Wer A sagt

Trotz des Verlusts der Bundesratsmehrheit will die rot-grüne Regierung ihre Steuerpläne noch vor dem Machtwechsel in Hessen durchbringen

Der Finanzminister prahlte. "Mit Wirkung zum 1. Januar 1999 tritt die umfassendste Steuerreform in Kraft, die es in Deutschland bisher gegeben hat", schwärmte Oskar Lafontaine (SPD) letzten Mittwoch. Um 15 Milliarden Mark sollen Bürger und Unternehmen nach den Plänen der Regierung bis zum Jahr 2002 entlastet werden. Noch im März würden Bundestag und Bundesrat das vom Kabinett letzte Woche vorgeschlagene Gesetz absegnen.

Ein historischer Augenblick? Wohl kaum. Denn um den abgespeckten rot-grünen Steuerplänen die Mehrheit auch in der Länderkammer zu sichern, mußte der Finanzminister erst noch den abgewählten hessischen Ministerpräsidenten über den Tisch ziehen. Hans Eichel (SPD) hatte sich zunächst geweigert, nach dem Wahlsieg der CDU in Hessen für das rot-grüne Gesetzespaket zu stimmen. Erst nach einer Koalitionsrunde unter Leitung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) lenkte Eichel ein: Hessen wird am 19. März nun doch für die Steuerreform und das 630-Mark-Gesetz (Jungle World, Nr. 5/99) stimmen.

Dem Wahlsieger war das gar nicht recht. Roland Koch (CDU), designierter Nachfolger von Eichel, schimpfte nach dessen Einknicken über die mangelnde "Fairneß" seines SPD-Kontrahenten. Offenbar, so Koch, sei der scheidende Ministerpräsident "nicht druckresisent" - eine neutrale Haltung in der Steuerfrage hätte der Landesregierung besser zu Gesicht gestanden.

Die Hessen-Wahl wirft ihre Schatten über die Bundespolitik. Nicht nur bei der Neuregelung des Staatsbürgerschaftsrechtes, auch in der Steuerpolitik kommt die rot-grüne Bundesregierung seit dem Votum zwischen Main und Lahn vom vorletzten Wochenende an den neuen Mehrheiten im Bundesrat nicht mehr vorbei. Vorüber ist die kurze Phase, in der die Länderkammer Regierungsvorlagen mit bequemen rot-grünen Mehrheiten nur abzusegnen brauchte. Über den Bundesrat regiert die Bundes-Opposition wieder mit.

Daß Finanzminister Oskar Lafontaine (SPD) die Übergangsperiode zwischen Abwahl der alten und Antritt der neuen Regierung in Hessen am 7. April nun dazu nutzt, die Steuerpläne der Regierung beschleunigt durchzusetzen, bringt die Opposition auf die Palme. Als "Unverschämtheit" bezeichnete der stellvertretende Unions-Fraktionschef im Bundestag, Friederich Merz, wie Koalitionspolitiker versuchten, "Eichel unter Druck zu setzen".

Aber auch innerhalb der Koalition dürfte sich der Konflikt zwischen mittelstandsnahen Grünen und den eher traditionellen Verteilungskonzepten zugeneigten Lafontaine-Anhängern im Finanzministerium in den nächsten Monaten zuspitzen. So kündigten die Grünen schon an, bei den noch ausstehenden Steuergesetzen auf "Vereinfachungen" zu drängen.

Doch nach dem Debakel in Hessen und dem vorausgegangenen innerkoalitionären Streit um Atomausstieg und doppelte Staatsbürgerschaft präsentierte sich die Koalition letzte Woche erst einmal von ihrer harmonischsten Seite. Schluß mit Chaos: Grüne wie Rote stellten die Steuerreform als großen Erfolg dar.

Rückwirkend zum 1. Januar 1999 sollen nun - in drei Stufen - bis zum Jahr 2002 der Steuergrundfreibetrag auf 14 000 Mark erhöht und der Eingangssteuersatz auf 19,9 Prozent sowie der Spitzensteuersatz auf 48,5 Prozent gesenkt werden. Entscheidende Neuerung gegenüber dem ersten, Ende letzten Jahres vom Kabinett ins Finanzministerium zurückgewiesenen Entwurf: Der Mittelstand wird bessergestellt, 6,6 Milliarden Mark gehen dem Finanzministerium dadurch flöten - eine Reaktion auf die Proteste der Wirtschaft und des kleinen Koalitionspartners. Auch die geplante Streichung von Steuervergünstigungen fällt erheblich geringer aus als ursprünglich geplant.

