Schlag ein, Ecevit!

Öcalan, die PKK und die Türkei.

Langsam verläßt der Autokonvoi das Diplomatenviertel. Die dunklen Fensterscheiben verbergen das Innere der Wagen. Plötzlich verläßt ein Fahrzeug die Kolonne, biegt ab und verschwindet hinter Palmen. Ein untersetzter Mann mit Schnauzbart verläßt den Wagen. Er trägt eine Augenbinde und Handschellen; zwei vermummte Männer führen ihn ab. Schnell hieven sie den Gefangenen in das bereitstehende Flugzeug, das kurz darauf abhebt in Richtung Bosporus.

Die Fortsetzung der Geschichte ließ sich in der vergangenen Woche über Videobilder verfolgen, die der türkische Geheimdienst verbreitete. Apo im Flugzeug, Apo auf dem Schiff, Apo vor der türkischen Fahne. Der Geheimdienst - in Sachen Desinformation und Propaganda äußerst versiert - gibt Einzelheiten bekannt. Apo leide an Sodbrennen, die Gefängnisleitung serviere ihm Suppen und gedünstetes Gemüse. Beim Frühstück zeige er gesunden Appetit, er bevorzuge Brot mit Marmelade. Und, um bloß kein Detail zu unterschlagen: Apo raucht Marlboro, fast zwei Päckchen am Tag; der behandelnde Arzt rät, das Rauchen einzuschränken.

Wer alles an der Aktion beteiligt war, ist nicht endgültig geklärt. Die türkische Zeitung Hürriyet berichtete am Samstag, der kenianische Geheimdienst habe Öcalan an das türkische Spezialteam am Flughafen ausgeliefert, der CIA soll die Fäden gezogen haben. Wahrscheinlich war auch die griechische Regierung beteiligt. Drei Minister und ein Geheimdienstchef sind in Athen bereits über die Affäre Öcalan gestolpert. Nach Informationen der Athener Tageszeitung Elefterotypia haben am Freitag vergangener Woche in Washington geheime Gespräche zwischen den Regierungen Griechenlands und der Türkei begonnen. Verhandelt werde "über alle für die griechisch-türkischen Beziehungen relevanten Themen"; insbesondere, was Grenzstreitigkeiten in der Ägäis und die Zypern-Frage angehe.

Es handele sich um ein "internationales Komplott", meint die PKK - tatsächlich aber um einen wohlüberlegten Schritt Ankaras, der nach einem erneuten Einmarsch der türkischen Armee im Nordirak in einem anderen Licht erscheint. Abdullah Öcalan mußte von der Bildfläche verschwinden, um die Verhandlungen der US-Amerikaner mit den nordirakischen Kurden-Parteien (Puk) und KDP) nicht weiter durch innerkurdische Manöver zu behindern. Die PKK ist damit natürlich nicht verschwunden. Das war auch nicht beabsichtigt, denn sie liefert einen guten Vorwand für Invasionen in irakisches Gebiet. Die dortigen Kurden-Führer Dschalal Talabani und Massut Barzani haben Washington ihre Kooperation gegen Saddam Hussein zugesagt, gleichzeitig beherrschen sie - sehr zum Ärger der türkischen Regierung - das einzige autonome kurdische Gebiet der Region.

Führungslos, bleibt die PKK ein Terrorproblem, das die Türkei weiterhin ungehindert militärisch angeht. Schon seit zwei Monaten stehen US-amerikanische Raketen auf der Basis in Incirlik für weitere Angriffe auf den Irak bereit. Abdullah Öcalan wurde dem Nato-Partner Türkei als Belohnung überlassen. Jetzt, zwei Monate vor den Wahlen, ist die Festnahme "Apos" für Ministerpräsident Bülent Ecevit ganz besonders nützlich. Ecevit macht keinen Hehl daraus, daß die neuen Entwicklungen vor allem der prokurdischen Partei Hadep das Wasser abgraben sollen. Bereits vor zwei Wochen hatte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren zum Verbot der Partei eröffnet. Parallel zur Operation "Öcalan" wurden allein in Istanbul 300 Hadep-Mitglieder verhaftet, im ganzen Land waren es 1 000.

