Götter, Bälle und Kapläne

Nach der Entlassung Glenn Hoddles: Wie abergläubisch darf ein Trainer sein?

Der Teamchef der Fußballnationalmannschaft sprach zu seinem Interviewer: "Du und ich, wir haben zwei Hände, zwei Beine und ein halbwegs funktionierendes Hirn. Manche Leute haben das nicht und das hat auch seinen Grund: Das Karma wirkt nämlich aus einem anderen Leben. Was man sät, das erntet man auch."

Wenige Tage später war Glenn Hoddle, Trainer des englischen Nationalteams, seinen Job los. In den wenigen Tagen zwischen Erscheinen des Interviews in der Times und dem Rausschmiß hatte Hoddle noch Zeit zu verkünden, er habe ein reines Gewissen. Die britische Presse wertete seine Äußerungen als behindertenfeindlich und forderte seinen Rücktritt. "Game Over" lautete der Leitartikel der konservativen Times, der liberale Guardian kommentierte: "Es ist nur schwer nachvollziehbar, welche Sünden Glenn in einem früheren Leben begangen haben muß, um mit einem solch unbrauchbaren Intellekt wie dem seinigen bestraft zu sein", das rechte Boulevardblatt Sun druckte auf Seite eins nur zwei große rote Buchstaben: "Go".

Hoddle, der aus seinen religiös-esoterischen Spinnereien Konsequenzen gezogen hatte, die sich, nimmt man seine Gedankenwelt ernst, richtiggehend anbieten und damit nur zeigte, wie menschenfeindlich Irrationalismus eben ist, verlor seinen Job. Sein Nachfolger ist Kevin Keegan.

Franz Beckenbauer, der als bundesdeutscher Teamchef zwar auch schon mittlerweile zwei Nachfolger gefunden hat, gilt hingegen weiter als Kaiser, denn anders als Hoddle zog der Präsident des FC Bayern keine auf die Gesellschaft bezogenen Konsequenzen aus seinem Glauben. "Ich war eine Pflanze, ich will eine Frau sein. Ich möchte ein Kind gebären", faßte die Bild-Zeitung Äußerungen aus einem Penthouse-Interview 1992 zusammen. Wörtlich hatte er gesagt: "Ganz sicher glaube ich, daß es ein Weiterleben gibt."

Und wie Hoddle hatte auch Beckenbauer im Falle vorangegangener irdischer Verfehlungen eine Strafe für das nächste Leben vorgeschwebt: "Sei es sogar eine Zurückversetzung auf die Erde, wenn du deine Hausaufgaben nicht gemacht hast." Normal wäre es aber so: "Wenn du mal als Mensch auf der Welt warst, hast du die Stufen Pflanze und Tier überschritten. Vielleicht versuche ich, den Abteilungsleiter dort oben zu überzeugen, daß er mich als Frau zurückschickt." Denn: "Frauen sind vielleicht einfühlsamer. Ich will nicht sagen, intelligenter, aber sie haben natürlich einiges voraus." Auch, wie Beckenbauer später mal aussehen möchte, verriet er: "Das Idealbild einer Frau wäre für mich eine Kombination von Romy Schneider mit Catherine Deneuve."

Beckenbauer kann sich seinen Okkultismus leisten, denn anders als Hoddle besitzt er die Fähigkeit, Stuß zu reden, ohne dabei jemanden zu verletzen. Das konnte Horst Ehrmantraut nicht. Als er noch bei Eintracht Frankfurt arbeitete, hatte er seinen Co-Trainer Bernhard Lippert einfach nicht in die Mannschaftskabine gelassen, weil dieser "negative Energien" ausstrahlte.

Lippert bemühte sich, kollegial zu sein - "da wurden Äußerungen von mir aus dem Zusammenhang gerissen" -, aber als man ihn genauer befragte, brach es aus ihm heraus: "Natürlich gab es Situationen, in denen ich mich als Mensch erniedrigt fühlte. Mir hat auch nicht gefallen, draußen vor der Kabine zu warten. Horst hatte einige Macken, aber ich wußte damit umzugehen."

Drei Fußball-Lehrer, dreimal spiritistischer Wahn, einmal wurde er so konkret vorgetragen, daß er sich erkennbar gegen Behinderte wandte. Die beiden anderen Male kam er vergleichsweise harmlos daher. Religion mag Privatsache sein, wenn einer aber davon überzeugt ist, sein Glauben sei wichtig für den sportlichen Erfolg, verläßt sie die private Sphäre und drangsaliert die Mitmenschen.

Anfang der neunziger Jahre bildete sich in der Bundesliga ein Bibelkreis von Fußballprofis. Spieler wie Wynton Rufer, Thorsten Legat, Rune Bratseth und Heiko Herrlich trafen sich regelmäßig. Am tollsten trieb es Jorginho ("Gott ist mein Spielgestalter"), der als Kapitän von Bayern München bzw. Bayer Leverkusen zusätzlich zum Vereinswimpel dem gegnerischen Kapitän noch die Bibel in die Hand drückte.

Von den Missionaren spielt mittlerweile kaum noch einer in der Bundesliga, aber ihr Wirken blieb nicht ohne Effekt - Hoddle würde sagen: Ihre Saat ging auf. Noch Anfang, Mitte der neunziger Jahre waren Gesten wie das Bekreuzigen nach Toren oder Einwechslungen Seltenheiten auf Bundesligaplätzen, mittlerweile gelten sie dank Oliver Bierhoffs demonstrativ zur Schau getragenem Glauben sogar als weltläufig. Zu der Entwicklung gehört auch, daß 1993 der erste Bundesligaprofi, Stefan Mees vom Karlsruher SC, ins Kloster ging.

