Schafkopf und Schwein

Im ostfriesischen Leer sind Ausfälle gegen "Judenvereine oder so" billig zu haben. Vor allem, wenn man mit dem CDU-Fraktionschef Doppelkopf spielt

Im Internet gibt sich die ostfriesische Kleinstadt Leer (35 000 Einwohner) einladend. Vom "Schmuckkästchen" Altstadt ist da die Rede, von weiten Feldern, grünen Wiesen und langen Deichen: Orte der Ruhe und Erholung. Und es soll noch besser werden. "Alle können einen wichtigen Teil dazu beitragen, die Qualität unserer Stadt zu steigern", heißt es auf der Homepage der Stadt. Einige "engagierte Bürger", die sich im Arbeitskreis Stadtmarketing (ASL) zusammengeschlossen haben, arbeiten am Image der Stadt - als "Ideengeber für eine positive und zukunftsweisende Stadtentwicklung".

Ideengeber will auch der Rechtsanwalt und Fraktionsvorsitzende der Allgemeinen Wählergemeinschaft (AWG), Gerd Koch, sein. "Asylanten, Russen, Penner und Zigeuner sind und bleiben das Problem unserer Gesellschaft", schrieb er dem Verband für Sinti und Roma in Hannover. Und einem Sozialhilfeempfänger, den er als "kaputten Typen" bezeichnete, riet er, "sich in ärztliche Behandlung zu begeben (...) oder auf andere Art und Weise eine Endlösung" herbeizuführen. Beide Male blieben Kochs Invektiven folgenlos.

Seit Jahren macht der ostfriesische Jurist per Fax seine Ressentiments öffentlich (Jungle World, 49/98). Auch als er 1985 dem Vorsitzenden der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Pastor Udo Groenewold, versicherte, er werde alles daransetzen, daß Juden nie wieder Leer besuchten, blieben seine Faxe folgenlos. Die Juden kamen trotzdem, schon zweimal. Im Sommer letzten Jahres schickte Koch ein weiteres Fax an den "Judenverein oder so", in dem er das Bemühen von Nazi-Opfern um Entschädigung als "Abzocken" bewertete. Im Stadtrat und Kreistag forderte man ihn zur Rückgabe aller seiner politischen Mandate auf. Und diesmal gab es eine Anzeige.

"Faxen-Gerd" war sich seiner Sache sicher. Seine Ideen stoßen nämlich bei vielen auf Verständnis, die sich nicht trauen, ihre Meinung offen zu sagen. Hinter vorgehaltener Hand werden seine Formulierungen zwar kritisiert, in der Sache aber gibt man ihm recht. Bei den Bürgermeisterwahlen 1996 erreichte er die zweithöchste Stimmenzahl und als Landtagskandidat sogar 25 Prozent.

Bei den Honoratioren hat er auch seine Kameraden: Walter Düngemann z. B., CDU-Fraktionsvorsitzender, ist Kochs Doppelkopf-Kumpel; Bürgermeister Günther Boekhoff (SPD) kam schon zu seiner Geburtstagsfeier; bei der Polizei kannte er, so der stern, "den Zifferncode für das Türschloß"; und den Direktor des Amtsgerichts bezeichnet er als seinen Freund. Koch ist in Leer ein angesehener Mann.

Trotzdem kam es Anfang Februar zum Prozeß, schließlich "soll keiner das Gefühl haben, daß hier in Justizkreisen etwas wegretuschiert wird", wie Oberstaatsanwalt Horst Schmidt sagte. In seinem Plädoyer forderte er, Koch wegen Volksverhetzung zu verurteilen. Dieser "habe durchaus braune Tendenzen erkennen lassen". Dem schloß sich auch Amtsrichter Hubert Daum an, kam jedoch zu dem Schluß, Gerd Koch "trotz offensichtlich vorhandener antisemitischer Ressentiments" nur wegen Beleidigung zu verurteilen. Eine eindeutige Identifizierung mit der Rassenideologie der Nazis sei ihm nicht nachzuweisen. Er habe niemanden zum Haß gegen Juden aufgestachelt. Koch muß eine Geldstrafe von 4 000 Mark zahlen. Udo Groenewold verzichtete als Nebenkläger auf eine Revision. Für ihn sei die Sache abgeschlossen. Er rechne aber mit "Fortsetzungen". Die folgten, faxwendend.

