Feuerschutz von der Nato

Mit dem Beginn der Nato-Bombardements ist der Konflikt im Kosovo eskaliert. In Bosnien und Mazedonien wächst die Unruhe

Die Aussendung des serbischen Informationsministeriums vom vergangenen Donnerstag versprühte wieder einmal den Charme der üblichen Verbalinjurien des Milosevic-Regimes. Ungewöhnlich war dieses Mal nur der Adressat der Angriffe: "Vuk Draskovic ist inkompetent und seine oft blöden und unangemessenen Aussagen soll man nicht in Betracht ziehen", so die Belgrader PR-Strategen.

Der Zwist zwischen dem Informationsministerium und dem serbischen Vizepremier entbrannte wegen der Ausweisung westlicher Journalisten aus Belgrad: Draskovic ließ kurz nach Beginn des Rauswurfs verlauten, dieser sei "suspendiert". Dabei hätte es dieses Entgegenkommens gar nicht bedurft: Die meisten ausländischen Journalisten waren längst ausgereist, Informationen aus Belgrad nur noch dem staatlichen Rundfunk zu entnehmen.

Worüber die Fernsehmacher von Milosevics Gnaden nicht berichteten, ist die Zerschlagung der oppositionellen Kräfte in Jugoslawien. Schon in der Nacht des ersten Nato-Angriffs stürmte eine Spezialeinheit des serbischen Innenministeriums die Räumlichkeiten des privaten Radiosenders B 92; der Sender wurde geschlossen. Zwanzig weiteren serbischen Privatradios und zehn privaten Fernsehsendern entzogen die serbischen Behörden die Frequenz.

Auch die Opposition in Belgrad leidet unter dem Kriegsrecht, das der Regierung die legalistischen Rahmenbedingungen bietet, um die bisher allenfalls geduldeten oppositionellen Aktivitäten endgültig zu verbieten.

Etwas anders als in Serbien stellt sich die Situation in der kleineren jugoslawischen Teilrepublik Montenegro dar. Dort versucht Präsident Milo Djukanovic eine Gratwanderung: Einerseits verurteilte er die Nato-Schläge auf die Hauptstadt Podgorica und weitere Ziele, andererseits gilt er als erbitterter Gegner Milosevics - weshalb der Westen ihn schätzt. Tausende Kosovo-Albaner flohen in den letzten Tagen aus dem brennenden Kosovo nach Montenegro, doch auch dort wird die Lage heikler: Insbesondere die zweite Phase der Nato-Luftangriffe - die Bombardierung von jugoslawischen Truppen - könnte Djukanovic in Bedrängnis bringen. Denn erstmals sollen auch aus Montenegro entsandte Soldaten im Kosovo umgekommen sein. Die Verwicklung in den Krieg könnte unter montenegrinischen Politikern eine Kettenreaktion auslösen, an deren Ende Bestrebungen nach einer Unabhängigkeit Montenegros stehen.

Auch der südliche Nachbarstaat Jugoslawiens, Mazedonien, wird immer stärker in den Konflikt hineingezogen. Alexandra Seipel, OSZE-Sprecherin in der mazedonischen Hauptstadt Skopje, zeigte sich gegenüber Jungle World über die Lage in Mazedonien besorgt: "Man kann hier keinem Menschen die humanitären Ziele der Nato-Aktion erklären." Seit die Nato ihre Kampfjets über Jugoslawien entleert, kommt es innerhalb der Regierung, in der auch Vertreter der albanischen Minderheit sitzen, zu Konflikten: In mazedonischen Zeitungen wird inzwischen unverblümt ein Beitritt Mazedoniens zur Nato gefordert.

Die bislang geschlossene Nato-Front scheint derweil erste Risse zu zeigen. Nach Angaben der linksliberalen griechischen Tageszeitung Elefterotypia habe US-Präsident William Clinton ein Fax an den griechischen Regierungschef Simitis gesandt: Griechenland solle sich der Nato-Doktrin unterordnen.

