Ohne Verdacht in den Knast

Gefahr in Vollzug: Berlins Große Koalition hat sich auf eine Verschärfung des Polizeigesetzes geeinigt. Künftig sollen "Vorbeugende Aufenthaltsverbote" für mehrere Tage verhängt werden können

"Sehr geehrte Frau Künast! Anläßlich der kommenden Sitzungswoche des Bundestages wird Ihnen hiermit für die nächsten sieben Tage untersagt, die zentralen Berliner Bezirke Mitte und Tiergarten zu betreten. Sollten Sie dennoch an einer der Kontrollstellen angetroffen werden, wird die Polizei Sie umgehend festnehmen. Die Rechnung für Unterkunft, Verpflegung und Transport begleichen Sie bitte zu einem späterem Zeitpunkt per Überweisung oder mittels Einzugsermächtigung. Begründung: Sie sind bereits durch Teilnahme an einer ungenehmigten Versammlung aufgefallen. Um Wiederholungsgefahr auszuschließen, muß dieses vorbeugende Aufenthaltsverbot gegen Sie verhängt werden."

Solche oder ähnliche Briefe könnten in Zukunft von der Berliner Polizei verschickt werden. Wenn die Änderungen des Berliner Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) in den kommenden Wochen erst einmal vom Parlament verabschiedet sind, wäre der Weg frei für "vorbeugende Aufenthaltsverbote" in der Hauptstadt.

Die Chancen stehen gut: Die SPD-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses hat den Vorschlägen ihrer Innenpolitiker in der vergangenen Woche zugestimmt, der mit der CDU bereits eine Woche zuvor vereinbarte Kompromiß wird demnächst dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt.

Bei allem Krach zwischen den Koalitionspartnern in den vergangenen Wochen - wenn es um Fragen der Inneren Sicherheit geht, steht die Große Koalition fest geschlossen.

Die SPD, glaubt die PDS-Abgeordnete Marion Seelig, wolle nicht in den Ruf kommen, zu wenig für die Sicherheit des Bürgers zu tun - und lasse sich so von der CDU in jede Gesetzesverschärfung hineindrängen. Eine für die SPD schmeichelhafte Darstellung. Denn an der geplanten Änderung des Polizeigesetzes zeigt sich, daß die Berliner Sozialdemokraten durchaus in der Lage sind, eigene Akzente in der Inneren Sicherheit zu setzen. Auf die SPD geht die schönfärbende Umbenennung der "verdachtsunabhängigen Kontrollen" in "lageabhängige Kontrollen" zurück. An der Ausweitung der polizeilichen Kompetenzen ändert die abgemilderte Wortschöpfung nichts: Auf Anweisung des Polizeipräsidenten könnte die Polizei in Zukunft an jeder Stelle der Stadt Kontrollstellen einrichten und Personen ohne Angaben von Gründen überprüfen.

Eine weitere Verschärfung des Polizeigesetzes beschloß der CDU/SPD-Senat ebenfalls in der vergangenen Woche: Als Ausdehnung des gesetzlich bereits verankerten Platzverweises soll das Parlament nun noch ein "vorbeugendes Aufenthaltsverbot" absegnen.

Was bislang nur für einige Stunden erlaubt war, soll künftig für einen erheblich längeren Zeitraum möglich sein: die Festsetzung von möglichen "Störern". Mit dem "vorbeugenden Aufenthaltsverbot" sind nicht mehr nur Drogendealer Ziel polizeilicher Platzverweise, auch unliebsame Demonstranten etwa bei Staatsbesuchen könnten entfernt werden, bevor sie unschöne Bilder produzieren.

Obwohl 1996 bereits der Hamburger Senat aus verfassungsrechtlichen Gründen seinen Plan fallen ließ, einen ähnlichen Artikel in das Hamburger Polizeirecht einzuführen, weisen die Berliner Koalitionäre alle grundgesetzlichen Bedenken von sich: Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, so der innenpolitische Referent der SPD, Reiner Zisken, gegenüber Jungle World, bleibe von dem neuen Artikel selbstverständlich unberührt.

In Hamburg konnte 1996 das vorbeugende "Aufenthaltsverbot" nicht durchgesetzt werden, weil Artikel 11 des Grundgesetzes, der die Freizügigkeit aller Deutschen im Bundesgebiet regelt, dem entgegenstand.

Antirassistische Gruppen und Rechtsanwälte haben deshalb in den letzten Jahren immer wieder kritisiert, daß schon der bislang gültige, einfache Platzverweis zu einem "Allheilmittel der Polizei" geworden sei: Mißliebige Personen würden aus Gründen der "Gefahrenabwehr" von bestimmten Plätzen vertrieben. Eine rechtliche Überprüfung der polizeilichen Praxis sei nur in den seltensten Fällen möglich. Auch Marion Seelig forderte in der letzten Woche noch einmal, daß der Polizei nichts genehmigt werden solle, was sie ohnehin schon - rechtswidrig - mache.

Das sieht der bis zum Frühjahr amtierende Vizepräsident der Berliner Polizei anders. Dieter Schenk (SPD) hatte schon bei der letzten Änderung des Polizeigesetzes klargestellt, daß die bisherige Polizeipraxis offensichtlich nicht dazu geführt habe, daß sich die Bundesrepublik zum Polizeistaat gewandelt habe. Folgerichtig stehe dies auch nach den Gesetzesverschärfungen nicht zu befürchten.