Metaller wollen den Gürtel nicht enger schnallen

Mit dem "Ende der Bescheidenheit" hat sich die IG-Metall in eine Falle manövriert

Betrachtet man die aktuelle Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie unter strategischen Gesichtspunkten, dann scheint alles ganz normal zu laufen. Truppen müssen eben manchmal bewegt werden. Sonst kommen sie sich irgendwann überflüssig vor. Doch bei den Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft geht es nicht um irgend ein Manöver. Wie bei jeder Tarifrunde geht es auch diesmal lediglich ums "Ganze" und ums "Prinzip": Der Chef der "größten Einzelgewerkschaft der Welt", Klaus Zwickel, hatte vor Monaten den Slogan vom "Ende der Bescheidenheit" in die Welt gesetzt. Seitdem haftet der Spruch wie ein Fluch an der mächtigen IG Metall.

Die Gewerkschaft ist in der Pflicht. Jahrelang folgte sie der Logik, daß bescheidene Lohnzuwächse zu mehr Beschäftigung führen. Die Kolleginnen und Kollegen an Werkbänken und Fließbändern machten andere Erfahrungen: Eine Entlassung folgte der nächsten. Vielerorts tauchte die Frage auf, warum man überhaupt noch Mitglied in der Gewerkschaft sei. Über eine halbe Million Mitglieder hat die IG Metall in den letzten fünf Jahren verloren. Der anhaltende Stellenabbau reicht als Erklärungsmuster dafür nicht mehr aus, geben mittlerweile selbst hochrangige IG-Metall-Strategen zu.

Also besinnt sich die Gewerkschaft auf ihren Grundsatz - die soziale Lage der Mitglieder zu verbessern - und ruft zum Kampf. Ganz freiwillig tut sie das nicht. Denn kaum hatte Zwickel das Ende der Bescheidenheit verkündet, stieg die Erwartungshaltung in den Betrieben. Quer durch alle IG-Metall-Bezirke wird berichtet, daß bei den örtlichen Tarifkommissionen Forderungen zwischen acht und zwölf Prozent an der Tagesordnung waren. Nun muß aber die IG Metall nicht nur auf die Mitglieder Rücksicht nehmen, da ist auch noch die "Öffentlichkeit" - angesichts des Windes, der den Gewerkschaften ins Gesicht bläst, seien acht Prozent nicht vermittelbar, so die Tarifstrategen in der Frankfurter IG-Metall-Zentrale.

Eine Zwickmühle für die Gewerkschaft: Ganz egal, wie hoch die Tarifforderung auch ist, ein Aufschrei der Entrüstung kommt bestimmt. Es gab Zeiten, da forderten die Gewerkschaften

15 Prozent mehr Lohn und Gehalt und wurden dafür von Unternehmern und Politikern - die sind mit der ominösen "Öffentlichkeit" gemeint - verprügelt. Ebenso, als nur fünf Prozent gefordert wurden. Nun also das Ende der Bescheidenheit. Damit hat sich die Gewerkschaft in eine Falle manövriert.

Die IG-Metall-Führung weiß, daß ein einigermaßen akzeptables Ergebnis nur mit Druck zu erreichen ist. Und der soll durch die Warnstreiks und die Drohung mit regulären Streiks weiter wachsen. Das schraubt die Erwartungshaltung in die Höhe. Zwickel und Co. wissen, daß ein Ergebnis von rund drei Prozent bei der Basis keine Gnade finden würde. Dreieinhalb bis vier - und zwar echte, keine schöngerechnete - Prozent müssen es schon sein, um das Gesicht zu wahren. Warum aber sollten die Arbeitgeber hier nachgiebig sein?

Allerdings verkündete Gesamtmetall-Chef Werner Stumpfe kürzlich, die Schmerzgrenze liege bei drei Prozent. Das heißt, hier gibt es noch jede Menge Verhandlungsmasse. Im vergangenen Frühjahr sprach er gar von "um die vier Prozent", die "geamtwirtschaftlich vertretbar" seien. Schließlich gehört das Feilschen um Zehntelprozent zum Geschäft. Wenn nun Stumpfe bereits in der Warnstreikphase drei Prozent signalisiert, wird er in der zweiten oder dritten Streikwoche bei dreieinhalb einschlagen. Das wiederum zeigt, daß die Gewerkschaftsforderung zu niedrig war.

Doch eine "richtige" Lohnforderung reicht nicht aus. Um glaubwürdig zu sein, müßten die Gewerkschaften zu einem Dreiklang kommen: Erstens mehr fordern, dafür zweitens ihre gesamten Kräfte mobilisieren und drittens ein anderes gesellschaftliches Reformprojekt auf den Weg bringen: Arbeitsumverteilung. Niedrige Abschlüsse haben keine zusätzliche Beschäftigung gebracht. Wenn sich die Gewerkschaften die Formel "Mehr Geld plus Arbeitszeitverkürzung ist mehr Beschäftigung" auf die Fahnen schreiben würden, wären das ein Bruch mit den in den letzten Jahren gängigen Vorstellungen. Vor allem aber: Sie müßten die Mitglieder davon überzeugen, daß sie für eine solche Veränderung kämpfen müssen.

Für Arbeitszeitverkürzung reicht momentan die Überzeugungs- und Mobilisierungskraft der Gewerkschaften nicht aus. Mit der bisherigen Arbeitszeitverkürzung wurden andere Erfahrungen gemacht: Weniger Geld, höhere Arbeitsintensität, steigende Produktivität und höhere Arbeitslosigkeit. Sowohl die kampferprobten Drucker wie die Metaller hätten in diesem, bzw. im letzten Jahr eine neue Runde im Kampf um kürzere Arbeitszeit einläuten können. Statt dessen wurde die Parole "Mehr Geld hat Vorrang" ausgegeben. Die Gewerkschaften trauen sich einen neuen Kraftakt für kürzere Arbeitszeiten nicht zu. Nun wird den Mitgliedern also suggeriert, daß sie erst mal für eine kräftige Kaufkrafterhöhung kämpfen sollen. Dann wird man schon weiter sehen.

Auch muß man der neuen Regierung zeigen, daß man trotz Bündnis für Arbeit noch autonom agiere. Die IG Metall weiß aber auch, daß eine mobilisierte Masse auch eine Eigendynamik entwickeln kann. Ob sich die Basis diesmal - wie 1995 mit dem Streik light in Bayern - mit einer "Minimax-Strategie" zufrieden gibt, bleibt abzuwarten.

Wenn die Tarifrunde 1999 gelaufen ist, werden einige Beobachter sagen, die Gewerkschaften haben sich (wieder mal) über den Tisch ziehen lassen. Nur diesmal haben sie sich freiwillig draufgelegt.