So klug als wie zuvor

Der Wettbewerb zwischen den Hochschulen soll auch unter Rot-Grün verschärft werden

Semesterbeginn: Wie jedes Jahr im Herbst strömen die Studierenden in Massen in die Hörsäle und kämpfen um Seminarplätze. Wie jedes Jahr im Herbst?

Nein. Noch vor einem Jahr demonstrierten Zehntausende Studenten gegen ihre Studienbedingungen. Die Demonstrationen entwickelten sich zum größten bildungspolitischen Protest seit langem: Besonders das von der CDU in Abstimmung mit der SPD entworfene neue Hochschulrahmengesetz (HRG) stieß bei den Studis auf heftigen Widerstand. Dabei hatten sie es schwer, sich der Umarmung von Politikern fast aller Parteien zu erwehren.

Seit dem 20. August ist das neue HRG nun in Kraft. Ein Blick auf das Gesetz zeigt: Abgesehen von minimalen - von der SPD durchgesetzten - Änderungen wie einer Absichtserklärung zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen (Paragraph 3, HRG) hat sich an dem Entwurf von 1997 nichts geändert.

Nun sollen laut Koalitionsvertrag mindestens zwei Punkte ergänzt und insgesamt andere Akzente gesetzt werden. So sollen alle Universitäten Verfaßte Studentenschaften (Asta) bekommen. In Bayern und Baden-Württemberg gäbe es dann endlich wieder gewählte und organisierte Gremien zur Artikulation studentischer Interessen.

Sonst aber führt Rot-Grün die Rüttgerssche Bildungspolitik einfach fort: Die Paragraphen, die im alten HRG das Stimmrecht von Kollegialorganen, Ausschüssen und anderen Gremien regelten, wurden von der bisherigen Regierungskoalition ersatzlos gestrichen. Damit hebelte sie die Garantie für studentische Mitbestimmung in universitären Entscheidungsgremien aus. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 steht den Professoren ohnehin das letzte Wort bei allen wichtigen Entscheidungen zu.

Doch was die neuen Regierenden noch in ihrer eigenen Studienzeit gefordert hatten, die Abschaffung der Professorenmehrheit in den Uni-Gremien, haben sie im Taumel der Realpolitik schlichtweg vergessen. Die Frage, ob Rot-Grün nicht trotz einer zu erwartenden Klage aus den konservativ regierten Ländern die Paritäten ändern wolle, verneinte Matthias Berninger, Hochschulpolitischer Sprecher der Grünen, gegenüber Jungle World. Mit Verfaßten Studierendenschaften, so Berninger, sei die Mitbestimmung ausreichend gesichert. Im SPD-dominierten Bundesrat hätte ein solcher Vorstoß ohnehin keine Aussicht auf eine Mehrheit. Auch das seit Jahren von den Asten geforderte politische Mandat sei aus rechtlichen Gründen nicht durchsetzbar.

Zwar soll nun unter dem Stichwort "Personalstrukturen" der generelle Beamtenstatus der Professoren gekippt und die Lehrenden zu mehr Wettbewerb angehalten werden. Solange die Habilitierten jedoch jede Entscheidung majorisieren können, wird dies der im Koalitionsvertrag formulierten Absicht von Demo- kratisierung wenig weiterhelfen. Auch den Wettbewerb unter den Hochschulen will Rot-Grün weiter vorantreiben. Die leistungsorientierte Mittelvergabe - das neoliberale Herzstück des neuen HRG - wird einfach übernommen. Welche Uni sich dann als effektiv erweist, soll nicht vornehmlich an der Qualität der Lehre gemessen, sondern in quantitativen Verfahren festgestellt werden.

Die Argumente ähneln verblüffend denen von Minister Rüttgers: Qualitative Bewertungen, meint Berninger, seien schwierig durchführbar, einschätzen müßten sich die "Ideenfabriken" deshalb weitgehend selbst. In einem aber herrscht in Bonn ohnehin parteiübergreifend Einigkeit: Konkurrenz, Leistung und Autonomie der Hochschulen sind sinnvoll.

Dennoch, die reine Marktwirtschaft soll an den Universitäten nicht herrschen: Zum einen wird als Kriterium für die Finanzzuweisung die Förderung von Frauen festgelegt, zum anderen sollen große Unis wie Köln oder München Pro-Kopf-Zuschüsse erhalten.

Das von den Sozialdemokraten noch während des Streiks geforderte Verbot von Studiengebühren dürfte sich nach dem Koalitionsvertrag ebenfalls in einer Reform wiederfinden - allerdings in einer Light-Variante: Klaus Luther vom Referat Bildung und Forschung der SPD sagte gegenüber Jungle World, daß es dabei nur um ein Verbot von "klassischen Studiengebühren" gehen könne. Zahlungen durch die Hintertür, wie etwa die Einschreibegebühren von 100 Mark in Berlin, dürften aber nicht unverhältnismäßig hoch ausfallen und müßten mit dem Verwaltungsaufwand direkt begründbar sein.

Parallel dazu sollten das Bafög und die Freibeträge erhöht werden. Alle ausbildungsbezogenen staatlichen Leistungen würden künftig in einem Topf zusammengefaßt, um so die finanziellen Spielräume zu erweitern. Mehr Spielraum will offenbar auch der von der Hans-Böckler-Stiftung des DGB einberufene "Bildungsrat", der Ende letzter Woche mit dem Vorschlag überraschte, alle Schüler und Studenten sollten Gebühren bezahlen. Die SPD dürfte darüber nicht glücklich sein. Selbst die GEW, deren Ex-Chef Dieter Wunder einer der 13 "Weisen" des Bildungsrats ist, kritisierte die Pläne, ab der 11. Klasse nur eine staatliche Sockelfinanzierung zu erhalten und den Rest von zahlungspflichtigen Angehörigen aufbringen zu lassen, als "neoliberal".

Auch vom politischen Gegner droht der rot-grünen Koalition Unbehagliches. Als die Unionspolitiker Herzog, Kohl und Rüttgers im August die letzte HRG-Novelle unterzeichneten, werteten sie im Schlußsatz prophylaktisch: "Die verfassungsmäßigen Rechte des Bundesrates sind gewahrt." Daran wird auch die neue Regierung nicht rütteln. Denn den Gang zum Bundesverfassungsgericht, den die SPD noch kurz vor den Bundestagswahlen angedroht hatte, strebt angesichts der neuen Machtverhältnisse im Parlament jetzt die andere Seite an.

Die unionsgeführten Länder Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen, so steht nach der Ankündigung des baden-württembergischen Wissenschaftsministers Klaus von Trotha zu erwarten, wollen ein rahmenrechtlich verfaßtes Gebührenverbot nicht widerstandslos hinnehmen - und nun ihrerseits die Karlsruher Richter anrufen.