Die türkische Regierung befindet sich im Erfolgsrausch: "Apo in der Türkei", "Apos Ende", "Unser Sieg", "Ruhet nun sanft, unsere Märtyrer", so lauteten die Schlagzeilen der vergangenen Woche. Immer wieder wurden die Familien gefallener Soldaten vor die Fernsehkameras gezerrt, weinende Mütter forderten auf den Bildschirmen Öcalans Tod.

Mit der Bemerkung, es sei jetzt nicht der Zeitpunkt, über kulturelle Zugeständnisse an die Kurden auch nur zu reden, gab Staatspräsident Süleyman Demirel die dazu passende Zukunftsprognose. Ministerpräsident Ecevit kündigte dagegen sofort wirtschaftsfördernde Maßnahmen in der Südost-Türkei an. Gleichzeitig soll ein "Reue-Gesetz" der PKK-Guerilla die Möglichkeit geben, die Berge zu verlassen und sich den türkischen Sicherheitskräften zu stellen. Die Militanten sollen dann rehabilitiert werden und in der verkürzten Haft eine Berufsausbildung erhalten. Diese Pläne sind bereits so alt, daß selbst die national berauschte türkische Öffentlichkeit sie inzwischen nicht mehr ernst nimmt. Erfolgversprechend wären diese Maßnahmen nur dann, wenn der kurdischen Minderheit zugleich die Möglichkeit zur politschen Artikulation eingeräumt würde. Aber genau das soll verhindert werden, und zur Zeit sieht es so aus, als habe die Türkei ihre "Kurdenpolitik" sowohl im Inland als auch im Ausland durchgesetzt.

Yurda Sev, die Chefredakteurin des prokurdischen Blattes Ülkede Gündem, steht mit resigniertem Lächeln im Zeitungsarchiv, sie sucht nach einer bestimmten Ausgabe zum Weltfriedenstag, an dem die PKK zum dritten Mal einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen hatte. Die Seiten sind halb leer; in den leeren Kästen steht nur das Wort "sansürlüdür" - zensiert. Seit Oktober erscheint die Zeitung nicht mehr. Schon vorher hatte das Staatssicherheitsgericht wegen verschiedener Artikel wiederholt Veröffentlichungsverbote für einige Tage verfügt. Seit mehr als drei Monaten arbeiten die Journalisten nur noch an der Nachrichtenaufarbeitung. Die Korrespondenten dürfen bereits seit einem Jahr nicht mehr in das Gebiet, über das der Ausnahmezustand verhängt wurde.

Vor einigen Jahren stellte sich die Situation ganz anders dar; das Gebiete galt als "Hoheitszone" der PKK, hier konnte nur die prokurdische Zeitung verkauft werden. Die PKK drohte Korrespondenten anderer Medien mit der Todesstrafe, sollten sie das Gebiet betreten. Türkische Dorfschullehrer wurden erschossen, damit kurdische Kinder nicht die Sprache und das System des Feindes lernten.So erhielten die Kinder schließlich gar keine Schulausbildung, denn die in den Südosten versetzten Junglehrer fürchteten sich vor den "Bestrafungskommandos" der PKK.

War dies der Hochmut vor dem Fall? Das Problem war stets, daß auch die PKK die Kurdenfrage vor allem mit militärischen Mitteln durchsetzen wollte, und genau genommen hat sie nun den Krieg verloren. Das hat weniger mit der Verhaftung Öcalans als vielmehr mit der Zermürbungstaktik der Türkei zu tun. Tausende Dörfer wurden entvölkert, die kurdische Dorfbevölkerung zur Migration in die türkischen Großstädte gezwungen, die PKK-Militanten über die Grenze in den Nordirak vertrieben.

Altinsehir (Goldene Stadt) ist ein auf einer Anhöhe gelegenes Slumgebiet am thrakischen Stadtrand von Istanbul. Wenn es, wie in der vergangenen Woche, regnet, läuft schlammiges Regenwasser in die Steinhütten am Fuße der Hügel. Sükrü erzählt, daß da unten auch ein "Aga" wohnt, der früher Feudalherr über mehrere Dörfer war und einem große Stamm angehört. Jetzt läuft der Schlamm in sein Wohnloch, paßt das etwa zu einem Aga? Sie alle hier kommen aus dem südostanatolischen Bitlis. Nachdem sie aus der Heimat vertreiben wurden, siedelten sie sich auch hier wieder nach ihren Herkunftsgebieten an. "So wahren wir unsere Geographie", erklärt Sükrü.

