»Walker hat die US-Politik legitimiert«

Ein Gespräch mit dem Friedensforscher Johan Galtung über die Ursachen des Krieges und die Perspektiven für das Kosovo und Jugoslawien

Nach 75 Tagen Bombardierung Jugoslawiens. Kommt jetzt der Frieden?

Nein, überhaupt nicht! Es geht weiter. Ich erwarte jetzt einen Dreieckskonflikt zwischen der Nato, den Serben und den Albanern. Die Kosovo-Albaner werden bald verstehen, daß das Nato-Protektorat nichts mit Freiheit und Unabhängigkeit zu tun hat, daß für die Amerikaner etwas ganz anderes auf der Tagesordnung steht. Und da die nationalstaatliche Ideologie sich durch Krieg und Konflikte weiterentwickelt hat, ist kaum zu erwarten, daß sich die Nato-Soldaten nach drei Jahren zurückziehen können.

Daneben haben wir die großen Widersprüche zwischen den drei Hauptgruppen der Albaner und die Vendetta-Tradition unter ihnen. Und Thaqi, die Nummer eins der UCK, könnte in relativ kurzer Zeit auf derselben Liste stehen wie Manuel Noriega, Saddam Hussein, Pol Pot, Mohammed Aidid und Bin Laden. Das waren Leute, die die Amerikaner beworben haben unter der dualistischen Logik: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

Welchen Status wird das Kosovo denn künftig haben?

Ich hätte gerne eine Republik innerhalb der jugoslawischen Föderation gesehen. Das war auch die Position von Demaci, bevor er sich eher in Richtung UCK bewegt hat. Eine Republik, multinational - und das heißt mehr als Albaner und Serben. Die Grenzen offen, unbegrenzte Bewegungsfreiheit. Das wäre für mich die Ideallösung.

Jetzt sagen zwar alle, dazu sei es zu spät, es gebe zuviel Haß. Aber ich bin nicht sicher, ob es sich nicht nach einer Warteperiode in diese Richtung entwickeln könnte. Auch die Vojvodina könnte eine Republik werden, so daß Jugoslawien eine Föderation mit vier Republiken wäre. Dann müssen die Serben die Führer-Rolle ein wenig dämpfen und die Mystik, daß sie von Gott und von der Geschichte auserwählt seien, auch. Dort steckt das Hauptproblem.

Hat der Westen diese serbische Mystik ignoriert?

Ich glaube, die westliche Welt hat sich mit der Dämonisierung von Milosevic völlig verrannt. Man hat ihn größer gemacht, als er tatsächlich ist. Ihn mit Hitler zu vergleichen, ist Wahnsinn. Dann hat man keine Ahnung, wer Hitler war. Milosevics Konzept ist nicht Großserbien. Ich habe niemals in seinen Reden "Großserbien" gefunden, sondern etwas anderes - und ich kann das verstehen: Kein Serbe darf unter Ausländern leben. Und damit meint er: Kroaten, Bosniaken und Albaner. Und man versteht es, wenn man die Geschichte des Zweiten Weltkriegs anschaut. Das waren die Hauptfeinde. Sie haben Serben geschlachtet.

Sie haben behauptet, die Entscheidung für den Krieg sei im frühen Herbst des vergangenen Jahres gefallen.

Man nennt jetzt den August 1998, eine Sitzung des Republican Foreign Policy Committee im amerikanischen Senat. Gerhard Schröder soll es im Oktober erfahren haben. Zwischen August und Oktober hat es sich also entwickelt.

Was ist dann bis zum 24. März passiert?

Das Republican Committee hat gesagt, man müsse einen Anlaß haben. Und das müsse medial verwertbar sein, sonst ginge es nicht. Also hat man gewartet bis Racak. Was die wahre Geschichte über Racak ist, weiß ich nicht, ich bin kein Polizist. Es ist aber klar, daß der amerikanische Botschafter William Walker als OSZE-Chef eine sehr wichtige Rolle gespielt hat. Dazu muß man sich den Lebenslauf Walkers ansehen: Er war als CIA-Mann derjenige, der die "schwarze Arbeit" machte. Er war eine Woche vor dem Militärputsch 1987 auf Fidschi. Er war in El Salvador und Nicaragua, und er war immer vor Ort als derjenige, der Fakten produziert hat, wodurch man die interventionistische Politik der USA legitimieren konnte.

Das Faktum also, daß Walker dort war, spricht dafür, daß Zwischenfälle organisiert wurden. Damit habe ich nicht gesagt, daß ich nicht überzeugt bin, daß es auch die ethnischen Säuberungen gibt, meistens von der faschistischen Seite der Serben, den Tschetniks, den Troika-Gruppen von Seselj. Man kann fragen: Warum hat man sich nicht mehr auf Seselj konzentriert als auf Milosevic? Ich glaube, die Antwort darauf ist ganz einfach: Milosevic ist der Staatschef. Seine Kriminalisierung ist wichtig, weil man damit Serbien kriminalisiert. Serbien muß sterbien.

Haben Sie Belege für diesen Vorwurf?

Es sind so ungefähr dieselben Gründe wie zur wilhelminischen Zeit, Berlin - Bagdad. Die Widerstände lagen immer bei den Serben. Der Kaiser sagte 1914, man müsse mit den Serben abrechnen. Die Deutschen haben Jugoslawien 1941 besetzt, Widerstand gab es eigentlich nur von den Serben. Und jetzt hat man Serbien als ein kommunistisches Land konstruiert, als das Land, das in die neue ökonomische Weltordnung nicht einfügbar ist. Also muß es kaputt gemacht werden.

Ein anderer Grund könnte sein, daß Milosevic zu aufsässig war. Mit Ausnahme von ganz wenigen Staatsmännern - zum Beispiel in Rußland und China - haben alle gelernt: Ja, Herr Washington, bitte, Herr Washington. Wenn es dann einige gibt, die widersprechen, dann werden die Amerikaner außerordentlich nervös und außerordentlich aggressiv. Hier kann man einen weiteren Hauptgrund finden.

Auch Bündnisgrüne haben jetzt aber argumentiert, der neue deutsche Außenminister hätte den Bündnispartnern erst einmal Treue beweisen müssen, sonst wäre er nicht ernst genommen worden.

Das ist das gewöhnliche Politikerargument. Die Grünen haben kapituliert, sie sind jetzt völlig uninteressant. Bei den Grünen gab es in einem sehr wichtigen Punkt ein intellektuelles Defizit: Sie sahen nur zwei Möglichkeiten: Entweder ethnische Säuberungen oder Bombardements. Und das war falsch!

Es gab eine ausgezeichnete Alternative, nämlich die OSZE-Einheiten zu verzehnfachen - ohne William Walker als Botschafter - und die Ausdehnung des UN-Mandates von der Grenze Mazedonien-Kosovo bis zur Grenze Albanien-Kosovo. Das war eine Möglichkeit, mit einer leicht bewaffneten OSZE die ethnischen Säuberungen zu vermindern, zu verhindern sogar. Und im Anschluß hätte es zu einer großen Konferenz über die ganze Jugoslawien kommen müssen.

Eine andere Erklärung für die Reaktion der Grünen könnte lauten: Sie sind zuerst deutsch und dann grün.