Umstieg statt Ausstieg

Das rot-grüne Verhandlungsergebnis zur Atompolitik bleibt hinter der Beschlußlage beider Parteien

Wie windig der Kompromiß zwischen SPD und Grünen in Sachen Atomausstieg ausgefallen ist, läßt sich vor allem an einem ablesen: an der zufrieden zurückhaltenden Reaktion der Atomindustrie.

Nachdem am vergangenen Donnerstag die ersten Eckpunkte der künftigen rot-grünen Atompolitik bekannt geworden waren, gab es von seiten der Kraftwerksbetreiber keinen Aufschrei, nicht einmal deutliche Kritik zu hören. Die Vorstände der deutschen AKW-Betreiber, die sich am Freitag in München versammelt hatten, versicherten die neue Bundesregierung statt dessen ihrer Gesprächsbereitschaft.

Auch wenn SPD und Grüne in Zukunft auf den Ausstieg aus der Atomwirtschaft hinarbeiten wollen, kann die Atomlobby aufatmen. Denn wenn es nach den Programmen und Grundsatzbeschlüssen der beiden angehenden Regierungsparteien gegangen wäre, dann hätte den Konzernen eigentlich viel Schlimmeres blühen müssen: Waren die Grünen doch angetreten, den Sofortausstieg zu verwirklichen, und auch die SPD hatte sich schon vor Jahren auf einen Ausstieg binnen zehn Jahren festgelegt.

Doch das Ende der Atomwirtschaft ist jetzt erst einmal auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben. Anstatt eine Frist für den Ausstieg zu vereinbaren, haben sich die Spitzen von SPD und Bündnisgrünen in der vergangenen Woche darauf geeinigt, erst einmal Gespräche mit der Atomlobby zu führen. Im Konsens mit den Konzernen soll dann "der Einstieg in den Ausstieg" geschafft werden. Dadurch will die künftige Regierung vor allem Entschädigungszahlungen vermeiden. Falls innerhalb eines Jahres kein Kompromiß mit den AKW-Betreibern erzielt werden könne, werde die Bundesregierung den Ausstieg gesetzlich anordnen, verspricht der Grünen-Sprecher und zukünftige Umweltminister Jürgen Trittin.

Warum allerdings sollten die Grünen in einem Jahr das schaffen, was sie schon heute nicht gegen die SPD durchsetzen konnten? Die in den vergangenen Monaten erarbeiteten Ausstiegspläne spielten in den Koalitionsverhandlungen offenbar keine Rolle. So hatten die Grünen und der linke SPD-Flügel vor der Wahl vorgeschlagen, die derzeit noch unbegrenzte Laufzeit deutscher AKW auf 25 Jahre zu beschränken. Dadurch hätten die ältesten Reaktoren sofort, die meisten anderen binnen eines Jahrzehnts abgeschaltet werden können. Auch Schadenersatzansprüche hätten so vermieden werden können.

Auch die übrigen von den Koalitionären getroffenen Vereinbarungen sind mehr als dürftig: Zwar wird das Atomgesetz dahingehend geändert, daß es in Zukunft nicht mehr die "Förderung der friedlichen Nutzung der Kernenergie" zum Ziel hat, sondern statt dessen den Ausstieg aus der Atomwirtschaft. Doch auch unter Rot-Grün wird es wohl demnächst wieder Castor-Transporte geben. Denn die Wiederaufbereitung von deutschen Atommüll in Frankreich und Großbritannien wird nicht mit sofortiger Wirkung gestoppt. Statt dessen sollen die bereits geschlossenen Verträge erfüllt werden - ebenfalls, um Schadenersatzforderungen zu vermeiden. Der nächste Transport von der französischen WAA La Hague ins Zwischenlager Gorleben ist also nur eine Frage der Zeit.

Da die meisten deutschen AKW vorerst weiterlaufen sollen, werden wohl auch innerhalb Deutschlands wieder die Castor-Behälter rollen. Rot-Grün hat sich zwar auf die Errichtung externer Zwischenlager an den Kernkraftwerk-Standorten geeinigt - im Widerspruch zum grünen Parteiprogramm, das eine Zwischenlagerung in den AKW, das heißt im Naßlager fordert. Wenn aber einem AKW der Betriebsstillstand droht, weil das Abklingbecken voll und eine Lagerung der Brennelemente im Trockenlager noch nicht möglich ist, dann wollen SPD und Grüne auch in Zukunft Atommüll-Transporte genehmigen.

Wohin der auf Jahrtausende hinaus verstrahlte Abfall dann rollen wird, ist noch nicht entschieden - wahrscheinlich aber genau dorthin, wo er auch bislang schon immer gelandet ist: in Gorleben. "Wie sich die Zwischenlagerung in Gorleben entwickelt, ist nicht prognostizierbar", teilte Niedersachsens Umweltminister Wolfgang Jüttner mit. Im Klartext: Eine weitere Zwischenlagerung ist nicht ausgeschlossen.

SPD und Grüne haben sich außerdem darauf geeinigt, daß der gesamte deutsche Atommüll in Zukunft an einem Ort gelagert werden soll. Bis zum Jahr 2030 soll das Endlager fertig sein, wo immer es auch sein mag. Morsleben wird es wohl nicht werden. Das dortige Lager soll geschlossen werden. Und die Untersuchung des Salzstocks in Gorleben will Rot-Grün erst einmal vertagen. Nun soll nach Alternativstandorten gesucht werden. Sicher scheint allenfalls, daß das Projekt Schacht Konrad, der für leicht radioaktiven Müll vorgesehen war, nicht verwirklicht werden wird.

Wie die grüne Parteiführung ihrer Basis den mageren Atom-Kompromiß verkaufen wird, bleibt spannend. Der Parteitag am 26. Oktober muß schließlich die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen noch absegnen. Selbst die bisherige Atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Ursula Schönberger - sie wird dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören - bezeichnet den Kompromiß als "enttäuschend". Irene-Maria Sturm, bis vor wenigen Wochen noch Atompolitische Sprecherin der bayerischen Landtagsgrünen, spricht gar vom "Verrat am eigenen Programm". Harsche Kritik auch von Seiten der Naturschutzorganisationen: Für Greenpeace ist das Konzept "völlig unzureichend", die Umweltverbände BUND und BBU sehen in dem rot-grünen Kompromiß einen "angeblichen Einstieg in den Atomausstieg" und "eine skandalöse Farce".