"Gerade der Sport bietet ein breites Wirkungsspektrum für Magie und Irrationalität", heißt es in einer sportwissenschaftlichen Studie von Mitte der achtziger Jahre. "Der Glaube an übernatürliche Kräfte äußert sich mehr in Handlungen als in geistigen Vorstellungen." Symbolische Handlungen wie das Bekreuzigen, den linken Schlappen zuerst anziehen, als letzter aufs Spielfeld laufen, sich bis zu einem bestimmten Tag nicht rasieren oder, wie es Udo Lattek 1987 vorführte, einen blauen Pullover solange tragen, bis sein Club mal verliert, erscheinen als harmlose Schrullen und sind es auch solange, wie andere nicht damit traktiert werden.

Es ist aber kein Wunder, daß Versuche, diese Irrationalismen zu ordnen und ideologisch zu verallgemeinern, zunächst von Trainern - Hoddle, Beckenbauer, Ehrmantraut - vorgenommen wurden. Ein Trainer, so erklärte der Historiker Johannes Fried einmal in einem Zeitungs-Interview, ist "der heilige Mann, wie er in der Spätantike auftritt, der Priester, der mit seiner Fülle von Können und Wissen der Gemeinschaft vorsteht. Er macht die Spieler zu Gläubigen oder Helfern, den Diakonen."

Fried gilt der Fußball als "eine Theologie der Masse". Der Trainer, der Spieler zu Figuren macht, markiert den Unterschied zum sich bekreuzigenden Fußballer.Denn Glaube ist zunächst Privatsache, und wenn sich ein Sportler in einem Bereich engagiert, der ohnehin rationaler und verbalisierbarer Wahrnehmung nicht total zugänglich ist, ist er halt anfälliger als andere, aber was soll's? Wenn Gerd Müller am liebsten das Trikot mit der "13" trug oder wenn Schalkes Keeper Norbert Nigbur ein Papstbild in der Tasche mitführte, erlaubten sie dem Publikum nur einen kleinen voyeuristischen Blick in ihre Innenleben.

Mehr als Privatsache ist der Glaube jedoch beim Trainer, wenn er seine marottenhafte Vorstellung, wie ein Spiel zu gewinnen sei, qua seiner Stellung auf die Spieler, im Berufssport immerhin erwachsene Menschen, zu übertragen versucht. Etwa, wenn der Fußball-Lehrer Klaus Toppmöller, als er noch bei Eintracht Frankfurt beschäftigt war, die Spieler einen Adler verehren ließ oder wenn der Fußball-Lehrer Jürgen Sundermann die Spieler zu Voodoo-Gebrüll animierte.

Diese Hierarchie bedenkt interessanterweise kaum einer der Autoren, die sich bislang mit dem Thema "Glauben, Aberglauben und Fußball" beschäftigt haben. Desmond Morris, ein englischer Soziologe, etwa hält den gesamten Fußball für eine Analogie "zur archaischen Jagd- und Stammesgesellschaft", und entsprechend interpretiert er alle Akteure ohne Rücksicht auf ihre unterschiedliche Stellung. Werner Pieper untersucht in seinem Buch "Der Ball gehört uns allen" verschiedene feste Bestände fußballerischer Realität auf ihre okkulten Wurzeln. Warum etwa laufen elf Spieler über den Platz, nicht zehn oder zwölf, nicht zwanzig oder sieben? (Er hat eine kabbalistische Antwort.)

Das sind verdienstvolle Forschungen, aber sie erwecken doch den Eindruck, als agierten auf dem Platz 22 gleichberechtigte Akteure, in ihrem Treiben von einem Schiedsrichter plus zwei Assistenten unterstützt, und, vor allen Dingen, als seien religiös-spiritistische Wurzeln des Sports einfach so da, als hätten sie keine Auswirkungen auf das Spiel, als gäbe es das Spiel auch dann in der gegenwärtigen Form, wenn die Wurzeln fehlten. Daß das ahistorisch wäre, liegt auf der Hand.

Heutzutage ist es der Papst, der solche Sätze sagt: Der Fußball könne "für die physische Entwicklung und Heranbildung einer harmonischen, stabilen und großherzigen Persönlichkeit nützlich sein", und die Kicker seien Vorbilder, denn sie seien "reife und verantwortungsvolle Männer". Der so gelobte moderne Fußball wurde in Deutschland der proletarischen Jugend mit Vorliebe von Kaplänen nahegebracht, etwa solche Exemplare, die heute noch Rockmessen begehen.

Und auch die, in der Funktion der ersten Trainer, die Vorläufer der Hoddles, Beckenbauers und Ehrmantrauts also, beriefen sich auf die Heilige Schrift: "Laßt uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens" (Hebräer 12, 1.2). Oder: "Wißt Ihr nicht, daß die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber daß nur einer den Siegespreis gewinnt. Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam; jene tun dies, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen" (1. Korinther 9, 24.25).

Richtig, könnte jetzt Glenn Hoddle sagen, "was man sät, das erntet man auch", und wer es nicht erntet, der hat halt das falsche Karma und muß zur Strafe beim Rollstuhlwettbewerb teilnehmen.