Wegweisen statt weglaufen

Seit zwei Jahren gilt in Österreich das Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt: Prügelnde Ehemänner müssen die Wohnung verlassen

Rückkehr verboten! Gewalttäter müssen in Österreich raus aus der Wohnung, seitdem im Mai 1997 das "Gesetz zum Schutz vor Gewalt" in Kraft getreten ist. Sind die Opfer von "häuslicher" Gewalt nun tatsächlich besser geschützt? Wo liegen die Stärken und Schwächen des Gesetzes? Wie oft wurde das Gesetz überhaupt angewendet? Nach fast zwei Jahren kann eine erste Bilanz gezogen werden.

Die gesetzliche Regelung muß als Reaktion auf die zunehmende und gleichzeitig immer noch tabuisierte Gewalt in den Familien verstanden werden, und es ist mit Sicherheit ein Verdienst der neuen Frauenbewegung aus den siebziger Jahren, daß familiäre Gewalt überhaupt ein Thema geworden ist. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts besaß in Österreich der Ehemann ein offizielles Züchtigungsrecht gegenüber seiner Frau. Einzige Einschränkung: Er durfte sie nicht umbringen.

Aus dieser Geschichte begründet sich wohl auch die bis heute herrschende gesellschaftliche Toleranz gegenüber familiärer Gewalt. Das zeigt sich nicht nur an der Akzeptanz von Schlägen als Erziehungsmittel bei Kindern. Das zeigt sich auch am männlichen Selbstverständnis. Die "Herren im Haus", die ihren Gemahlinnen nicht immer wieder mal zeigen, wo es langgeht, was sie zu tun und zu lassen haben, werden in Österreich immer noch gerne als Waschlappen lächerlich gemacht.

Das Gesetz zum Schutz vor Gewalt kann freilich nicht alle Aspekte von Gewaltsituationen berücksichtigen. Aber mindestens gegen körperliche Mißhandlungen und grobe Äußerungen von Psychoterror sind die meist weiblichen Opfer oder die Kinder geschützt. Eines natürlich vorausgesetzt: Die Frau muß in akuten Fällen zum Telefonhörer greifen, um die Exekutive anzurufen. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, als Betroffene über das jeweilige Bezirksgericht eine Einstweilige Verfügung zu erwirken, die eine Wegweisung, d.h. die Verbannung des Täters aus der gemeinsamen Wohnung, von maximal bis zu drei Monaten ermöglicht, wenn eine gewalttätige Situation wie beispielsweise Psychoterror nachgewiesen werden kann; dazu sind allerdings ärztliche oder psychologische Atteste notwendig.

Darüber hinaus kann auch ein Verbot, sich in einer bestimmten Umgebung aufzuhalten, ausgesprochen werden. Eine Frau kann beantragen, daß der mißhandelnde Mann die Umgebung ihres Arbeitsplatzes oder die Umgebung des Kindergartens oder der Schule des Kindes nicht betreten darf, wenn die Gefahr einer Mißhandlung besteht.

Bekannt geworden sind in Österreich im Zeitraum von Mai 1997 bis Dezember 1998 rund 4 500 Fälle von häuslicher Gewalt, die mit einer Wegweisung des Täters endeten. Tendenz - mit der Zahl der Meldungen und der Bekanntheit des neuen Gesetzes - steigend. Allein 1998 intervenierten Polizei und Exekutive täglich 55mal bei familiären Streitigkeiten, jeweils sechs pro Tag endeten mit einer Wegweisung von gewalttätigen Personen. Unterm Strich kann also davon ausgegangen werden, daß jeder neunte Streitschlichtungs-Einsatz der Exekutive mit einer Wegweisung endet. Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt: "Wir haben im Vorjahr 188 Opfer häuslicher Gewalt betreut, 186 davon waren Frauen."

Bei weitem nicht alle Fälle von häuslicher Gewalt werden überhaupt bekannt. Fraueneinrichtungen schätzen, daß jährlich 300 000 Frauen Opfer von innerfamiliären Mißhandlungen werden. Die Dunkelziffer könnte sogar noch viel höher liegen, da das Schweigen über die Gewalt immer noch weit verbreitet ist.

Dieses Schweigen der Frauen hat sicherlich mehrere Gründe: Wesentlich scheint die Angst zu sein. Mit einer Drohung nach dem Strickmuster: "Wenn du irgend jemandem etwas erzählst, dann ...!", lassen sich viele Frauen oder auch mißhandelte und sexuell mißbrauchte Kinder von einem Schritt "nach draußen" abhalten. Aber auch die Angst, nicht ernstgenommen, vielleicht gar ausgelacht zu werden, hindert Frauen und auch Kinder am Reden.

