Mullahs und Medien

Die Islamische Republik Iran erlebt zur Zeit die stärksten Proteste seit ihrer Gründung

Nein, Studenten seien nicht getötet worden. Der nationale Sicherheitsrat der Islamischen Republik Iran - Vorsitzender: Staatspräsident Mohammad Khatami - versuchte am Sonntagabend zu retten, was noch zu retten war. Zuvor hatten unterschiedliche Augenzeugen berichtet, daß zwischen drei und sechs Studenten getötet worden seien, als Einheiten der iranischen Polizei in der Nacht von Donnerstag auf Freitag ein Studentenwohnheim im Norden Teherans angegriffen hatten. Hinzu kommen nach Angaben von Nachrichtenagenturen mindestens 40 zum Teil Schwerverletzte und 200 Verhaftete.

Die Sicherheitskräfte hatten das Studentenwohnheim gestürmt, nachdem sich dort rund 150 Studenten verschanzt hatten. Sie protestierten gegen das Mitte der Woche verabschiedete neue iranische Presserecht und die Schließung der Tageszeitung Salam. In den folgenden Tagen gingen mehrere Zehntausend Demonstranten auf die Straße und forderten die sofortige Freilassung der inhaftierten Studenten. "Die Demonstrationen waren der größte sichtbare Ausdruck von Unzufriedenheit seit der Islamischen Revolution 1979", schrieb die US-amerikanische Tageszeitung Washington Post.

Als auch noch Mostafa Moin, Minister für Kultur und höhere Bildung, aus Protest gegen das Vorgehen der Polizei zurücktrat, sah sich das Mullah-Regime am Wochenende zu einem Wechselspiel von Zugeständnissen und Repression gezwungen: Während der konservative Flügel um das geistige Oberhaupt Ali Khamenei den Polizeieinsatz verurteilte, da er am Tag des islamischen Gebets durchgeführt worden sei, nahm Khatami das Rücktrittsgesuch Moins nicht an und suspendierte gleichzeitig den Teheraner Bezirkspolizeichef Sadat Achmadi und seinen Stellvertreter vom Dienst.

Die iranische Nachrichtenagentur Irna meldete, daß General Ahmadi und sein Sekretär vom Nationalen Sicherheitsrat für die Übergriffe verantwortlich gemacht worden seien. Außerdem müsse der Polizeipräsident mit einer Rüge rechnen. Alle verhafteten Studenten seien wieder freigelassen worden, getötet worden sei lediglich ein Polizeioffizier. Und wo keine Studenten getötet wurden, muß auch nicht mehr demonstriert werden - weitere Manifestationen wurden umgehend verboten. Auch die Tageszeitung Salam soll nach dem Wunsch des Kulturministeriums möglichst bald wieder erscheinen.

Den Herausgebern von Salam war vom Innenministerium vorgeworfen worden, falsche Informationen von und über Said Emami (alias Saeed Eslami), einen früheren Mitarbeiter des Innenministeriums, verbreitet zu haben. Die Zeitung hatte Teile eines älteren Briefes von Emami veröffentlicht, in dem dieser sich für neue und sichere Kontrollorgane einsetzte, die die Medien des Landes überwachen sollen.

Salam hatte aber auch auf Widersprüche zum Tod Emamis hingewiesen: Emami war im Zusammenhang mit den Morden an iranischen Intellektuellen (Jungle World, Nr. 52/98) verhaftet und wahrscheinlich im Gefängnis ermordet worden. Nach offiziellen Angaben soll er sich dort vergiftet haben. Das Innenministerium verbreitete zudem die Nachricht, daß Emami jüdische Vorfahren gehabt und sich seine Position in der Behörde erschlichen habe. Salam schrieb, daß nach Aussagen von Ärzten Emami die Vergiftung überlebt habe - gestorben sei er erst drei Tage später.

Nach dem Verbot der Zeitschriften Zan und Howjate Chisch war Salam die prominenteste der sogenannten links-islamistischen Zeitungen. Sie diente hauptsächlich als Sprachrohr der Mudjahedin Engelabe Islam (Kämpfer für die Islamische Revolution) und der radikal-islamistischen Ruhanijune Mobarez (Kämpfende Geistlichkeit). Beide Organisationen haben sich stets gegen die freie Marktwirtschaft und für eine stärkere Basisorientierung eingesetzt. Im Iran reicht dies offensichtlich, um als Linksislamist anerkannt zu werden.

Als Chefredakteur von Salam fungiert Abbas Abdi, einer der Anführer der sogenannten Studenten auf dem Weg des Imams, die 1979 die US-Botschaft stürmten und die Diplomaten als Geiseln nahmen. Nach seiner Ansicht soll die Herrschaft der Geistlichkeit nicht abgeschafft, sondern erneuert werden - durch die Befolgung der khomeinistischen Gesetze. Salam unterstützte in den letzten Jahren Khatami und forderte wiederholt die Regierung auf, mehr Geld für die khomeinistische Erziehung der Jugend und der Bevölkerung allgemein auszugeben.

Es ist sicher kein Zufall, daß ausgerechnet die Schließung von Salam zum Anlaß der stärksten Proteste seit dem Bestehen der Islamischen Republik Iran wurden: Die Zeitung trat in den letzten Jahren für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit westlichen Institutionen und Staaten ein, lehnte aber eine kulturelle Öffnung zum Westen entschlossen ab.

Die Proteste der Studenten, die nach dem Demonstrationsverbot - wenn auch mit deutlich weniger Teilnehmern als am Wochenende - weitergingen, passen dazu: Anhänger Khatamis, islamistische Scharfmacher diverser staatlicher Jugendorganisationen und verschleierte Frauen forderten gemeinsam, über die Freilassung der noch Inhaftierten hinaus, die Rücknahme des Pressegesetzes. Unterstützt wurden sie dabei von mehr als 20 Zeitungen und Zeitschriften, die für diese Woche einen eintägigen Streik vorbereiten. Einzelne Forderungen nach einer Absetzung Khameneis und dem Ende der Diktatur seien von der Mehrheit der Demonstranten niedergeschrien worden, berichteten Nachrichtenagenturen am Montag.