Frankfurt hängt die Wäsche weg

Die Stadt Frankfurt am Main legt die "Zigeuner- und Arbeitsscheuengesetze" neu auf

"Zigeunerische Personen", so hieß es noch 1951 in einer Zeitschrift der bayerischen Polizei, seien "weitgehend kriminell und asozial". Daher seien "spezielle Gesetze" für diese Menschen erforderlich. Fast fünfzig Jahre später hat sich auch die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung Gedanken über Gefahrenabwehr gemacht.

Seit dem 28. Januar gilt in der Mainmetropole: Wer sich des "Lagerns in der Öffentlichkeit" verdächtig macht oder etwa auf offener Straße alkoholische Getränke konsumiert, wird zukünftig als Krimineller gehandelt. Mit Platzverweisen und Ordnungsgeldern soll gegen die vermeintlichen Delinquenten vorgegangen werden. Dabei rekurriert die im Frankfurter Römer neu erlassene Verordnung zur Gefahrenabwehr - gewollt oder ungewollt - auf die sogenannten "Zigeuner- und Arbeitsscheuengesetze" aus der Weimarer Republik, mit denen die Verfolgung von Roma und Sinti gesetzlich gerechtfertigt wurde.

Bei den Roma sorgt die neue Verordnung, die CDU und SPD im Konsens verabschiedet haben, für Verbitterung. Vor allem Paragraph 7 ("Gefährdendes Verhalten") der Vorlage, in dem unter anderem "aggressives Betteln" und "organisiertes Betteln mit Kindern" unter Verbot gestellt wurde, sei implizit gegen Roma gerichtet, so die Roma-Union Frankfurt. Noch in den achtziger Jahren seien die darin aufgeführten Vergehen unbekannt gewesen. Es handelte sich um Ordnungswidrigkeiten, die in keiner einschlägigen Polizeiverordnung Erwähnung fanden. Erst die restriktive Politik gegen Roma, die nach 1989 vermehrt aus Südosteuropa in die BRD flüchteten, habe ordnungspolitischen Handlungsbedarf geschaffen.

Geflohen vor Pogromen, staatlicher Verfolgung, gesellschaftlicher Diskriminierung, aber auch vor unerträglichen sozialen und ökonomischen Zuständen, werden Roma in der Bundesrepublik mit der ganzen Härte der Ausländer- und Sozialhilfegesetzgebung konfrontiert. Die angenommene Asozialität der Zigeuner, ihr Hang zum Betteln und Stehlen sowie ihr Unwillen zur Integration sind dabei zentrale Topoi der antiziganistischen Maßnahmen: Keine Minderheit in der BRD wurde und wird administrativ so selbstverständlich und umfassend nach den gängigen gesellschaftlichen Vorurteilen und Stereotypen behandelt wie die Gruppe der Roma.

Die Benachteiligung beginnt bereits bei der Einreise, die ohnehin nur den wenigsten gelingt: Zwischen 1992 und 1995 wurden rund 70 000 Roma an den Ostgrenzen abgewiesen, 30 Menschen kamen bei ihrer Flucht ums Leben. Asylanträge von Roma - etwa 80 Prozent kommen aus Rumänien - lehnt das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in der Regel ab: Eine Gruppen- oder Einzelverfolgung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit liege nicht vor.

Nach Abschluß des Rücknahmeabkommens mit Rumänien 1992 wählten viele in der Bundesrepublik lebende Roma den letzten Ausweg: Gegen eine Zahlung von etwa 1 000 DM ließen sie sich bei der rumänischen Botschaft in Bonn expatriieren, um der drohenden Abschiebung zu entgehen.

Der Weg in die Staatenlosigkeit blieb nicht ohne Folgen. Denn die Sozialämter entscheiden nach eigenem Ermessen, ob Staatenlose ein Anrecht auf Unterstützung besitzen. Die Folge: Der überwältigenden Mehrheit der Roma wird auch der minimale Sozialhilfesatz vorenthalten. Die Antragsteller, so lautet die amtliche Begründung oftmals, hätten das Hoheitsgebiet der BRD nur betreten, um in den Genuß der Sozialhilfe zu gelangen.

