Eine deutsche Revolution: Herzog geht, aber Graf bleibt

Ären-Ende

Stefanie Graf betreibt ihren Sport nicht so, wie man es von einer Tennisspielerin erwartet, die 1969 in Deutschland geboren wurde. Sie verhält sich einfach nicht wie die Tochter eines Vaters, der nur in einem Land wie diesem von einem baden-württembergischen Finanzminister zum Mitglied hiesiger Bourgeoisie erhoben werden konnte.

Und sie ist auch nicht mehr die Athletin, der bislang, zumindest bis 1991, sehr genau anzusehen war, daß sie ihren Sport als deutsche Leibesübung betrieb: Bis 1991 marschierte sie nämlich als Aufschlagmaschine über den Centre Court, als sei sie ein halbmenschliches Überbleibsel der berühmten Roboterhalle 54 im Wolfsburger VW-Werk.

So steuerte sie ihren Teil zum größten denkbaren deutschen Tennistriumph bei, als sie 1991 im Wimbledon-Finale Gabriela Sabatini in drei Sätzen schlug. Den anderen Teil zum total deutschen Wochenende besorgte seinerzeit Michael Stich, der Boris Becker schlug, an dem man damals, nachdem er gerade die Australian Open gewonnen hatte, nicht vorbeigehen konnte: Stich aber war es, der der Welt die Botschaft ewiger und totaler deutscher Siege überbringen sollte, aber weil man so einem jedes Scheitern zu jeder Zeit zutraute, wurde Becker auf die andere Seite des Netzes gestellt, um sicherzustellen, daß, sollte Stich wieder mal Bockmist bauen, doch ein Deutscher Wimbledon gewonnen hätte. Später dann beauftragte Deutschland seinen Textilfabrikanten Gerry Weber, in dem westfälischen Dorf Halle die Wimbledon-Tennisanlage einfach nachzubauen, damit die Nation, wenn es soweit wäre, ihre eigene inoffizielle Tennis-Weltmeisterschaft austragen könnte. Soweit zur Politik.

Zurück zum Sport. Bis 1991 war Stefanie Graf also eine richtig deutsche Sportlerin. Aber der Ärger mit dem Vater, mit dem Aufschlag, mit der Steuer und mit den dauernden Kernspintomographien haben etwas an ihr verändert. Folglich hat sie auch in diesem Jahr wieder das Finale in Wimbledon erreicht. Seit ihre Landsleute wieder etwas lauter zum Geschrei der ordinären Germans anheben, kümmert sich Graf nur noch um ihre eigenen Sachen. Um sie herum gehen derweil überall Epochen, Zeitabschnitte, nach Kleinstädten benannte Republiken und ganze Ären zu Ende - die Ära Becker, die Ära Bonn, die Sparwasser-Kolumnen-Ära, die Ära Herzog und die Ära Seilbahntourismus - nur Frau Graf muß unbedingt weiter spielen und gewinnen.

Das macht die Stefanie Graf in jenem historischen Moment, in dem die New York Times Boris Becker in einer Überschrift als "Aging Veteran" würdigt, in dem Helmut Kohl, der Chancellor of the Hearts, wie man sagt, seit Gerhard Schröder seine Sophie Rhys-Jones ehelichte, wieder eine Bundestagsrede hält, in dem die Frankfurter Allgemeine die endgültige Schlagzeile "Davenport im Halbfinale / Barbara Becker in den Wehen" formuliert und in dem selbst der Titelheld aus "Der alte Mann und das Geht-nicht-mehr", Lothar Matthäus, als Ort seines Karriereausgangs ausgerechnet New York ankündigt, in einem historischen Moment also, in dem gerade alles gut zu werden schien, ja, sogar Deutsch als europäische Amtssprache abgewimmelt werden könnte. Der Herzog ging, die Straßen, Sendeanstalten, Redaktionen und Kolumnenplätze schienen kurz vor der Erstürmung.

Doch die Graf blieb.