Der Montags-Mahler

"Worüber macht man sich Gedanken, worüber streitet man sich, wenn Deutschland verloren geht?" fragt Horst Mahler und marschiert mit Gleichgesinnten "Für unser Land"

West-Berlin, 3. April 1970. Nach einer gescheiterten Waffenbeschaffungsaktion wird Andreas Baader bei einer nächtlichen Verkehrskontrolle von der Berliner Polizei festgenommen. Gerade noch davongekommen damals, weil er nicht im selben Auto saß: Horst Mahler - Rechtsanwalt, SDS-Mitglied und RAF-Mitbegründer. Mit ihm im Wagen: der Verfassungsschutzagent Klaus Urbach, der den Waffendeal in die Wege geleitet hatte.

Ebenfalls mit von der Partie, als alles anfing und Urbach die ersten Waffen in die Außerparlamentarische Opposition brachte: Michael "Bommi" Baumann. Der Verdacht, daß Urbach ein Spitzel sein könnte, beschleicht nach der gescheiterten Waffenübergabe auch Mahler: "Das hat man nun davon, wenn man sich mit Genossen einläßt, auf die man sich nicht verlassen kann."

Ähnliches wird sich Baumann heute, fast dreißig Jahre später, auch denken. In Anzug und Weste eingepackt, steht er mit dem Rücken zur Ruine des Anhalter-Bahnhofs in Berlin-Kreuzberg. Mißtrauisch schaut er zu Mahler hinüber, der gerade die Fragen einer Reporterin beantwortet. Die beiden treffen nun wieder aufeinander. Diesmal auf unterschiedlichen Seiten.

Montag, 15. Februar 1999: Die von Mahler Anfang des Jahres unter dem Motto "Deutsche - Ausländer in Deutschland?" ins Leben gerufene Bewegung "Für unser Land" wagt sich zum ersten Mal auf die Straße. An der Spitze der nationalen Erneuerungs-Bewegung und einziger Redner an diesem Tag: ein siegesgewisser Horst Mahler, "Wir sind heute noch wenige", sagt er, als Baumann und die meisten der rund zwanzig Gegner des rechten Aufmarschs schon wieder gegangen sind, "aber ich weiß, daß das, was wir hier heute sagen und denken, von der Mehrheit der Deutschen gedacht wird und demnächst auch gesagt werden wird." Schließlich hat man große Pläne: "Wir fangen klein an, aber wir werden ganz groß."

Mahler hat das schon mal erlebt: Als einer von "sechs gegen sechzig Millionen" (Heinrich Böll) stieg er 1970 bei der RAF ein, ein paar Jahre später war es dann mit seinen linken Regungen gegen Deutschland auch schon wieder vorbei. Knapp 30 Jahre danach nun also das Comeback bei der Neuen Rechten - eine Bewegung für Deutschland; wenige sind es am Anfang schließlich immer.

Einem der wenigen vom Chef bestellten Ordner kommt es sogar ganz gelegen, daß an diesem sonnigen Februartag nur dreißig angetreten sind, um mit dem 63jährigen "Für unser Land" zu demonstrieren. Er nutzt die Gelegenheit, um den Kollegen von der Polizei zu beweisen, daß auch Ordnungssinn seine Grenzen kennt: Die Haare stramm zurückgekämmt, das minimale Aufgebot an Gegendemonstranten fest im Blick, wendet sich der Ordner an den Verbindungsbeamten und sagt: "Wir wollen wirklich so wenig Aufwand wie möglich, damit es bloß keinen Ärger gibt. Die Kreuzung muß gar nicht gesperrt werden. Uns reicht auch der Gehweg." Den können die national Bewegten dann aber auch in voller Breite nutzen.

