Ruhe im Luftraum

Das Oberverwaltungsgericht Frankfurt/Oder verbot der Bundesluftwaffe Tiefflüge über dem Wittstocker Bombenabwurfplatz

Brandenburger Gerichte sind immer für eine Überraschung gut. In den letzten Wochen wurden hier - anders als in Sachsen oder Berlin - für Neuruppin und Frankfurt an der Oder angemeldete NPD-Kundgebungen durch Gerichtsentscheid aus Sicherheitsgründen untersagt. Potsdamer Richter zweifelten am Sinn der Wehrpflicht und verlangten im Fall eines Wehrdienstverweigerers eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Gültigkeit des Zwangsdienstes in neuer politischer Situation.

Und am 24. März schließlich entschied der 3. Senat des Frankfurter Oberverwaltungsgerichtes, daß die Bundeswehr die Wittstock-Ruppiner Heide im Bereich der Gemeinden Schweinrich und Rossow nicht mehr als Übungsgebiet nutzen dürfe. Damit wurde den Klagen der an den Grenzen des Bombenabwurfplatzes gelegenen Gemeinden gegen eine militärische Nutzung im Berufungsverfahren stattgegeben.

Das Oberverwaltungsgericht verschärfte dabei in seinem Urteil noch den 1996 gefällten Spruch des Potsdamer Verwaltungsgerichts aus der ersten Instanz. Damals war der Bundeswehr, die den von der Sowjetarmee in den fünfziger Jahren eingerichteten Luftwaffen- und Infanterieübungsplatz mit 3 000 Einsätzen und Bombenabwürfen je Jahr einfach weiternutzen wollte, ein förmliches Planungsverfahren auferlegt worden. Die Frankfurter untersagten der Luftwaffe darüber hinaus die bislang üblichen Tiefflüge über Rossow und Schweinrich.

Zur Begründung führte der Vorsitzende Richter Henning Krüger an, daß die vorgesehene Nutzung durch die Bundeswehr die Planungshoheit der Gemeinden verletze, ohne daß es dafür eine gesetzliche Grundlage gebe. Krüger räumte zwar ein, es stehe außer Frage, daß die Bundeswehr ausreichend Übungsplätze benötige, vielleicht sogar diesen speziellen Luft-Boden-Schießplatz. Aber auf so "einfache Weise" wie bisher könne sich die Bundesrepublik die dafür benötigten Flächen nicht verschaffen. Man müsse sich schon an die in der ganzen Bundesrepublik geltenden Verfahren halten. Zwar betrifft diese Entscheidung, zu der keine Revision zugelassen wird, von insgesamt neun Klägern nur zwei Gemeinden, deren Grenzen allerdings auch 50 der insgesamt 142 Quadratkilometer Übungsgelände umfassen. Schweinrich liegt an der Nordspitze des langgestreckten Bombenabwurfplatzes, Rossow im Süden, unweit des bisherigen Zielgebietes der Bomber. Damit dürfte die Gesamtnutzung des Platzes unmöglich werden.

Die nach Frankfurt angereisten Mitglieder der Bürgerinitiative Freie Heide begrüßten den Spruch mit Jubel. Schließlich hatten Tausende Bürger der 46 Anrainerdörfer seit 1992 versucht, die Bundeswehr mit über 50 Protestmärschen und Unterschriftensammlungen auf Distanz zu halten. Reiner Geulen, Anwalt der Bürgerinitiative, meinte prompt, das sei das endgültige Aus für das Bombodrom. Pfarrer Benedikt Schirge, einer der Sprecher, sah hier endlich eine "ganz wichtige Wende" zur zivilen und touristischen Nutzung der Heidelandschaft. Nun könne auch die Politik nicht mehr an den Fakten vorbei. Das heiße konkret Verzicht auf das Bombodrom.

