Sterblicher Lodda

An den Niederlagen von Bayern München ist einer schuldlos: Lothar Matthäus

Raimund Hinko und Michael Schilling hatten in den letzten Wochen einen nur wenig beneidenswerten Job: Sie zeichneten für die Sport-Bild auf, was Lothar Matthäus zu sagen hatte. Von einem Insider zu erfahren, warum die Kicker des besten deutschen Fußballvereins innerhalb weniger Wochen plötzlich gleich zwei wichtige Spiele verloren, hätte interessant sein können.

"Lodda" hatte jedoch die sechsteilige Sport-Bild-Serie eher zum Anlaß genommen, sich ausgiebig über sein Lieblingsthema zu verbreiten. Das heißt Lothar - "Ich rede eben nicht nur viel, ich nehme auch viel wahr. Ungebügelte Hemden stören mich genauso wie Gürtel, die farblich nicht zu den Schuhen passen" - Matthäus, und der hat zu allem etwas zu sagen, außer zu eigenen Fehlern. Das erklärt, warum er beim Deutschen Fußball-Bund DFB als integrer, fähiger, intelligenter Mann gilt, dem nach Beendigung seiner aktiven Karriere der Posten des Bundestrainers angeboten wird. Wahrscheinlich, weil er so gut Sachen wegerklären kann, wie er schon bei einigen "Ausrastern" gezeigt hatte, wie dem einem Niederländer vor einigen Jahren entgegengeschleuderten "Dich hat Adolf wohl vergessen!"

Auch nach der Niederlage im Champions League-Finale gegen Manchester United blieben sportliche Erklärungen aus: "Manchester hatte den Sieg ganz sicher nicht verdient! Ich dachte an Gott. Hat er es den Bayern nicht gegönnt? Hat er nicht gewollt, daß ich diesen Pokal erstmals in den Hände halte? Ist Gott vielleicht Manchester-Fan?" fragt sich der verzweifelte Fußballspieler Matthäus, ohne zu bedenken, daß ein existenter Gott immer auch ein zurechnungsfähiger und daher ein "Ja! Was denn sonst?" in jedem Falle die richtige Antwort auf seine Fragen sein müßte.

Das liegt jedoch jenseits von Matthäus' Vorstellungskraft, deswegen findet er eine eigene Antwort. Bei der er selbstverständlich besser wegkommt: "Oder ist es so, daß Spieler, die sonst mehr im Hintergrund stehen, Finals entscheiden? 1974 Schwarzenbeck. 1975 und 1976 'Bulle' Roth. Jetzt Sheringham und Solskj3/4r. Vielleicht, dachte ich, entschädigt Gott so die Leute, die selten im Rampenlicht stehen. Weil die Stars, wie ich 1987 gegen Porto und diesmal vielleicht Effenberg, unter so viel Druck stehen, daß sie nicht befreit aufspielen können."

Was neben einem beachtlichen Talent, alles auf sich zu beziehen, immerhin beweist, daß ein Gott according to Lothar nur begrenzt Ahnung vom internationalen Fußball hat, denn mindestens Solskj3/4r ist schon seit Jahren einer der ManU-Stars, die aufgrund ihrer guten Leistungen ständig in den Schlagzeilen sind.

Allerdings bloß in England. Dem Land, aus dem der neue Champions League-Gewinner kommt, der selbstverständlich ein extrem unwürdiger Sieger ist: "Es tat mir bis tief ins Herz hinein weh, daß Manchesters Torwart Schmeichel am meisten jubelte, obwohl er der schlechteste Mann auf dem Platz war. Der hat 90 Minuten mehr für uns gespielt als gegen uns. (...) Und so ein Mann konnte sich jetzt feiern lassen. Wenn ich so eine Leistung abgeliefert hätte wie der eine oder andere Spieler von Manchester, hätte ich mich nicht wohl gefühlt mit dem Pokal."

Gefeiert wurde nach dem Match von den Bayern trotzdem; daß die "jungen Spieler sangen und tanzten", fand Matthäus "in Ordnung. Man kann eben nicht alles in sich hineinfressen." Nach der Niederlage im DFB-Pokal gegen Bremen zwei Wochen später hat der Mann, der von sich gern als "ein Lothar Matthäus" spricht, seine Ansicht über begossene Niederlagen allerdings grundlegend geändert: "Aber daß man sich da in den Armen liegt und lustig ist, das ist schon ein bißchen irritierend. Es wäre passender gewesen, wenn wir uns alle ein bißchen geschämt hätten."

