Pinochets letzter Trumpf

Nichts ist vergessen: Die Verurteilung Pinochets dient der Rekonstitution der Linken.

Als britische Polizeiagenten dem Ex-Diktator Augusto Pinochet mitteilten, er sei verhaftet, feierten in der ganzen Welt Tausende Chilenen. Den Angehörigen der Ermordeten, den überlebenden Opfern und Exilanten verschaffte Pinochets Arrest in London nicht nur Genugtuung, weil der wichtigste Repräsentant des Regimes belangt wurde, das ihr Leben in einen Alptraum verwandelt hat.

Sie verbinden damit auch die berechtigte Hoffnung, daß nun endlich der Mantel des Schweigens über die Verbrechen der Militärdiktatur in Chile gelüftet wird. Damit würde die Voraussetzung für die Strafverfolgung der Mörder und Folterer in Chile selbst geschaffen. Was die chilenische Linke nach dem Ende von 16 Jahren Diktatur aus eigener Kraft nicht vermochte, scheint jetzt durch die Aktivitäten eines spanischen Untersuchungsrichters möglich. Und darüber hinaus: Falls es gelingt, Pinochet zu verurteilen, wachsen auch die Erfolgschancen einer Anklage gegen die argentinischen, brasilianischen oder guatemaltekischen Militärs, die in den siebziger und achtziger Jahren Zehntausende Mitglieder und Aktivisten linker Organisationen ermorden ließen und bis heute ebenfalls weitgehende Straffreiheit genießen. Die gesellschaftliche und juristische Aufarbeitung der Jahrzehnte des rechten Terrors gegen die lateinamerikanische Linke bekäme einen wichtigen Impuls.

Nun kann man einwenden, daß von bürgerlichen Regierungen und Gerichten, die dieselben sozialen Interessen vertreten, die einst die militärische Niederschlagung der bedrohlich wachsenden lateinamerikanischen Linken erforderten, keine Gerechtigkeit zu erwarten ist. Das ist richtig. Aber es geht bei den von den Opfern angestrengten Prozessen um etwas anderes. Die Demokratisierung der ehemals vom Militär beherrschten Länder muß vorangetrieben werden. Dazu sollte jeder sich bietende juristische Spielraum genutzt werden. Nur so können sich soziale Bewegungen neu konstituieren, die ihrerseits die einzig denkbare Basis für einen Kampf nicht nur für demokratische Rechte, sondern auch politische und soziale Veränderungen bilden. Also sind die Anstrengungen, Pinochet in den Knast zu werfen, ein Bestandteil der Rekonstituierung der Linken. Ob Untersuchungsrichter Baltasar Garz-n möglicherweise aus Karriereinteresse oder Geltungssucht handelt, ist dafür unerheblich. Unbestritten ist, daß es wünschenswerter gewesen wäre, die Linke hätte die Diktaturen aus eigener Kraft abgeschüttelt und die Henker ihrem verdienten Schicksal zugeführt. Aber dazu war sie nunmal nicht in der Lage.

Wichtig ist jetzt, dafür zu sorgen, daß die Schuldfrage nicht personifiziert wird und nach den politischen und wirtschaftlichen Interessen gefragt wird, die die Putschisten leiteten. Dabei wird man schnell auf die Verantwortung und Verstrickung von CIA bis Konrad Adenauer Stiftung stoßen. Ein Prozeß gegen Pinochet könnte zu einer Diskussion über die kriminellen Energien des Kapitalismus führen und an die Zusammenarbeit der "Demokraten" des Westens mit den von ihnen eingesetzten Diktatoren in Lateinamerika erinnern.

Auch der Einwand, bei dem Verfahren gegen Pinochet handele es sich nur um einen billigen Vorwand, um den deutschen Aposteln der Zivilgesellschaft eine Vorlage für künftige Polit-Prozesse gegen Milosevic u.a. zu liefern, liegt voll daneben. Rechtsprechung reflektiert immer gesellschaftliche Machtverhältnisse. Einen Vorwand, um gegen die jeweils angesagten "Schurken" vorzugehen, finden die "Führungsmächte" immer, egal, ob irgendwo ein Haftbefehl vorliegt oder nicht. Es kommt bei derlei Strafaktionen allein auf den politischen Willen und die Opportunität an, nicht auf formelle Rechtsgrundlagen. Die Erkenntnis ist ungefähr so alt wie die bürgerliche Justiz und gilt nicht erst seit der Verhaftung von Pinochet. Absurd, dieses Argument nun ins Spiel zu bringen, da es ausnahmsweise einmal den Richtigen getroffen hat.

Geradezu grotesk wirkt der Vorwurf, den internationalistischen Organisationen und den Exil-Chilenen ihre Beteiligung an der Anti-Pinochet-Kamapagne vorzuwerfen. Gutgemeint holt die Kritik weit links aus,

um anschließend ganz rechts zu landen. Denn was soll aus diesen Attacken gegen die Anti-Pinochet-Kampagne resultieren? Vielleicht eine Kampagne "Freiheit für Pinochet"? Mit den letzten Patriarchen der Linken an der Spitze, in unliebsamer Gemeinschaft z.B. mit den sich derzeit antiimperialistisch gebärdenden chilenischen Faschisten?

Obszön ist es aber, die Opfer wegen ihres Wunsches nach einer Verurteilung des Generals anzuprangern. Anstatt daß sich die Opfer der Diktatur endlich um eine Kritik der deutsche Außenpolitik bemühten, pochten sie kleinlich auf ihre eigene Geschichte. Und verlangten einfach, den Henker in den Knast zu werfen. Höchste Zeit also, daß man ihnen erklärt, daß sie sich mit ihrem Verlangen nach Rache zur Marionette von Pinochet und Joseph Fischer machen. Diese Belehrung - auch noch von deutschen Besserwissern - hat ihnen gerade noch gefehlt.

Denn daß die Linke von der bürgerlichen Justiz nicht allzu viel erwarten kann, wissen die Exilierten aus eigener Erfahrung. Aber Pinochet muß in den Knast, und wenn es nur deshalb ist, daß die Opfer der Diktatur den 82jährigen Schlächter nicht selbstgerecht und unbelangt in einem luxuriösen Palast sterben sehen.