Er ist achtzehn Jahre alt und arbeitet als Bote in einer Bäckerei. Früher hat er die Herde seines Vaters gehütet. Dann mußten sie alle Tiere verkaufen, weil ein Weideverbot über die Almen von Bitlis verhängt wurde. Die Dörfler sollten dort nicht in Kontakt mit der Guerilla treten können. Landwirtschaft ist in den Gebieten des Ausnahmezustandes so gut wie unmöglich. Die Leute haben ihre Subsistenzgrundlage verloren. Dann begann die kasernierte Polizei Jandarma, die Lebensmittel zu rationieren, damit die Dörfler nicht heimlich Proviant an die Guerilla liefern konnten.

Trotzdem wollten die Familien Bitlis nicht verlassen. Doch als die Guerilla mit türkischen Einheiten in den Bergen Gefechte austrug, kam die Jandarma ins Dorf. Männer und Frauen wurden voneinander getrennt, die Männer abgeführt, das Dorf angezündet. Die Frauen durften nichts von ihrer Habe retten. Mit dem Befehl, das Dorf innerhalb von zwei Tagen zu räumen, überließ man sie ihrem Schicksal. Bleiben konnten sie ohnehin nicht, denn von dem Dorf war nur ein rauchender Schutthaufen übriggeblieben.

Erst zogen sie in das Nachbardorf, dann in die Gebietshauptstadt Diyarbakir, um ihre Männer zu suchen. Einige von ihnen sind noch immer im Gefängnis. Wahllos war dieser und jener beschuldigt worden, der PKK Unterschlupf gewährt zu haben. Aber auch Diyarbakir kann die Flüchtlinge nicht mehr aufnehmem, und vor allem nicht ernähren. Also führte die Reise weiter nach Istanbul. Sükrü verdient im Monat etwa 200 Mark, seine kleinen Schwestern verkaufen Papiertaschentücher und Kaugummi. Vergangene Nacht hat auch Sükrü an der nächtlichen Demonstration im nächsten größeren Ortsteil Kü ç ük ç ekmece teilgenommen. Mehrere Autobusse wurden verbrannt. Das soll erst der Anfang sein. Jetzt warten sie auf die Direktiven der sich neu formierenden PKK-Führung. Bislang gibt es noch Spaltungen, keiner weiß, wie die neue Strategie aussehen wird. Aber ihre einzige Hoffnung ist die Guerilla, auch ohne Öcalan.

Daß der PKK-Führer überhaupt durch Europa gereist ist, um sich vor einem internationalen Gerichtshof anklagen zu lassen, ist das konsequente Ende vieler verpaßter Chancen in den vergangenen acht Jahren. Die PKK änderte Anfang der neunziger Jahre ihre politische Linie und forderte keinen marxistisch-leninistischen unabhängigen Kurdenstaat mehr.

Im März 1993, kurz vor dem kurdischen Neujahrsfest Newroz, kündigte die PKK einen einseitigen Waffenstillstand an und erklärte, sie wolle sich gemeinsam mit anderen kurdischen Gruppierungen stärker auf den politischen Kampf konzentrieren, ihre militärische Abteilung aber zugleich beibehalten. Verbunden wurde der zunächst 15tägige bedingungslose Waffenstillstand, der im April 1993 unbefristet verlängert wurde, vor allem mit drei Forderungen: Der in den kurdischen Provinzen im Wechsel mit dem Kriegsrecht bereits seit 1978 herrschende Ausnahmezustand müsse beendet, die berüchtigten Sondereinheiten aus dem Gebiet abkommandiert und das Dorfschützersystem aufgehoben werden.

Zwar kündigte der Gouverneur der Ausnahmezustandsprovinzen in Diyarbakir an, er werde das Heer der Dorfschützer nochmals um 1 000 aufstocken. Trotzdem schienen sich wesentliche Veränderungen anzukündigen: Die Regierung in Ankara stellte im April des Jahres ein sogenanntes Südost-Paket vor, in dem die Aufhebung der Notstandsgesetze, eine Amnestie für die Guerilla sowie eine Demilitarisierung des Südostens vorgesehen waren, wenn die PKK die Waffen niederlege.

