Eine Insel voller Knarren

Paramilitärs versuchen in der indonesischen Provinz Osttimor das Referendum über eine Autonomie zu verhindern

Das etwa 30 Kilometer westlich von Osttimors Provinzhauptstadt Dili gelegene Liquisa gilt als lebensgefährlicher Ort - für alle, die eine Unabhängigkeit von Indonesien befürworten. Oder sich auch nur dafür interessieren. Das mußten am 4. Juli auch Mitarbeiter der United Nation Mission in East Timor (Unamet) erfahren.

Ein Konvoi der UN-Beobachter wurde in Liquisa von etwa 100 Kämpfern der paramilitärische Besi Merah Putih (BMP - Rot-Weißer Stahl) mit Schußwaffen und Steinen attackiert - einige Beobachter wurden verletzt. Es war nicht der erste Angriff von Paramilitärs auf die Mission. Seit Beginn der Unamet-Tätigkeit wurden wiederholt Helfer und UN-Mitarbeiter unter den Augen der Sicherheitskräfte von bewaffneten Milizionären angegriffen. Einige verließen daher bereits ihre Posten.

Die BMP, die Osttimor als einen festen Bestandteil der indonesischen Inselrepublik betrachtet, ist nur eine von vielen paramilitärischen Gruppen (Jungle World, Nr. 18/99) und kontrolliert die Kleinstadt Liquisa. Aktivisten und Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung werden terrorisiert. Unterstützung erhält die Miliz dabei von Militärs und der Polizei: Ausbildung, Waffenlieferungen und völlig freie Hand.

So weigerte sich die Polizei, dem Unamet-Konvoi Begleitschutz zu geben und griff während der BMP-Attacke nicht ein. Wohl aber danach: Aus einem Fahrzeug seien Schüsse abgegeben worden, hieß es. Für die indonesische Seite ein Indiz dafür, daß die Unamet Kämpfer der für die Unabhängigkeit der Inselhälfte kämpfende Falantil unterstützt und damit ihr Mandat mißbraucht. Auftrag der Mission ist es, ein für August geplantes Referendum über die Unabhängigkeit Osttimors von Indonesien zu überwachen.

"Unentschuldbar" nannte der Unamet-Chef Ian Martin den Vorfall und reiste empört in die indonesische Hauptstadt Jakarta, um eine strengeres Vorgehen gegen die pro-indonesischen Milizen in Osttimor zu fordern. Die vermeintliche Hilfe wurde dem Missionschef denn auch prompt zugesagt: Rund 1 200 Polizisten sollen zusätzlich im östlichen Teil der Insel stationiert werden, 1 000 Soldaten der Armee werden hingegen abgezogen. Dabei ist die indonesische Polisi ganz offiziell eine Unterabteilung des Militärs (Abri) und untersteht damit dem Verteidigungsminister und Armeechef General Wiranto.

Der oberste Militär weiß, wie erfolgreich die Abri mit Geheimaktionen sein kann. Als es im Mai vergangenen Jahres in Indonesien zu Krawallen gegen die chinesische Minderheit und zu Massenvergewaltigungen kam, gehörten zivil gekleidete Abri-Soldaten mit zu den Anstiftern.

Die Abri sieht sich in einer militärischen wie politischen Doppelfunktion. In der Armeeführung will man Osttimor, wo an den Folgen der militärischen Besetzung über 200 000 Menschen gestorben sind, offenbar nicht so schnell aufgeben. Etliche Abri-Genräle besitzen dort Firmen, die die Rohstoffe der Insel abbauen oder weiterverarbeiten - und auch der frühere Diktator und Ziehvater von Staatspräsident Bacharuddin Jusuf Habibie, General Suharto, besitzt dort ein großes Landgut. Die Paramilitärs sind nicht einfach nur bewaffnete Indonesien-Fans, sondern Teil einer covert action von Experten des Abri-Geheimdienstes.

Mehr Polizei wird daran nichts ändern. Nach bisher jedem größeren Angriff oder Massaker wurden die Polizeitruppen in Osttimor verstärkt - um das nächste Mal doch wieder nur zuzusehen. So auch nach dem vom 4. April, als Paramilitärs unter den Blicken von Polizei und Militär in Liquisa über 35 Leute umbrachten.

Seit Januar, als Habibie überraschend mitteilte, Indonesien wolle nun die Bevölkerung selbst über den zukünftigen Status der im Dezember 1975 militärisch besetzten Provinz entscheiden lassen, versuchen die Paramilitärs offenbar, durch ihren Terror eine Unabhängigkeit unbedingt zu verhindern.

Von den Unabhängigkeitsaktivisten sind nach den Aktionen der Paramilitärs etliche aus Angst um ihr Leben abgetaucht. Es häufen sich die Berichte von Einschüchterungen ganzer Dörfer durch die pro-indonesischen Milizen. Der Bevölkerung wird mit Rache gedroht, sollte sie sich für eine Autonomie entscheiden oder sich gar für die Unabhängigkeit der Provinz einsetzen. Leute, die sich in die Wahllisten für das Referendum eintragen wollen, werden bedroht - ebenso die Unamet-Mitarbeiter, die die Listen auslegen sollen.

Unter der Vermittlung Portugals und der Uno hatten sich die Unabhängigkeitsbewegung und die Regierung in Jakarta am 5. Mai auf das Referendum geeinigt. Am 11. Juni folgte der UN-Sicherheitsratsbeschluß 1 246, der den Einsatz des unbewaffneten Unamet-Kontingents zur Vorbereitung und Durchführung des Referendums regelt. Wegen der ständigen Behinderungen der Beobachtermission hat UN-Generalsekretär Kofi Annan den Abstimmungstermin bereits um zwei Wochen nach hinten verschoben: Am 22. August soll es soweit sein - wenn nicht wieder ein Massaker der Paramilitärs dazwischenkommt. Am Sonntag teilte Unamet-Chef Martin mit, eine weitere Verschiebung sei zu erwarten.

Die Zentralregierung in Jakarta zeigte sich nach den Protesten von Martin und einer offiziellen Rüge aus dem US-amerikanischen Außenministerium besorgt. Für Montag hatten sich insgesamt acht Minister aus der indonesischen Hauptstadt zum Besuch in Dili angesagt. Und der Außenminister Ali Alatas, der für den Umgang mit der Provinz zuständig ist, kündigte vergangene Woche die Freilassung des prominenten Unabhängigkeitsaktivisten Jose Alexandre Gusmao an. Bisher steht er noch in Jakarta unter Hausarrest.

Offiziell bemüht sich die Regierung um Ruhe in der Provinz: Man halte an den internationalen Vereinbarungen fest und unternehme alles, um derartige Aktionen zu unterbinden, heißt es. Bisher wurde das ursprünglich für Juli angekündigte Referendum damit erfolgreich verzögert, und das Mandat der Unamet läuft am 31. August aus.