Institutioneller Rassismus in England

Test für Bobbies

Englands Innenminister Jack Straw macht sich ungewöhnliche Gedanken: Ein Rassismus-Test für britische Bobbies muß her, so seine Forderung.

Denn: Die britische Polizei ist institutionell rassistisch. Diese überraschende Erkenntnis dominierte letzte Woche die öffentliche Debatte über Rassismus in England. Dumm gelaufen für die Metropolitan Police Force of London, auch Met genannt: Nun darf sie jeder als rassistisch bezeichnen - abgesegnet von einer Kommission, die von der Regierung eingesetzt wurde.

Anlaß für die Aufregung ist der Fall Stephen Lawrence: Der 18-jährige Schwarze war vor über sechs Jahren in London von weißen Jugendlichen erstochen worden; fünf Verdächtige wurden später aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Normalerweise kommt solchen Mordfällen keine besondere Aufmerksamkeit zu, weder bei der Met noch in der Presse. Die Eltern des Opfers wollten sich jedoch mit dem Bescheid der Polizei nicht zufriedengeben, strengten ein Zivil-verfahren gegen die Verdächtigen an und sorgten so dafür, daß das öffentliche Interesse an dem Mord in den vergangenen Jahren größer wurde.

Nach dem Amtsantritt der Labour-Regierung hatte Innenminister Jack Straw die Einsetzung einer Untersuchungskommission im Fall Lawrence angekündigt; die Leitung wurde William Macpherson, einem Konservativen und ehemaligen Mitglied des höchsten Gerichtshofs von England, anvertraut. Dies galt als Zeichen, daß die Kommission kein Interesse an einer kritischen Untersuchung haben würde.

Und doch wurde in dem nun veröffentlichten Bericht genau aufgelistet, wie schlecht die an der Untersuchung beteiligten Beamten gearbeitet haben. Als kleine Sensation dabei gilt die Bezeichnung der Met als "institutionell rassistisch". Selbst Londons Polizeichef Paul Condon mußte der Kritik zustimmen. Widerwillig und erst, als dem Vorwurf der mildernde Zusatz "unwittingly", unbeabsichtigt, hinzugefügt worden war.

Die Aufregung, die plötzlich in England zum Rassimus in den Institutionen um sich greift, läßt vermuten, daß das Land ohne den Fall Lawrence einfach in dem Glauben weitergelebt hätte, alle öffentlichen Einrichtungen würden Schwarze und Weiße gleich behandeln. Jetzt herrscht die Hoffnung vor, ein paar Wochen öffentlicher Debatte würden ausreichen, Diskriminierung zu überwinden.

Denn ändern wird sich wohl wenig - außer dem Polizeirecht: Der Macpherson-Bericht enthält insgesamt siebzig Reformvorschläge, von denen einige sogar umgesetzt werden sollen: Durch eine erweiterte Anwendung des Race Relation Act wird es in Zukunft möglich sein, gesetzlich gegen die Polizei vorzugehen, wenn die sich rassistisch verhält. Teilen der Öffentlichkeit wird nun erstmals bewußt, daß die bisherige Fassung des Gesetzes für die Polizei nicht galt. Der Anteil schwarzer und asiatischer Polizeibeamter soll zudem von zwei auf sieben Prozent erhöht werden.

Paul Condon jedenfalls muß nicht zurücktreten - seine Dienstzeit endet ohnehin in zehn Monaten. Auch die fünf Beamten, die 1993 für die Ermittlungen verantwortlich waren, müssen keine Disziplinarstrafen fürchten: Vier von ihnen haben sich in den Ruhestand versetzen lassen. Für Stephens Eltern hingegen ist der Ausgang des Falls unbefriedigend: Ein erneutes Strafverfahren gegen die vermutlichen Mörder ihres Sohnes ist sechs Jahre später unwahrscheinlich. Die britische Tageszeitung Independent schreibt: "Am Ende ist Stephen Lawrence der einzige in dieser traurigen Saga, der bezahlt: mit seinem Leben."