Unser Mann in der OSZE

Die Nato bombt sich in die erste Niederlage ihrer Geschichte. Dabei war der Kosovo-Krieg gut vorbereitet. Und die OSZE half mit

Die Nerven von Colonel Mike Philips liegen dieser Tage blank. "Ihre Fragen sind absolut lächerlich. Ich werde Botschafter William Walker wegen so einem Mist nicht stören", brüllt der ansonsten so stoisch ruhige Militär ins Telephon. Ursache für die Gefühlswallungen des Walker-Assistenten ist ein Katalog von Fragen, den Jungle World für den Chef der momentan nach Skopje ausgelagerten OSZE-Beobachtermission zusammengestellt hatte.

Schon seit Wochen liegen der Redaktion Informationen vor, die darauf schließen lassen, daß ein Teil der von November bis März im Kosovo stationierten 2 000 OSZE-Beobachter (dem auch 80 Bundeswehrsoldaten angehörten) für die Bomben der Nato die Vorhut gemacht haben. Wie aus zuverlässigen Quellen verlautet, waren die US-amerikanischen und britischen Mitglieder der OSZE-Mission während ihres Pristina-Aufenthaltes vornehmlich damit beschäftigt, die Nato mit Informationen über lohnende Ziele für Bomben aller Art zu versorgen. So landeten speziell für militärische Zwecke zusammengestellte Berichte aus der Zentrale der OSZE direkt im Brüsseler Nato-Hauptquartier. Die Altlasten dieser Korrespondenz mußten Stunden vor dem Abzug der OSZE-Beobachter am 20. März rasch beseitigt werden. Mitarbeiter der OSZE bestätigten gegenüber Jungle World, in der Nacht vor dem 20. März hätten im OSZE-Hauptquartier die Papierhäcksler nicht mehr stillgestanden.

Während Assistent Philips ob solcher Vergangenheitsbewältigung die Stimme erhebt, bleibt man im Nato-Hauptquartier ganz gelassen: "Der Informationsfluß zwischen Nato und OSZE verlief während der ganzen Zeit der Mission auf allen Ebenen. Im Nato-Hauptquartier war dafür eine Sondergruppe zuständig, die sich mit diesen Fragen befaßte. Der Leiter dieser Gruppe war in ständigem Kontakt mit William Walker", bestätigt etwa Nato-Pressesprecher Harald Bungarten auf Anfrage von Jungle World.

Auch mehrere ehemalige französische Mitglieder der OSZE-Mission teilten unabhängig voneinander mit, es habe eine gezielte Desinformationspolitik über die wirklichen Ziele der Mission gegeben. Alle Planungen der OSZE seien davon ausgegangen, daß der Mission nach spätestens zwei Monaten Nato-Angriffe folgen würden. Daß die Beobachter dann doch fünf Monate in Pristina zubringen mußten, war wohl ein Betriebsunfall.

Aber nicht nur nach Brüssel hatten die Hobby-Spione von der OSZE gute Beziehungen. Auch zur Kosovo-Befreiungsarmee UCK verfügte man über beste Kontakte. So erzählten die französischen Mitarbeiter am Freitag in Paris, die Organisation habe bei ihrem Abzug Dutzende Mobiltelefone in Pristina zurückgelassen, die bei der UCK gelandet seien. Bis die serbische Regierung auf die Idee verfiel, das Mobilnetz im Kosovo abzuschalten, so die Beobachter, habe die OSZE die Handy-Mania im Kriegsgebiet bezahlt. Und die US-Geheimdienste freuten sich, über die Handys jede Bewegung der UCK-Kader detailgenau mitverfolgen zu können.

Im Gegensatz zum perfekten Krisenmanagement der OSZE klappt momentan auf dem Balkan gar nichts. Die Desorientierung des westlichen Militärbündnisses gegenüber der ihrerseits ziemlich ignoranten Belgrader Führung offenbart sich immer wieder: Am Wochenende begann die Nato damit, Sendeanlagen des jugoslawischen Staatsfernsehens zu zerstören. Grund für diese drastische Maßnahme ist die Weigerung der Serben, der Nato sechs Stunden Sendezeit für eine Dauerwerbesendung zur Verfügung zu stellen. Dabei hatten die Serben durchaus originell auf den Nato-Wunsch reagiert: Man werde gerne über den Nato-Vorschlag nachdenken, wenn die Nato ihrerseits den Serben sechs Minuten Sendezeit in westlichen Fernsehanstalten zur Verfügung stelle.

