Speerspitze des Verbrechens

Vier mutmaßlichen Schleusern aus Sri Lanka droht vor dem Landgericht Frankfurt/Oder ein ähnliches konstruiertes Urteil wie den Taxifahrern in Zittau

Für den Bundesgrenzschutz (BGS) und die Staatsanwaltschaft sind die vier Männer auf der Anklagebank im Landgericht Frankfurt/Oder so etwas wie die Speerspitze des international agierenden organisierten Verbrechens.

Der 44jährige tamilische Koch G. aus Berlin-Wedding, sein 41jähriger Schwager und zwei ebenfalls tamilische Freunde der Familie sind angeklagt, als Mitglieder einer international agierenden Bande in zehn Fällen mehr als 30 Landsleute aus Sri Lanka gewerbsmäßig in die Bundesrepublik geschleust zu haben. Zwischen drei und neun Monaten haben die Männer bereits in Untersuchungshaft gesessen. Im Falle einer Verurteilung drohen ihnen Haftstrafen bis zu zehn Jahren und anschließend die Ausweisung aus der Bundesrepublik.

G., der zierliche Hauptangeklagte, lächelt die Richterin schüchtern an. Ein Verbrechen traut man ihm schwerlich zu: "150 meiner Landsleute wurden jetzt wieder in Sri Lanka erschossen", erzählt er in der Verhandlungspause den anwesenden Journalistinnen und Journalisten. Die tamilische Minderheit ist seit Jahren schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Einige deutsche Verwaltungsgerichte gehen bei Tamilen aus Sri Lanka von einer Gruppenverfolgung aus - ihren Asylanträgen wird stattgegeben. G. lebt seit 20 Jahren in Berlin. Seine Telefonnummer ist in seiner Herkunftsregion bekannt. Wem es gelingt, zu fliehen, der kann bei ihm anrufen.

Das haben die tamilischen Flüchtlinge getan, und G. hat sie abgeholt - aus Bernau, aus Zepernick, aus verschiedenen Berliner Telefonzellen. Von dort soll er sie laut Anklageschrift in seine Wohnung im Wedding gebracht, sie beherbergt und beköstigt haben. Einige stattete er mit neuer Kleidung aus. Danach habe er die Flüchtlinge zur Aufnahmestelle für Asylbewerber oder zu Verwandten transportiert. Manche ließ er von dem mitangeklagten Münsteraner Tamilen abholen - heißt es zumindest in der Anklageschrift. Sie wollten lieber in Westfalen oder in Hessen ins Asylverfahren.

Die Männer haben sich von den Flüchtlingen die Sachkosten für ihre

Hilfe erstatten lassen. 200 bis 300 Mark sollen für die Unterbringung, Verpflegung und Einkleidung in Berlin gezahlt worden sein. Noch einmal bis zu 300 Mark flossen, wenn jemand nach Münster oder Frankfurt/Main gefahren wurde.

Die Staatsanwaltschaft sieht in diesen Summen einen Schleuserlohn und in den Männern eine Schleuserorganisation, die "für ihren Lebensunterhalt oder den ihrer Angehörigen dauerhaft oder zeitweise Nebeneinkünfte" dadurch erlangte, "daß sie srilankische Staatsangehörige ohne die erforderliche Aufenthaltserlaubnis gegen Entgelt illegal in die Bundesrepublik einschleuste und weiterverteilte". Auf die Idee, daß die Männer ihren Landsleuten, die aus einer lebensbedrohlichen Situation geflohen waren, nur helfen wollten, kam die Staatsanwaltschaft nicht.

Die Anklage ist ähnlich konstruiert wie die gegen Taxifahrer in Zittau: Obwohl den Chauffeuren aus der sächsichen Grenzstadt lediglich nachgewiesen wurde, daß sie illegal eingereiste Flüchtlinge innerhalb der Bundesrepublik in ihrem Taxi mitnahmen, wurden sie wegen "Einschleusung von Ausländern" angeklagt. Nach demselben Paragraphen wie die Tamilen. Die Ermittler sahen in den Taxifahrern lediglich das letzte Glied in einer arbeitsteilig agierenden Schleuserkette. Bewiesen wurde das vor Gericht zwar nicht, aber die sächsischen Richter sprachen die Taxifahrer nach richterlicher Überzeugung für schuldig.

Jutta Hecht, der Vorsitzenden Richterin der 5. Großen Strafkammer in Frankfurt/Oder, traut man ein solches "Skandalurteil" nicht zu. Im Vorfeld des Prozesses hatte die Richterin sieben von ursprünglich 17 Anklagepunkten nicht zur Verhandlung zugelassen, weil sie einen hinreichenden Tatverdacht nicht zu erkennen vermochte. Eine vorzeitige Einstellung des Verfahrens, wie von der Verteidigung gefordert, lehnte die Richterin jedoch ab: Auch die Staatsanwaltschaft müsse Gelegenheit erhalten, ihre Vorwürfe vorzutragen.