So fiel es der finanzpolitischen Sprecherin der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, Christine Scheel, nicht schwer, die Pläne als "ausgewogenes Konzept" zu verkaufen, das den Anliegen des Mittelstandes gerecht werde und die Besteuerung nach der "individuellen Leistungsfähigkeit" mehr in den Vordergrund rücke.

Dabei hatte es in der Koalition im Vorfeld des Kabinetts-Entscheids noch ordentlich gekracht. Der grüne Fraktionschef Rezzo Schlauch wollte schon die gesamte Steuerreform verschieben, während Dietmar Huber, Parteisprecher der Grünen, darauf drängte, die nächsten Schritte der Einkommenssteuerreform mit der Reform der Unternehmenssteuern und jenen Plänen zusammenzufassen, die sich aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zur steuerlichen Stellung von Familien mit Kindern ergeben.

Der Konflikt in der Koalition wurde erst einmal verschoben, weil sich die SPD auf einige Forderungen des Mittelstands - und der Grünen - einließ. Im Gegensatz zum ursprünglichen Konzept ändert sich nun doch nichts an der Teilwertabschreibung für Unternehmen: Bekleidungsfirmen und Buchhandlungen können unverkäufliche Ware weiterhin großzügig abschreiben. Auch der Verlustrücktrag bleibt zumindest teilweise erhalten. Unternehmen dürfen so rote Zahlen bis zu einer Million Mark, die im laufenden Jahr ausgewiesen sind, mit Gewinnen der Vergangenheit verrechnen - die Finanzämter müssen den Unternehmen die bereits gezahlten Steuern zurückerstatten.

Auch die im ursprünglichen Gesetzentwurf enthaltenen familienpolitischen Komponenten wie die Kappung des Ehegattensplittings und die Erhöhung des Kindergelds wurden herausgelöst. Der Familienlastenausgleich soll nach den jüngsten Urteilen des Bundesverfassungsgerichts erst im Herbst dieses Jahres in einem eigenen Gesetzenwurf neu geordnet werden.

Wie dieses Gesetz dann aussehen soll, ist jedoch völlig unklar. Denn wo Lafontaine die geschätzten 22 Milliarden Mark zur Finanzierung der Verfassungsgerichtsvorgaben beim Familiengattensplitting hernehmen will, ließ er letzte Woche offen. Addiert man die 6,6 Milliarden Mark an Mittelstandsvergünstigungen hinzu, sitzt der Finanzminister richtig in der Bredouille. Auch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte steuerpolitische Gleichstellung von Beamten mit Kindern ist nicht geklärt.

Manchem Grünen wäre es angesichts der bevorstehenden Haushaltslöcher nicht unrecht, das Steuerreform-Paket ganz neu zu schnüren. Oswald Metzger, neoliberaler Frontmann der Öko-Partei, erhofft sich für den Herbst schon eine Senkung des Spitzensteuersatzes - noch unter das im Grünen-Programm verkündete Ziel von 45 Prozent.

Nur schwer verbergen läßt sich, daß die Vorstellungen der Koalitionspartner kaum miteinander in Einklang zu bringen sind. In den entscheidenden Punkten dürften die Grünen näher bei der FDP liegen als beim Regierungspartner. Und auch die SPD selbst ist gespalten: Während Kanzleramtsminister Bodo Hombach oder Wirtschaftsstaatssekretär Siegmar Mosdorf weitreichende Entflechtungen des Sozial- und Steuersystems fordern, betont der Finanzminister seinen auf die Stärkung der Nachfrage ausgerichteten Steuerkurs: Konflikte, die spätestens bei der Umsetzung der Verfassungsgerichtsvorgaben und der Regelung der Ökosteuer aufbrechen werden.

Nun aber erst einmal beschleunigtes Tempo. Vom Vorwurf der Opposition, Eichel mißachte den Willen der Wähler in Hessen, zeigte sich Lafontaine unbeeindruckt: Da Hessen Teil A des Gesetzes - die Anhebung des Kindergeldes zu Jahresbeginn - bereits mitbeschlossen habe, sei es nun auch verpflichtet, Teil B des Entwurfs - die Gegenfinanzierung - mitzutragen. Wer A sagt, muß auch bezahlen.