Alle? Die anderen Bayern-Spieler hatten, bis auf Stefan Effenberg, ihre Endspiel-Elfmeter immerhin verwandelt und daher kaum Grund, zerknirscht in der Ecke zu sitzen. Zumal derjenige, der den letzten, entscheidenden Elfer Werder-Torwart Frank Rost fast in die Arme schoß, schon ein paar Zeilen später bekennt: "So weh der Fehler tut, ich kann damit leben."

Auch wenn sich Matthäus schon "in der Nachspielzeit seiner Karriere" befindet und kaum noch Chancen auf das Triple - Deutsche Meisterschaft, DFB-Pokalgewinn, Champions League-Sieger - hat. Seine eigene Nachfolge bei Bayern hat der Spieler ganz uneigennützig jedenfalls schon geregelt: "Die Sucherei (...) verstehe ich nicht ganz. Denn den besten Nachfolger für mich hat man in den eigenen Reihen." Dort steht, nein, nicht Matthäus, sondern - Jens Jeremies. Dessen Spielweise "mit der meinigen zu vergleichen, wäre zwar nicht korrekt. Aber mit seinen 25 Jahren erinnert er mich an den jungen Matthäus, der mit Kraft und Dynamik durchs Mittelfeld marschiert."

Wozu sollte der Verein angesichts eines solch fähigen Nachfolgers Lothar Matthäus behalten? Bevor sich auch das Bayern-Präsidium diese Frage stellen kann, relativiert der Rekordnationalspieler: "Vielleicht ist Jens nicht so torgefährlich, wie ich es damals war." Das ist kein Wunder, denn Matthäus hatte bei den jungen Spielern schon zuvor extreme Verweichlichung festgestellt: "Wenn ich schon das Gejammer höre, wie anstrengend das Reisen sei. Wer behauptet, Reisen im Flugzeug sei Streß, dem kann ich nicht helfen. Man bekommt einen Kaffee, ein Essen, man kann Zeitung lesen oder schlafen, es klingelt kein Handy. Was ist da bitte Streß?" Den wahren Streß können diese jungen Schnösel doch gar nicht kennen, verwöhnt, wie sie sind: "Es ist halt so, daß Leute, die neu kommen, mehr hofiert werden als altgediente. Man geht mit ihnen essen, bestellt ihnen eine Waschmaschine, besorgt ein Kindermädchen, eine Putzfrau, Eintrittskarten fürs Theater."

Das ist einem wie Lothar Matthäus gegenüber auch eine ziemliche Unverschämtheit. "Ich habe also momentan die Absicht weiterzumachen. Für Bayern. Für Deutschland. Auch wenn das ein großes Risiko für mich bedeutet." Denn: "Findet man einen Jüngeren, der die Leistung bringt, tauscht man einen Matthäus aus. Da nimmt niemand Rücksicht." Profifußball ist eben ein knallhartes Geschäft. Und das Risiko, ausgewechselt oder -getauscht zu werden, wird weder durch Waschmaschine noch Theaterkarten abgemildert? Pfui! Das hat ein Matthäus nicht verdient, zumal der sich trotz des groben Undanks noch großzügig zeigt: "Ich weine nicht. Das ist eben das Geschäft. Auch wenn es nicht schlecht wäre, mal einige zu hofieren, die schon länger im Verein sind."

Aber so ist das eben, "der Prophet gilt nichts im eigenen Land", und überdies ist Matthäus auch noch von gemeinen Menschen umgeben: "Manchmal denke ich, daß ich auf dem falschen Planeten lebe. Das dachte ich auch, als ich die Kritik von Jürgen Kohler hörte, daß man besser rigoros hätte neu aufbauen sollen, anstatt auf mich zurückzugreifen. Ich wollte eigentlich nichts dazu sagen, ich habe nie etwas Schlechtes über Kohler gesagt."

Aber ganz ungeschoren kann Matthäus den bösartigen Kohler natürlich nicht lassen: "Jürgen sollte sich lieber um sich selbst kümmern, anstatt sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen." Denn dessen Kritik war nicht seriös, entsprang sie doch purem Neid: "Vielleicht hat es ihn geärgert, daß ein 38jähriger schneller ist als er."