Davor müssen aber noch die nationalen Protest-Utensilien verteilt werden. Rote Karten am Stiel zum Beispiel - für eine "Politik gegen Deutschland", Fahnen, schwarz-rot-gelb, in allen Größen und ein Schild, das über jeden bösen Verdacht erhaben ist: "Kein Rassismus" steht drauf. Eine Frau im Rentenalter verteilt Flugblätter, ein Mann reicht Schaubilder an die, die das Problem in all seinen Dimensionen bisher noch nicht erfaßt haben. Über der Parole "Schützt die Vielfalt der Lebensarten!" die Umriß-Skizze Australiens mit Kaninchen und Känguruh, und die Deutschlands in den Grenzen von 1990 mit den Zeichnungen eines Gamsbart-Hut tragenden Bayern und eines vollbärtigen Fez-Trägers. Das bewegt die Bewegten: "Also, ein Freund von mir, der war jetzt erst in Australien. Und der hat erzählt, daß es da gar keine Hasen gibt. Das muß man dem Mahler mal sagen."

Einer will die rote Karte, die ihm der andere Ordner anbietet, nicht haben. "Nein, ich muß schon das Transparent tragen", wehrt sich Torsten Witt, stellvertretender Landesvorsitzender des Bundes Freier Bürger Berlin-Brandenburg. Seine langjährigen Bemühungen "Für unser Land" haben ihn nun zu Mahler geführt. An Funktionäre wie Witt wird Mahler auch gedacht haben, als er den Charakter seiner Bewegung beschreibt: "Wir sind Bürger, die aus verschiedenen Richtungen und Gruppen kommen, die hier endlich mal als Deutsche wieder zusammengefunden haben. Weil, worüber macht man sich Gedanken, worüber streitet man sich, wenn Deutschland verloren geht? Dann ist Rechts und Links ohne Bedeutung." Zum Dank darf Witt in der ersten Reihe gehen, der Spruch auf dem Banner ist schon das ganze Programm: "Kein Doppelpaß".

Auch der grauhaarige Mann, dem sein wütend bellender Schäferhund fast die Leine aus der Hand reißt, kann den Stock mit dem roten Schild, das ihm der Ordner anbietet, nicht annehmen. "Den Hund zu halten, ist Pflicht genug."

Irgendwann geht der graue Trupp zum offensiven Teil des Zusammenkommens über. Erst geradeaus und dann - wo immer möglich - rechts herum, einmal ums Karree. Einziger Zwischenfall: Unangemeldet dringen die mutigeren der Demonstranten, sechs an der Zahl, in das Willy-Brandt-Haus ein. Eifrig klikken die Fotografen. Blitz! Ein genialer Einfall überkommt Torsten Witt: Als er die Willy-Brandt-Büste entdeckt, posiert er mit dem Transparent vor dem Sockel. Flugs die Seite gewechselt, Willy jetzt im Hintergrund, klicken die Kameras aufs neue. Brandt, der große Deutsche, wäre ein entschiedener Gegner der doppelten Staatsbürgerschaft gewesen, ist man sich sicher.

An die Ruine zurückgekehrt, ergreift Horst Mahler nach erledigtem Fotografen-Posing endlich das Mikrofon. Seinen Schäferhund hält der grauhaarige Mann inzwischen eng an der Leine. Die Augen fest auf den Redner gerichtet, hält es den Hundeführer nicht mehr, als Horst Mahler das ausspricht, weswegen sie alle hierher gekommen sind. "Es ist die Sache des deutschen Volkes, jetzt die Dinge in die Hand zu nehmen." Und: "Nur wer sich dadurch nicht entmutigen läßt, sondern sich darüber freut, daß er den inneren Schweinehund und die Angst vor dem Sich-Lächerlich-Machen um Deutschlands willen überwunden hat, wird in der Bewegung 'Für Unser Land' einen Platz finden und künftig ein aufregendes und erfülltes Leben führen."

"Es lebe die Freiheit, wir sind das Volk", preßt der alte Mann erfreut hervor, der Hund springt laut bellend auf und ab. Mahler, den kurz geschorenen, grauhaarigen Kopf gewichtig nach links geneigt, nimmt den Zuspruch lächelnd zur Kenntnis: "Und aus Hamburg kommt die Mitteilung, daß der nächste Montag in Hamburg eine Montagsdemonstration bringen wird. So muß es weitergehen."

Auch das noch: Jeden Montag bundesweite Mahler-Demos? Das hat man nun davon, wenn sich Ex-Linke auf Gott und die Nation einlassen.