Nicht selten wird ihnen Hilfe auch mit dem lapidaren Hinweis verweigert, die Antragsteller seien ohnehin Angehörige von Großfamilien, von denen sie Unterstützung erfahren würden. Hier werden die Roma genötigt, das Klischee vom arbeitsunwilligen, fest in der Sippe verankerten Zigeuner selbst zu reproduzieren - Armut drängt viele der Betroffenen in die Bettelei. In einer Broschüre listet die Roma-Union auf, mit welchen Mitteln Behörden die Betroffenen zwingen, sich ihren Lebensunterhalt "auf Zigeunerart" auf der Straße zu verdienen: Arbeitsverbote, Verweigerung von Sozialhilfe oder Kindergeld, ausländerrechtliche Kontrollen.

Die neue Frankfurter Gefahrenabwehrverordnung knüpft an eine alte deutsche Tradition an. Bettelei, so sie von Zigeunern betrieben wird, gilt hierzulande nicht als Ausdruck sozialer Entrechtung, sondern wahlweise als rassisch oder kulturell bedingtes Phänomen. So wußte schon Meyers Konversationslexikon von 1884, daß alle Zigeuner "dem Bettel ergeben sind". Was im 19. Jahrhundert noch Brauchtum war, drückte eine "rassisch" überarbeitete Auflage des Lexikons von 1935 deutlicher aus: "Im 'Finden', das heißt Stehlen, sind sie äußerst geschickt, ehrlicher ernähren sie sich von Bettel, Hausierhandel und Wahrsagen. Alkohol trinken sie gern." Nach 1933 waren "Zigeunerfrage" und "Asozialenproblem" eng miteinander verbunden.

Es war dann nur noch ein kleiner Schritt für Erb- und Kriminalbiologen, alle Asozialen, also "Bettler, Landstreicher, Zigeuner, Dirnen, Trunksüchtige, mit ansteckenden Geschlechtskrankheiten behaftete Personen" nach ihrer rassischen Reinheit zu untersuchen. Wer nach 1933 als Asozialer auffiel, stand unter dem Generalverdacht, ein "Zigeunerbastard" zu sein.

Damals bestimmten in der "Zigeunerfrage" die Kommunalbehörden Tempo und Radikalität der Maßnahmen. Bis 1938 genügten den kommunalen Behörden für ihre schärfer werdenden Repressalien die noch in der Weimarer Republik verabschiedeten Gesetze. Erst 1938 begannen die Reichsbehörden sich für die "Zigeunerfrage" zu interessieren und ihre "Lösung" vorzubereiten. Heute folgen die Maßnahmen der Stadt Frankfurt der vom Bundesinnenministerium bereits Anfang 1998 vorgegebenen Tendenz. Der damalige Innenminister Manfred Kanther wies die Ausländerbehörden an, die erfolgten Ausbürgerungen der rumänischen Botschaft auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Alleine in Frankfurt definierte man anschließend 250 Menschen - etwa 50 Prozent der Betroffenen - trotz erfolgter Ausbürgerung als rumänische Staatsbürger.

Damit sei das Rücknahmeabkommen mit Rumänien für sie gültig. Zugleich stellten die Sozialämter staatenlosen Roma die Zahlung von staatlicher Alimentierung für den Fall einer erneuten Repatriierung - und damit Abschiebefähigkeit - in Aussicht, während Überlegungen laut wurden, ob nicht auch Staatenlose nach Rumänien "rückgeführt" werden könnten.

Die Rechtsstaatlichkeit der großen Säuberung in Frankfurt am Main, gegen die auch die Grünen nichts einzuwenden hatten, darf indes angezweifelt werden: So hat der Jurist Wolfgang Hecker in einem minutiösen Gutachten nachgewiesen, daß gerade die Paragraphen der Verordnung, die das Betteln und Campieren im Freien betreffen, unzulässig sind.