Der Idee eines wirkungsvollen Opferschutzes verpflichtet, stand vor der Einführung des Gesetzes zum Schutz vor Gewalt die Überlegung, als Begleitmaßnahme in allen Bundesländern je eine Interventionsstelle gegen Gewalt einzurichten. Aus finanziellen Gründen wurden diese Einrichtungen gestrichen und konnten - in dezimierter Form - erst nach einigen Protesten durchgebracht werden. Die Finanzierung dieser - derzeit fünf - Interventionsstellen haben je zur Hälfte das Innen- und das Frauenministerium übernommen. Weitere Interventionsstellen sind - entsprechend dem ursprünglichen Plan - angestrebt.

Arbeit mit den Opfern gibt es für die Mitarbeiterinnen in diesen Einrichtungen, aber auch in bestehenden Beratungsstellen und in den Frauenhäusern genug. Die Betroffenen müssen nicht nur über ihre Rechte aufgeklärt werden, sondern brauchen - abgesehen von Zuspruch und Verständnis - meist auch Unterstützung bei ihren Behördenwegen und bei der Einhaltung von Fristen.

"Das Gesetz ist als Präventionsmaßnahme zu verstehen", meint Rosa Logar. "Es hat für die durchschnittlichen prügelnden Ehemänner eine abschreckende Wirkung. Viele Frauen haben uns berichtet, daß ihre Männer nicht mehr wagten hinzuhauen, wenn sie einmal mit einem Rückkehrverbot belegt waren. Der Verlust des Zuhauses schmerzt offensichtlich doch sehr. Das Gesetz wirkt aber nicht bei notorisch gefährlichen Gewalttätern, in solchen Fällen hilft nur die Haft."

In Folge der immer häufiger ausgesprochenen Rückkehrverbote wurden - wie konnte es anders sein - viele Stimmen laut, daß es Beratungsstellen für gewalttätige Männer geben solle. Die erste derartige Einrichtung wurde nun im Februar in Salzburg installiert und rief viele Diskussionen hervor. Die Beratungsstelle folgt dem Prinzip "Solidarität mit den Tätern, Verurteilung der Tat", so der bislang einzige Mitarbeiter Harald Burgauner. Durch die "erweiterte Kenntnis der Täterperspektive" stelle sie einen wichtigen Beitrag zum Opferschutz dar. Im ersten Jahr werden 50 Männer erwartet, die sich nach Gewalt-Eskalationen freiwillig an die Beratungsstelle wenden.

Nach bald zwei Jahren sind auch die Schwächen des neuen Gesetzes klar zu sehen. Die Einstweilige Verfügung - also die gerichtlich verhängte Wegweisung des Gewalttäters - endet nach maximal drei Monaten, wenn bis dahin keine Scheidungsklage eingereicht wurde. "Diese Frist ist erstens zu kurz, und zweitens ist für viele ältere nicht berufstätige Frauen oder Migrantinnen eine Scheidungsklage gar nicht empfehlenswert. Auch Kinder sind nicht länger als maximal drei Monate geschützt. Was mit ihnen nach Ablauf der Frist geschieht, ist im Gesetz nicht einmal definiert", so Logar. Die MitarbeiterInnen der diversen Beratungsstellen fordern deshalb die Novellierung des Gesetzes.

Logar: "Wir müssen auch davon wegkommen, daß Gewalt laut Gesetz nur in bestehenden Beziehungen möglich ist." Deshalb sei auch abzulehnen, daß Einstweilige Verfügungen nur dann beantragt werden können, wenn das Zusammenleben nicht länger als drei Monate zurückliegt. Wer wisse, wie lange sich unverarbeitete Trennungsgeschichten hinziehen können, werde bestätigen, daß "Besitzansprüche" sogar nach Jahren noch gewalttätig eingefordert werden können.

Insgesamt ist das Gesetz heute unumstritten. Die steigende Zahl der Rückkehrverbote ist auf die wachsende Bekanntheit des Gesetzes und auf die häufigere Anwendung durch die Exekutive zurückzuführen, die gelernt hat, mit den Möglichkeiten des Gesetzes umzugehen.

In manchen konservativen Kreisen wurde zwar versucht, die Wegweisung gegen die Notwendigkeit von Frauenhäusern auszuspielen. Die Argumentation: Da es das Wegweiserecht gibt, brauche man keine Fluchtmöglichkeit in Frauen- oder Weglaufhäusern mehr. Alle, die sich jedoch ernsthaft mit den vielen Aspekten und dem Ausmaß der familiären Gewalt befassen, wissen, daß vielfältige Maßnahmen der Gewaltprävention nötig sind.