Gleichzeitig aber gingen die Militäroperationen im Südosten weiter, und die prokurdische Partei Dep, die damals noch in der türkischen Nationalversammlung vertreten war, wurde drangsaliert.

Nachdem die türkischen Streitkräfte sich aber nicht an den Waffenstillstand hielten, machte die PKK einen entscheidenden Fehler: Ein Kommando unter Befehl von Semdin Sakik stoppte einen Rekrutentransport zwischen Bingöl und Elazig und erschoß die 35 unbewaffneten Soldaten. Öcalan äußerte zwar, er habe diese Aktion nicht angeordnet, unterstütze sie jedoch.

Die Phase der Verhandlungen war damit vorbei, der Kampf wurde nun mit noch größerer Härte weitergeführt. Die Türkei baute neue Spezialeinheiten auf und rekrutierte eine Kontraguerilla: PKK-Überläufer, islamistische Militante und paramilitärische Einheiten, die - teilweise als PKK-Kämpfer getarnt - Sabotageakte, politische Morde begehen und dunkle Geschäfte betreiben.

Öcalan setzte weiter auf die diplomatische Karte und wandte sich im Juli 1994 in einem Schreiben an westliche Staatschefs: Die PKK sei für jeden politischen Dialog offen, könne sich auch eine föderative Lösung vorstellen und sei bereit, sofort das Feuer einzustellen, wenn sich die Gegenseite einverstanden erkläre. In der Folge versuchte die PKK verstärkt, den Konflikt auf eine internationale politische Ebene zu bringen: Das Niederbrennen von über 2 000 Dörfern und die Entvölkerung ländlicher Gebiete, die Verletzung von Menschenrechten rückten in den Mittelpunkt ihrer Argumentation.

1994 erreichten die Aktivitäten der Kontraguerilla ihren Höhepunkt. Im Februar des Jahres legte die Kontra Bomben in derParteizentrale der Dep in Ankara. Im Parlament erklärte Ministerpräsidentin Tansu Çiller die kurdischen Abgeordneten zu "politischen Marionetten der Banditen in den Bergen". Die Partei wurde verboten und die nicht ins Ausland geflohenen Abgeordneten in einem Schauprozeß angeklagt. Trotz internationaler Proteste wurden sie zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Als Ende 1994 die OSZE in Istanbul tagte, wiederholte Öcalan sein Waffenstillstandsangebot und wandte sich in einem Brief an die teilnehmenden Staatschefs. Noch vor der Tagung lehnte der Nationale Sicherheitsrat der Türkei das Angebot ab. Drei Tage später explodierten Bomben in drei Zweigstellen der prokurdischen Zeitung Özgür Gündem. Ein Mensch wurde getötet, 19 wurden verletzt. Die internationalen Proteste blieben aus; die Kontra hatte auch auf der Propagandaebene ganze Arbeit geleistet.

Von diesem Zeitpunkt an sank der Stern der kurdischen Bewegung. Überall hatte die Kontra ihre Fäden gezogen. Verschiedene Mafiagruppierungen kontrollierten inzwischen auch den Drogen- und Waffelschmuggel im Auftrag des Staates, die größten kurdischen Paten wurden von Killer-Einheiten der Kontra beseitigt.

Ab 1995 begannen die militärischen Großoperationen im Nordirak. Die Türkei fügte der Guerilla schwere Verluste zu, gleichzeitig gelang es, die kurdischen Gruppierungen gegeneinander aufzubringen. Barzani und Talabani, die beiden Chefs der rivalisierenden nordirakischen Kurdenparteien KDP und Puk, befürchteten eine Gefährdung ihrer unter US-amerikanischer Schirmherrschaft gewonnenen Autonomie und nahmen Verhandlungen mit der Türkei, mit Europa und den US-Amerikanern auf. Als Trumpf brachten sie in den Verhandlungen ihre Rolle im Kampf gegen Saddam Hussein ein. Zugleich konnten sie auf die reichen Ölvorkommen von Mossul und Kirkuk verweisen.

Nun begann die PKK mit agressiven Demonstrationen in den westeuropäischen Exilländern und der Bedrohung ausländischer Urlauber in der Türkei. Aus den Unterdrückten wurde in den Augen der Weltöffentlichkeit eine Masse Militanter, die ihre Ziele mit völlig unangemessenen Mitteln verfolgten.

