, hat auch dieses neue Medium seine hohe Aufmerksamkeit bekommen." Klosprüche haben mich oft amüsiert. Im Gegensatz zur Werbung haben diese inoffiziellen Botschaften kaum einen anderen Ort als diesen teilöffentlichen Raum und haben das schon einmal mit der Nutzung einer Toilette gemeinsam.

So ist diese optische Beschallung auch nicht zu vergleichen mit der Lektüre auf dem heimischen Abort. Die ist vollkommen freiwillig, außer für diejenigen, deren Verdauungsvorgang so konditioniert ist, daß sie darauf angewiesen sind. Für die stehen im Vorraum der meisten Kneipentoiletten genug Werbeflyer zur Verfügung. Die kommerzielle Nutzung des Umstandes, daß ich aufs Klo mußte und dabei zumeist geradeaus schaue, ist ein Versuch der Nötigung, mit der sich eine Werbefirma Vorteile gegenüber der Konkurrenz verschaffen möchte, welche den Rest des öffentlichen Raumes vielfältig belegt.

Unter der Überschrift "Exklusivität" lese ich: "In Zukunft wird dieses Medium neben anderen Formen der Plakatwerbung etablieren. Es garantiert für alle, die mit ihm arbeiten, eine außergewöhnliche Aufmerksamkeit und eine sehr seltene Exklusivität." An diesem Ort fühle ich mich von Werbung besonders unangenehm zugeschissen, und dieses Gefühl wird hier sehr konkret. Öffentlichkeit ist inzwischen fast unweigerlich verknüpft mit kommerziellen Botschaften. Da wäre es für mich eine exklusive Geste, sich auf das altmodische "stille Örtchen" zu besinnen und die Leute wenigstens dort für sich sein zu lassen.

Bei mir hat das Medium über den Toilettengang hinaus gewirkt. Ich habe mir im Internet die Homepage von Sit & Watch angesehen. Auch der bin ich bis zum bitteren Ende gefolgt. Die Seite beginnt mit dem Foto einer Frau, dort sitzt sie auf einem Klo vor weißen Kacheln, drumherum Punkte als Links zu verschiedenen Themen. Sie schaut mich aus dem Bildschirm heraus an. Oder studiert sie den Inhalt eines Alurahmens auf der gegenüberliegenden Seite?

Unter dem Stichwort "Medium" wird besonders auf die Effektivität hingewiesen. Die ergibt sich aus der "hohen Kontaktzeit zur Werbebotschaft", ein "durchschnittlicher Besuch des stillen Örtchens dauert ca. 90 Sekunden". In einer Diplomarbeit zum Thema, auch Teil der Website, wird das präzisiert. Die durchschnittliche Kontaktzeit beträgt bei Damen 2,54 Minuten, bei Herren (geschlossen) 3, 34 Minuten und bei Herren (offen) 0, 98 Minuten. So hat sich eine meiner Fragen schon beantwortet, bevor ich zu dem umfangreichen Bildmaterial gelange: Niemand ist von dieser Art der Werbebotschaft ausgeschlossen.

Neben "Kontaktzeit" ist "Zielgenauigkeit" ein wichtiges Argument. Mit der "Möglichkeit der Selektion" ist hauptsächlich die geschlechtsspezifische Trennung gemeint. Beispiel ist, wen überrascht es, Werbung für eine Damenbinde. Dieses Beispiel eignet sich für ein weiteres Argument: An den ausgewählten Orten wird die richtige Altersgruppe erreicht. "Nicht nur, daß es sich ausschließlich um Frauen handelt, die die Werbebotschaft wahrnehmen, sondern auch um Frauen, die sich im relevanten Alter befinden, denn in Kneipen oder Diskotheken findet man kaum vorpubertäre Mädchen oder Seniorinnen" (Diplomarbeit). Statt dessen trifft man dort die Zielgruppe, die viel Geld ausgibt, "die der jungen aktiven genußfreudigen Menschen", die gerne ausgehen. Die Palette der geschlechtsspezifischen Produkte scheint mir recht eingegrenzt. Wohl deshalb wird mehrfach betont, daß jede Werbung dort gut aufgehoben ist, bisher begrenzt auf den "Non-Food-Bereich".

Den größten Imagegewinn hat eigentlich der Gastronom: "Durch die ständig wechselnden Inhalte der Plakatrahmen wird der Gang zur Toilette für Ihre Gäste zur willkommenen Unterhaltung, Ihre Toilettenräumlichkeiten werden durch die ansprechend gestalteten Werbebotschaft zu einem modernen Kommunikationsforum".

Es erspart dem Wirt ein großes Ärgernis: "Die Vandalismusrate sinkt um ca. 80 Prozent, wenn Sit & Watch-Rahmen montiert sind", wird mehrfach behauptet, "da der WC-Besucher ganz einfach beschäftigt ist und gar nicht auf die Idee kommt, aus lauter Langeweile zum Stift zu greifen oder die Klorolle von der Wand zu reißen."

An anderer Stelle werden die Reklamebotschaften als "anregendes Element beim eintönigen Geschäft" bezeichnet. In der psychologischen Einschätzung sowohl der Kommunikationskultur in Kloräumen als auch bezüglich der Empfindungen im Ausscheidungsprozeß hat dieses Konzept die größten Lücken. Auch die allemal sehr knapp ausgefallene Diplomarbeit aus dem Fachbereich Wirtschaft wird an diesem Punkt nicht genauer.

Über die Zurückhaltung von Markenartiklern, die Werbefläche zu nutzen, mutmaßt der Inhaber der Agentur Lokus Pokus: "Ich glaube, denen bereitet die Vorstellung Kopfschmerzen, daß ihr geheiligtes Produkt mit heruntergelassenen Hosen betrachtet wird."