Weil die Militärs inzwischen selbst nicht mehr an die heilende Kraft ihrer Strategie glauben, werden Schuldige in den Zirkeln der westlichen Politiker lokalisiert: Gefunden wurde die US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright. Sie soll nach Informationen aus Nato-Kreisen die treibende Kraft hinter den Luftschlägen gewesen sein, weil sie Milosevic falsch eingeschätzt habe: "Wie ein Rotzbub wird er klein beigeben, sobald nur eine Bombe gefallen ist", soll sie während einer Besprechung mit dem skeptischen US-Verteidigungsminister William Cohen geäußert haben. Das Pentagon hatte starke Zweifel angemeldet, daß Milosevic tatsächlich durch einen Luftkrieg zu beeindrucken sei.

Doch Frau Albright setzte sich durch - ein persönliches Trauma soll ausschlaggebend für das politische Roulettespiel gewesen sein: Die Ministerin stammt aus der Tschechoslowakei; ihre Familie wurde von den Nazis beinahe vollständig ausgerottet. Die Appeasement-Politik der Alliierten gegenüber Hitler ist Frau Albright bis heute abschreckendes Beispiel.

Wie fahrlässig die Sturheit der US-Außenministerin aber war, zeigte in der letzten Woche das amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek auf: Der US-amerikanische Generalstabschef Henry H. Shelton hatte Präsident William Clinton schon vor Wochen gewarnt, ein Luftkrieg würde "kurzfristig alles noch schlimmer machen".

Der Militär hat recht behalten. Inzwischen hat sich erwiesen, daß die Kriegsmaschinerie des Westens aus den Fugen gerät und der Konflikt zu eskalieren droht: Die UCK operiert verstärkt aus Albanien und trägt den Krieg damit ins Nachbarland. Erst am vergangenen Freitag kam es zu Gefechten zwischen UCK-Kämpfern und jugoslawischer Bundesarmee auf albanischem Territorium. Albanische Grenzdörfer liegen unter dem Beschuß serbischer Artillerie, weil die Milosevic-Truppen dort - nicht zu Unrecht, wie Aufnahmen mehrerer Fernsehteams beweisen - starke UCK-Verbände vermuten. Bald könnten diese Grenzdörfer noch intensiver mit serbischem Artilleriefeuer bedacht werden: Wenn die Nato in den nächsten Wochen 8 000 Soldaten und Raketenwerfer sowie zwei Dutzend Apache-Hubschrauber nach Albanien verlegt, dürften die Serben versuchen, die dafür verwendeten Militärbasen zu zerstören.

Auch wenn die Nato es bislang dementiert: Tatsächlich wird in Brüssel schon intensiv über die Entsendung von Bodentruppen nachgedacht. Der kanadische Verteidigungsminister Art Eggleton brach am Donnerstag vergangener Woche erstmals die Front der Dementis auf: "Bisher hat die Allianz im Sinn gehabt, Bodentruppen erst dann in das Kosovo zu schicken, wenn die jugoslawische Regierung einen Friedensplan akzeptiert. Nun, wenn das nicht möglich ist - und ich glaube, wir können jeden Tag sehen, daß die Milosevic-Regierung nicht willens ist -, wird sich die Nato natürlich andere Optionen überlegen müssen." Doch so viele Optionen gibt es gar nicht. Vor allem an menschlichen Ressourcen fehlt es bislang. Für einen Eroberungsfeldzug bräuchte die Nato etwa 100 000 Mann - die bisher nicht vorhanden sind.

Inzwischen denkt man bei der Nato sogar daran, die momentan in Mazedonien zur Untätigkeit verurteilten 23 000 Mann der ursprünglich für friedenssichernde Maßnahmen stationierten Nato-Truppe für einen Feldzug zu verwenden. Womit auch schon das nächste Problem im Raum steht: Mazedonien wird eine solche Zweckentfremdung nicht erlauben, weil sie zum Zusammenbruch des Landes führen könnte. Aber das hat die Nato ja noch nie gestört.