Für den PKK-Chef Öcalan wurde der Spielraum zunehmend kleiner. Mit den türkischen Kriegsdrohungen gegen Syrien - ein Land ohne wirkliche Freunde auf internationaler Ebene - setzte Öcalan gezwungenermaßen seinen eigenen Wanderzirkus in Bewegung. Zwar rief er auch in den Unterstützerländern Rußland und Griechenland keine große Begeisterung mehr hervor, hatte sich aber dennoch in den Kopf gesetzt, nach Europa zu reisen, um als Friedensbote der Kurden zu wirken und den Konflikt auf internationaler Ebene zu diskutieren. Niemand war wohl ungeeigneter für diese Rolle als Öcalan. Fernsehbilder des vor Öcalan in der libanesischen Bekaa-Ebene salutierenden Yasar Kaya - des Vorsitzenden des kurdischen Exilparlaments - ruinierten den Ruf dieser Vertretung und damit den Plan, dem palästinensischen Beispiel zu folgen.

In zwei Monaten finden in der Türkei Wahlen statt, und in der Parteizentrale der prokurdischen Hadep weiß man noch nicht genau, wie man vorgehen soll. Freitag abend um 21 Uhr 30 drangen Polizisten in die Zentrale ein. Achtzehn Hadep-Mitglieder wurden zur Anti-Terrorabteilung abgeführt. Das Verbotsverfahren läuft bereits. Sollten die Kandidaten in eine neugegründete Partei wechseln, könnte die als Nachfolgerin der Hadep auch sofort verboten werden. Oder sollen sie als Unabhängige antreten? "Öcalans Haft in der Türkei wird die Situation noch komplizierter machen. In ihren Reden setzten Staats- und Ministerpräsident schon heute Kurden und PKK gleich", befürchtet der stellvertretende Vorsitzende der Hadep in Istanbul, Veli Haydar Güle ç . Er glaubt, daß der nationale Freudentaumel unbegründet ist, denn die Auseinandersetzungen, vor denen sich Europa fürchtete, als es ablehnte, den PKK-Führer vor Gericht zu stellen, könnten in der Türkei noch viel heftiger geführt werden.

Ministerpräsident Bülent Ecevit ruft nun die "Jungen in den Bergen" auf, in ihre Heimat zurückzukehren. Auch sie seien die Kinder der türkischen Republik. Doch außer Öcalans Festnahme bietet er dafür keinen Anlaß. Statt dessen weht ein eisiger Wind, der sich überall bemerkbar macht. Der legendäre Film "Yol", der 1982 die Goldene Palme von Cannes gewann, lief vor einer Woche mit siebzehn Jahren Verspätung in den türkischen Kinos an. Vielleicht ist es besser, wenn Drehbuchautor Yilmaz Güney den Kinostart in der Türkei nicht mehr erlebt, denn "Yol" wird den Kinobesuchern in der Türkei nur in zensierter Form präsentiert. Der Film handelt von vier Häftlingen und ihrem Hafturlaub, ein großer Teil spielt in den kurdischen Gebieten der Türkei. Details wie ein Wegschild mit der Aufschrift "Kurdistan" mußten vor der Freigabe des Films herausgeschnitten werden. Der Regisseur, Serif Gören, blieb der Premiere aus Protest fern.

Der kurdische Sänger Ahmet Kaya mußte eine Veranstaltung der türkischen Boulvardpresse unter Schutz von Bodyguards verlassen. Künstler und Journalisten wollten Kaya verprügeln, weil er während des Essens erklärt hatte, er werde künftig auch Lieder auf kurdisch singen. Passend zum Anlaß, zauberte der türkische Geheimdienst den zehn Jahre alten Mitschnitt eines Kaya-Konzerts in Deutschland aus dem Hut. Auf dem Videoband singt der populäre Sänger vor einer PKK-Fahne. Kaya wurde noch am selben Tag verhaftet. Die Staatsanwaltschaft des Staatssicherheitsgerichtes begann sofort eine Untersuchung, und mit Sicherheit wird Kaya als Sympathisant und Unterstützer einer terroristischen Vereinigung angeklagt werden.