Riesters allgemeine Altenverunsicherung

Ran an die Rente!

Die Party-Jugendlichen stehen auf, die Malocher-Eltern fahren nach Hause, und die Pflege-Rentner essen Abendbrot: Um halb sechs - wenn im Sommer die Sonne ungefähr so hoch steht wie im Winter zur Tagesmitte - beginnt im Altersheim die Nacht. Nach dem Abendmahl geht's ab ins Bett: Rentner sind halt Frühaufsteher - oder müssen sich daran gewöhnen, auf einen zivilisierten (Lebens-) Abend zu verzichten. Die mickrige Rente reicht natürlich nicht aus, eine individuelle Betreuung zu finanzieren - eine, bei der man das macht, was schön ist an langen Sommerabenden: Würstchen grillen, Sternschnuppen zählen, Mückenstiche kratzen.

Geht es nach Arbeitsminister Walter Riester, müssen die Alten bald noch früher ins Bett. Vom Mittags- in den Nachtschlaf - das würde Kosten sparen und könnte fast die geplante Kürzung der Renten von derzeit knapp 70 Prozent des Nettolohnes auf 66 Prozent überflüssig machen. Riester geht dabei gar nicht einmal ungeschickt vor. Die Rentenkürzung soll auf zwei Jahre befristet werden - pünktlich zur nächsten Bundestagswahl wäre das Schlimmste schon überstanden.

Riester bricht damit mit der bisherigen Rentenlogik. Die Renten werden nämlich bislang an die Entwicklung der Nettolöhne angepaßt. Steigen diese, steigen in gleichem Maße auch die Renten. Das sei nicht nötig, argumentieren die Befürworter der Rentenkürzung, da die Nettolöhne hauptsächlich durch Steuererleichterungen stiegen, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Familienlastenausgleich ergeben. Deshalb, so Riester, müßten die Rentner auch bereit sein, einen geringeren Anstieg ihrer Bezüge hinzunehmen, ansonsten würden diejenigen, die Karlsruhe entlasten will, durch die nötige Anhebung ihrer Sozialabgaben belastet. Schließlich müßte die Rentenanpassung finanziert werden: entweder durch die Erhöhung des Bundeszuschusses an die gesetzliche Rentenversicherung oder die Anhebung der Beitragssätze.

Beides ist - sollen doch die Staatsausgaben und die Lohnnebenkosten gesenkt werden - politisch nicht gewollt: und zwar weder von Rot-Grün noch von der Opposition. Während die eine Regierung die Mehrwertsteuer erhöhte, um mit den Mehreinnahmen die Rentenkassen zu stützen und so die Sozialabgaben auf unter 20 Prozent drücken zu können, hieß das gleiche Unterfangen bei den anderen Ökosteuer. Faktisch zahlen so die Jungen, denen die Alten immer vorwerfen, sie seien nur zu faul zum Arbeiten, deren Rente mit - ob sie nun einen Job haben oder nicht.

Riesters Konzept enthält noch weitere grundlegende Überraschungen. Wozu ihn sein Chef zwingt, davon sollen auch die anderen nicht verschont bleiben: Zwangssparen. Riesters Plan, den die Fraktionen von SPD und Grünen allerdings ablehnen, sieht vor, daß die Beschäftigten bis zu 2,5 Prozent ihres Bruttolohnes in eine private Pflichtversicherung einzahlen. Auch wenn es harmlos klingt, verbirgt sich dahinter ein Systemwechsel: Nur die Beschäftigten - und nicht die Unternehmer - sollen die versteckte Beitragserhöhung zahlen. Die Sozialsysteme sind bisher noch so aufgebaut, daß Unternehmer und Beschäftigte sie zu gleichen Teilen tragen. Ganz nebenbei wischt Riester seinen ehemaligen Gewerkschaftskollegen eins aus, denn diese verfolgen den Plan eines Tariffonds für die Renten - zahlbar von beiden Seiten.

Aber Riester wäre kein Sozialdemokrat, würde er seine Pläne nicht mit einer progressiv erscheinenden Neuerung garnieren: der Grundrente. Davon sollen die vielen Beschäftigten - überwiegend Frauen - profitieren, die wegen geringer Löhne, Arbeitslosigkeit oder Kindererziehungszeiten nicht genügend Beiträge entrichten konnten, um einen adäquaten Rentenanspruch zu erzielen. Der Nachteil, der realpolitisch allen Grundsicherungsillusionen anhaftet: Die Grundrente hätte gerade mal Sozialhilfe-Niveau.

Allerdings zeigt dies die Richtung, wie die Sozialdemokraten die strukturelle Krise des Rentensystems langfristig zu überwinden suchen. Immer weniger Beitragszahler müssen eine immer größere Zahl von Rentnern finanzieren, deren Lebenserwartung steigt. Riesters Lösung des Problems: Die gesetzliche Rente wird auf eine Art Grundrente reduziert; wer es sich leisten kann, stockt durch private Versicherungen auf. Für die Party-Jugendlichen auf Ecstasy wird sich so in jedem Fall bewahrheiten, was Riesters Vorgänger Norbert Blüm schon immer wußte: Die Rente ist sicher - sehr gering. Aber manchmal ist das E-egal.