Wie sich die Männer denn gegen Tatvorwürfe verteidigen sollen, die konkret gar nicht vorgetragen sind, will Verteidiger Heiner Wiewer wissen: "Es ist nicht klar, ob mit dem Vorwurf der Schleusung lediglich eine Hilfe beim Aufenthalt in der Bundesrepublik oder aber zur illegalen Einreise gemeint ist." Die Anklage legt die illegale Handlung nahe. Doch sie sagt nicht, wann, wo und wie die Hilfe beim Grenzübertritt der Flüchtlinge erfolgt sein soll. Wiewer: "Mein Mandant kann sich gegen die abstrakt bleibenden Tatvorwürfe nicht verteidigen." Dabei hätte die Anklage reichlich Gelegenheit gehabt, die Tatvorwürfe zu präzisieren. Sechs Monate lang hörte der BGS sämtliche Telefongespräche des Hauptangeklagten ab. Acht bis 15 BGS-Beamte haben seine Wohnung ständig observiert. Sie haben jeden Besucher, jeden Anrufer registrieren können. Dennoch ist in der Anklageschrift lediglich ein im Ausland lebendes Mitglied der vermuteten internationalen Schleuserorganisation namentlich benannt: Mit einem in Polen lebenden Tamilen hätten die Männer auf der Anklagebank manchmal telefoniert. Die Anklageschrift läßt vermuten, daß dieser Tamile den Flüchtlingen die Telefonnummer der Männer in Berlin gegeben hatte.

Ronald Reimann, der Verteidiger des Hauptangeklagten, hält die Lauschaktion für nicht rechtsstaatlich. Die Ermittler des BGS hätten sich die richterliche Genehmigung zum Abhören mit der Begründung erschlichen, damit bereits begangene Straftaten aufklären und an die Hintermänner des mutmaßlichen Schleuserringes in Polen herankommen zu wollen. "Sie haben aber mitgehört, um meinen Mandanten neuer Straftaten überführen zu können." Das sehe das Gesetz nicht vor: "Erst als den Ermittlungsbehörden nach mehr als fünf Monaten Lauschen klar wurde, daß keine Kenntnisse über die sogenannten Hintermänner zu erlangen seien, wurde mein Mandant verhaftet." Dieses Verhalten verstoße, so Reimann, gegen ein rechtsstaatliches Prinzip: Der Staat dürfe nicht denjenigen bestrafen, dessen Straftaten er belauscht und duldet, um damit andere Zwecke zu verfolgen.

Wenn es gegen mutmaßliche Schleuser geht, dann nimmt der BGS rechtsstaatliche Prinzipien nicht so genau. "Schleuser" gelten als besonders gefährliche Kriminelle, denen man das Handwerk legen muß. Das war nicht immer so. 1980 sprach der Bundesgerichtshof einem Fluchthelfer, der einem Flüchtling aus der DDR herausgeholfen hatte, einen Rechtsanspruch auf einen Schleuserlohn zu. Er erkannte damit einen Vertrag zwischen Flüchtling und Fluchthelfer als rechtsstaatlich und keinesfalls sittenwidrig an. Doch in den neunziger Jahren wurden in der öffentlichen Meinung aus hilfesuchenden Menschen "Asylbetrüger", "Wirtschaftsflüchtlinge" und "Eingeschleuste". Aus Fluchthelfern, die bis 1989 als ehrbare Menschen galten, wurden "Schleuser" und "international agierende Menschenhändler".

Allein am Landgericht Frankfurt/Oder ist das Verfahren gegen die Tamilen das fünfte innerhalb von 14 Monaten gegen Migranten, denen zur Last gelegt wird, ihre Landsleute in die Bundesrepublik gebracht oder ihnen nach ihrer illegalen Einreise geholfen zu haben. Im vergangenen Herbst wurden drei Berliner Pakistani zu Bewährungsstrafen bis zu zwei Jahren verurteilt, die Landsleuten geholfen hatten, in die Bundesrepublik einzureisen.

Hier hatte der BGS sieben Monate lang 8 000 Telefonate abgehört, Briefe kontrolliert und pakistanische Asylbewerber mit rüden Methoden verhört. Die Urteile lagen erheblich unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft, weil den Männern ein kommerzielles Interesse nicht nachgewiesen werden konnte. Das Gericht folgte zwar den Einlassungen der Angeklagten, sie hätten den Flüchtlingen aus politischen und humanitären Gründen geholfen. Dennoch waren die einzelnen Hilfeleistungen für Flüchtlinge, die aus lebensbedrohlichen Situationen geflohen waren, strafbar. Die drei weiteren Verfahren - gegen Pakistani aus Berlin und Warschau - sind noch nicht abgeschlossen.

An den Amtsgerichten entlang der deutschen Ostgrenze werden sogenannte Schleusungsdelikte im Wochenrhythmus verhandelt. Klaus Bartl, Rechtsanwalt in Chemnitz und gleichzeitig PDS-Landtagsabgeordneter in Sachsen,

vertrat allein rund 30 Mandanten mit Schleusungsvorwürfen vor Gericht. Bartl stellt in den letzten drei Jahren eine deutliche Erhöhung des Strafmaßes bei "Schleusungen" in Sachsen fest, die "in keinem Verhältnis zu Verurteilungen bei Raub oder Tötungsdelikten stehen".

Bisher hat noch kein Politiker öffentlich eine Änderung des Einschleusungsparagraphen gefordert. Auch in der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnisgrünen ist davon nicht die Rede.