"Das Urteil ist gerecht", befand der Verurteilte, schickte aber schon am nächsten Tag ein Fax an eine Lokalzeitung, den General-Anzeiger. In einem als "Gegendarstellung" betitelten Schreiben behauptete Koch, er betrachte sich nicht als vorbestraft, gleichzeitig wollte er darauf hinweisen, "daß es nicht strafbar ist, auch in Zukunft die Formulierungen 'Judenverein' und 'Abzockerei' in Bezug auf Juden zu verwenden".

Für Koch hatte die Verurteilung keine Konsequenzen, und im Stadtrat sind seine Ausfälle zur Zeit kein Thema. Dafür hat auch Kochs Doppelkopf-Bruder Walter Düngemann gesorgt. Der macht gerade selbst Schlagzeilen. Als er nämlich aus der Zeitung erfuhr, daß die evangelisch-reformierte Kirchengemeinde in Leer Ende Februar einer kurdischen Familie, die in die Türkei abgeschoben werden sollte, Asyl gewährte, erstattete er prompt Anzeige. "Die Kirchenvertreter mißachten diesen Rechtsstaat", begründete Düngemann seine Entscheidung, die ihn immerhin den Doko-Bruder aus dem Vorstand der Kirchengemeinde kostete. Jetzt bleibt Düngemann nur Koch, um Schafkopf (veraltet für: Doppelkopf) zu spielen, "Hochzeit" zu machen und mit "Schwein" aufzutrumpfen.

Als CDU-Mitglied ist Düngemann auch Vorsitzender im Jugendhilfeausschuß. Und der hat ihm am vergangenen Donnerstag das Mißtrauen ausgesprochen. Die CDU-Fraktion denkt aber nicht daran, einen neuen Vorsitzenden zu benennen. Bürgermeister Günther Boekhoff (SPD) hält sich mit einer Stellungnahme zurück. Er sieht "keine Störung" und möchte auch "keine politische Bewertung" vornehmen.

Das Image der Stadt aber ist angekratzt. Gerade der "Fremdenverkehr" habe sich in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige entwickelt, heißt es auf der Homepage. Den Tourismus haben die Menschen zur Existenzsicherung auch bitter nötig, bei 15 Prozent Arbeitslosigkeit.

Fremde will man aber in Leer nicht, wenn sie kein Geld dalassen. Der Ausländeranteil liegt zwar mit sieben Prozent unter dem westdeutschen Durchschnitt, laut Spiegel-Almanach zählen aber auch die Friesen zu den traditionellen Minderheiten. Und auf Anfrage gibt die Stadt Leer gerne bekannt, daß "der Anteil der Ostfriesen an der Gesamteinwohnerzahl Deutschlands verschwindend gering ist", aber die Teeimporte diesen Anteil um das Zwanzigfache übersteigen.

Bei Tee und Kuchen arbeitet derzeit auch eine Gruppe engagierter Bürger daran, eine Dokumentation über Gerd Koch zusammenzustellen. Das wird seiner Geltungssucht nur entgegenkommen. Wenn einmal nichts über eines seiner Faxe in der Zeitung steht, schreibt er gleich: "Hab ich etwas falsch gemacht, daß gestern (...) über mich nichts geschrieben sein soll?"

Trotzdem hat der öffentliche Druck etwas bewirkt. Die Polizei erteilte ihm Hausverbot, und nicht einmal Fußballvereine gewähren ihm noch Zutritt. Viele distanzieren sich von ihm. "Aber die meisten sind feige", sagt Engeline Kramer von den Unabhängigen sozialen Demokraten (UsD). Schon im Oktober letzten Jahres hatte sie darauf hingewiesen, daß Koch und die AWG nie so groß geworden wären, "wenn ihm früher die Grenzen aufgezeigt worden wären".

Bürgermeister Boekhoff, seit 1973 im Amt, warf sie vor, zu lange geschwiegen zu haben. Er sollte sich endlich bekennen. Dabei ist er doch stets bemüht, die Qualität Leers zu steigern, und verkündet im Internet: "Die Stadt gibt ihr Bestes." Manchmal reicht das eben nicht.