Grüner Ersatzstoff

Neu ist an der Drogenpolitik von Gesundheitsministerin Fischer allenfalls die Tonart: Das gescheiterte "Frankfurter Modell" soll bundesweit eingeführt werden

Der Auftrittsort war konsumentenfreundlich gewählt. In einem Krisenzentrum für Drogengebraucher in Frankfurt/Main verkündete Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) vor drei Wochen die neue Linie rot-grüner Drogenpolitik: Grundlage soll ein Modellversuch zur ärztlich kontrollierten Vergabe von Heroin und die Legalisierung von "Konsumräumen" sein - besser bekannt unter dem Namen "Frankfurter Modell".

"So rasch wie möglich" will die grüne Ministerin das von der Bankenmetropole bereits 1993 beantragte Modellprojekt "Originalstoffvergabe" auf Bundesebene starten. Damals scheiterte der Antrag der Stadt am Widerstand des regierungsgebundenen Bundesinstituts für Arzneimittel, das trotz deftiger Rüge des Oberlandesgerichts Berlin dem Antrag nicht stattgab. Was in der Schweiz und den Niederlanden seit Jahren praktiziert wird, von der alten Bundesregierung aber strikt abgelehnt wurde, soll nach dem Wunsch Fischers nun bundesweit eingeführt werden - zunächst jedoch nur versuchsweise.

Die meisten Großstädte stecken bereits in den Startlöchern: Karlsruhe, Hamburg, Hannover, Frankfurt, Dortmund, München, Köln und Berlin wollen den Langzeitkonsumenten den Originalstoff so bald wie möglich kontrolliert verabreichen. Obwohl die Finanzierung noch nicht geklärt ist, will der Bund die für Modellprojekte vorgeschriebene wissenschaftliche Begleitforschung zahlen. Die Länder sollen Räumlichkeiten und Personal stellen.

Unklar ist, an wen die Substanz ausgegeben werden soll. Fischer will den Versuch auf langjährig Abhängige beschränken, bei denen Therapien mehrfach gescheitert sind. Dieselbe Zielgruppe also, die die Frankfurter Stadtoberen im Visier hatten, als sie 1993 ihren Antrag einreichten. Die kommunalen Akteure hofften damals, so den gesundheitlichen und sozialen Zustand langjährig intravenös konsumierender, HIV- und hepatitisinfizierter Drogengebraucher stabilisieren und verbessern zu können.

Den Betroffenen sollte der Dauerstreß, den nächsten Hit organisieren zu müssen, abgenommen werden. Und vor allem sollten sie nicht mehr auf das in der Frankfurter Szene besonders gestreckte, nur fünfprozentige Heroin angewiesen sein. Die angepeilte Personengruppe belief sich auf 100 bis 150 Konsumenten - lediglich einem Drittel der Gebraucher der "offenen Szene" im Bahnhofsviertel also, gerade einmal zwei Prozent aller Konsumenten in der Stadt. Ähnlich sehen die Zahlen "verelendeter Schwerstabhängiger" für den Modellversuch in den anderen Städten aus: Der Großteil der Abhängigen bliebe bei Fischers Modell außen vor.

Nach dem Vorstoß der Ministerin ist nun in Frankfurt ein Streit darüber ausgebrochen, ob die Zielgruppe nicht erheblich erweitert werden müsse. Denn Fischers Ziel, mit der kontrollierten Originalstoffvergabe diese Drogengebraucher zu Entzugstherapien zu bewegen, um wieder ein drogenfreies Leben führen zu können, geht bei den meisten Usern am Problem vorbei: Langjährige Abhängige, die fast alle unter den Folgen von HIV-Infektionen, fortgeschrittenen Leberzirrhosen und anderen Krankheiten zu leiden haben, sind auf die Heroinvergabe als Überlebenshilfe angewiesen. Fischers Vorschlag erscheint da allenfalls zynisch.

Anders sieht es aus bei Drogengebrauchern, die sich noch nicht vollends in der "offenen Szene" etabliert haben. Für diese User stellt die kontrollierte Vergabe eine Alternative dar: Der Zugang zu reinstem Dope wäre gesichert, ohne daß jedesmal das ganze Hab und Gut veräußert werden müßte; das Infektionsrisiko würde gegen Null sinken. Doch die Anzahl dieses Personenkreises übertrifft die der Lanzeitabhängigen um ein Vielfaches. Daran muß sich auch die rot-grüne Drogenpolitik messen lassen. Nur so könnte den Konsumenten endlich ein gesundheitspolitisches Programm mit großer Reichweite angeboten werden - ohne sie von einer weiteren Droge, Methadon, abhängig zu machen, die ohnehin nicht kickt und außerdem die Wirkung des Heroins verdirbt.

Auch die Frage, ob sich der Modellversuch auf die Vergabe von Heroin beschränken sollte, bleibt offen. Denn die Konsumgewohnheiten in der Szene haben sich im Verlauf der vergangenen zehn Jahre erheblich verändert. Der reine "Heroin-Junkie" ist nur noch selten anzutreffen. Cocktails - ein Gemisch aus Heroin und Kokain - stehen inzwischen höher im Kurs. Auch der Konsum von Kokain oder dessen Derivat Crack hat sprunghaft zugenommen. Darüber hinaus fahren sich die User alles an Barbituraten und Benzoediazepinen ein, was erhältlich ist.

Auch der zweiter Pfeiler des Fischer-Modells ist nicht einmal reformistisch: eine Legalisierung der "Konsum-" oder "Druckräume" im Rahmen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) schüfe nur, was in Frankfurt, Hamburg, Hannover und Dortmund ohnehin schon praktiziert wird. Zwar brachten Kommunalpolitiker in München solche Versuche zur Drogenhilfe in den letzten beiden Jahren zu Fall. Daß die rot-grüne Bundesregierung Anlaufstellen dort künftig per Erlaß - gegen den Willen der örtlichen Behörden - durchsetzen würde, ist aber kaum zu erwarten.

Von einer neuen, rot-grünen Drogenpolitik zu sprechen, fällt deshalb schwer - eignete sich das Strafrecht doch schon immer als Tummelplatz reformenverkündender Drogenpolitiker.

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