Die Pasok-Regierung befindet sich in einer schwierigen Lage. Die Bevölkerung ist gegen die Nato-Einsätze; letzte Woche kam es zu Demonstrationen gegen den Krieg in Athen und Thessaloniki - wo jeweils mehr als 10 000 Menschen protestierten. Ein Sprecher der griechischen Regierung forderte ein Ende des Bombens. Die Äußerung Clintons, der Konflikt könnte sich auf Griechenland und die Türkei ausweiten, wurde von der griechischen Presse als Drohung gewertet, daß die Nato ihr Schutzschild über Griechenland abbauen und der Türkei freie Hand auf Zypern und in der Ägäis lassen. Zwei Tage nach der Clinton-Äußerung erklärte der türkische Premier Ecevit nach Angaben der Elefterotypia, ein Krieg mit Griechenland sei ausgeschlossen, außer, Griechenland verlasse die Nato.

Auch in Italien fanden in der vergangenen Woche größere Anti-Kriegs-Demonstrationen statt. Explizit gegen die Nato-Angriffe wandten sich die Partei der italienischen Kommunisten (PdCI), die ihre zwei Minister aus der Regierung zurückziehen will, die italienischen Grünen sowie die mittlerweile oppositionelle Rifondazione comunista.

Doch der Konflikt eskaliert weiter. Auch in der an Jugoslawien angrenzenden bosnisch-serbischen Teilrepublik Srpska brodelt es. Schon seit der Ausrufung Brckos zur neutralen Zone boykottieren die politischen Repräsentanten der bosnischen Serben die Gremien des Zentralstaats.

Alexandra Stiglmayer, Pressesprecherin von Carlos Westendorp, dem Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina, erwähnte gegenüber Jungle World "Gerüchte, daß die bosnischen Serben eine Freiwilligen-Armee zusammenstellen". Derzeit sei dies aber keine Massenbewegung. Als unmittelbare Reaktion auf die Ereignisse im Kosovo ließ Westendorp kleinere Büros in der Republika Srpska schließen, nachdem sie von Serben angegriffen worden waren. Die Sfor-Führung drohte Angriffe auf die bosnisch-serbischen Rundfunksender an, falls diese ihre Berichterstattung nicht mäßigten.

Eine destabilisierende Wirkung des Nato-Angriffs auf Bosnien befürchtet auch die OSZE in Sarajevo. Im November soll in der Teilrepublik gewählt werden - ein Wiedererstarken der nationalistischen Kräfte um Radovan Karadzic wird nicht mehr ausgeschlossen.

Im Kosovo selbst verstärkte die jugoslawische Armee ihre Angriffe. Seit die Nato sich darauf konzentriert, serbische Flugabwehr-Stellungen auszuschalten, wütet die Armee im Kosovo um so intensiver. Beinahe sämtliche Einrichtungen der Kosovo-Albaner wurden niedergebrannt, darunter auch das Hauptquartier von Kosovo-Präsident Ibrahim Rugova. Der Chefredakteur der kosovo-albanischen Tageszeitung Koha Ditore mußte untertauchen.

Allein am Samstag flohen 20 000 Menschen nach Albanien und Mazedonien. Das Kalkül Milosevics ist von verblüffender Trivialität: Wo es keine Kosovo-Albaner mehr gibt, dort gibt es auch keine Probleme mit deren Unabhängigkeitsbestrebungen.

Nach Informationen aus Pristina haben die serbischen Sicherheitsbehörden am Wochenende damit begonnen, Zivilisten im Stadion von Pristina zu sammeln. Zwecks Errichtung eines menschlichen Schutzschildes wird die Zivilbevölkerung auch rund um potentielle Angriffsziele der Nato-Bomber zusammengetrieben. Wer übrigbleibt, sind die Kämpfer der separatistischen Befreiungsarmee UCK. Die hat schon am Freitag begonnen, ihre Angriffe gegen serbische Stellungen zu intensivieren. Ohne Zivilbevölkerung können sich die beiden Kriegsparteien nun um so rücksichtsloser bekämpfen - sämtliche Hilfsorganisationen haben das Kosovo bereits verlassen.

So manövriert sich die Nato in eine Situation, die sie bislang immer noch zu verhindern trachtete: Weil durch Luftangriffe die Situation immer mehr eskaliert, könnten der Allianz zum "Erhalt ihrer Glaubwürdigkeit" nur noch Bodentruppen helfen. Der EU-Vermittler Wolfgang Petritsch deutete am Wochenende an, daß es über kurz oder lang keinen anderen Weg gebe als die Entsendung der Bodentruppen. Das Ergebnis dürfte klar sein: Das entvölkerte Kosovo wird zum internationalen Protektorat unter Schirmherrschaft der Nato und Mitwirkung der UCK.