Schirge spielte damit auf Verteidigungsminister Rudolf Scharping an, der den Bürgern 1994 während einer Wahlkampftour als SPD-Kanzlerkandidat in die Hand versprochen hatte, daß die Heide nach einem Wahlsieg der Sozialdemokraten nicht als Übungsgelände für Bombenabwürfe genutzt werden würde. Nach seiner überraschenden Ernennung zum Verteidigungsminister reagierte Scharping plötzlich nicht mehr auf die drängenden und bittenden Briefe der Bürgerinitiative. Er beugte sich - wie immer - den sogenannten Sachzwängen. Noch im Oktober 1998 hatte er eine in der SPD diskutierte Verkleinerung der Bundeswehr auf 200 000 Mann als "frei erfunden" dementiert. Eine Idee, die Scharping selbst vor Jahren noch in der Presse vertrat. Im November bekannte er sich zum Bau des Eurofighters. Er wolle schließlich keinen Vertrag brechen, der international abgeschlossen sei. Andernfalls würde die Verläßlichkeit der Bundesrepublik in Frage gestellt. Zum Bombodrom äußerte er sich offiziell erst nach weit über 100 Tagen Amtszeit in diesem Frühjahr. Und er fällte keine Entscheidung, sondern zog sich - typisch für Politiker in letzter Zeit - hinter die angekündigte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Frankfurt/ Oder zurück. Diese wolle er abwarten.

Der Minister wartet noch immer. Anwalt Volker Disselberg, der die Hardthöhe vertrat, hielt die Entscheidung für "im Ergebnis nicht richtig". Da das Gericht eine Revision nicht zulassen wolle, wäre eine Nichtzulassungsbeschwerde durchaus möglich. Das Verteidigungsministerium selbst wollte sich bislang zum Frankfurter Urteil nicht äußern. Es werde keine Stellungnahme geben, solange nicht die schriftliche Urteilsbegründung vorliege und geprüft sei, sagte ein Sprecher. Das alles könne Wochen dauern. Dem Minister hätte die deutliche Entscheidung der Frankfurter Richter genügen können, doch er wird den Rechtsstreit wohl bis zum bitteren Ende führen wollen. Die Bundesluftwaffe braucht den Platz. Das machen die Bombenangriffe auf Jugoslawien überdeutlich.

Die Luftwaffe hat zwar drei Viertel aller Übungs- und Tiefflüge inzwischen ins Ausland verlegt, beispielsweise an die kanadische Goose Bay. In Labrador und Ost-Quebec können in Baumwipfelhöhe mit 1 000 Kilometern je Stunde Tiefflug und Waffeneinsatz geübt werden. Doch in Krisensituationen können Bundeswehrpiloten für nötige Trainingseinheiten nicht erst nach Kanada verlegt werden. Dafür wird das Übungsgebiet vor der Haustür benötigt. In der Bundesrepublik aber sind Flüge unter 300 Metern bis auf Ausnahmen in ausgewiesenen Tieffluggebieten und über See verboten. Über Land sind hier 75 Meter gestattet. Theoretisch. Als im Sommer letzten Jahres nach Anwohnerbeschwerden ein mobiles Radargerät der Luftwaffe westlich des Bombodroms bei Perleberg Station machte, unterschritten sechs von 13 registrierten Tieffliegern die Mindestflughöhe.

Offensichtlich wurden die Tiefebene und das nahe Bombodrom für das Tiefflugtraining genutzt. Beim Kölner Luftwaffenamt konnte niemand die hohe Zahl der Verstöße erklären. Über dem Bombodrom selbst wurden von Anwohnern nicht selten Flüge in Höhen von vielleicht 30 Metern beobachtet. Nur zwei Monate später segnete der Bundestag die Beteiligung von ECR-Tornados am Luftkrieg gegen Jugoslawien ab.

Bei ihrer 53. Protestwanderung am Ostersonntag in Fretzdorf freuten sich fast 5 000 Demonstanten nicht nur über den ersten Sieg vor Gericht, sie verabschiedeten auch eine Resolution, in der die sofortige Beendigung der Nato-Bombardements gefordert wird. Ihnen geht es nicht nur um eine heile Welt in der Heide.