Karriere statt Midlife-Crisis

Die Jungen Wilden blasen zum Angriff auf die CDU-Zentrale. Mit der Kraft der zwei Herzen könnte es klappen

Klaus Escher denkt an die Zukunft. Ein "aktives Mitgliedermanagement" fordert er von seiner Partei. Die CDU weise eine "besonders kritische Alterstruktur" auf. Mit einem durchschnittlichen Alter von 56 Jahren sei die Union "gewissermaßen vorruhestandsberechtigt". Gerade mal 15 Prozent der Mit- glieder seien unter 39 Jahren alt.

Einer von ihnen ist Klaus Escher. Und der sieht nach dem großen Wahldebakel nun seine Chance gekommen: Am 7. November will er den Sprung ins CDU-Präsidium schaffen. Bei den Christdemokraten hat die Zeit der "späten Helden" begonnen. "In der CDU hauen die sogenannten Jungen Wilden auf den Sündenbock Kohl ein und dabei besonders jene, die durch devote Zurückhaltung auffielen, als der Kanzler noch über Karrieren entschied", kommentiert Welt-Chefredakteur Matthias Döpfner, gewiß keiner, der in der Vergangenheit durch Fundamentalkritik an den Christdemokraten auffiel, das neue Selbstbewußtsein der jungen Aufstreber.

Die Jungen Wilden, von denen der 33jährige Escher einer der jüngsten ist, trauen sich nach der Niederlage Kohls aus der Deckung und bringen sich in Position. So will der 42jährige saarländische Landes- und Fraktionsvorsitzende Peter Müller aus dem Wahlergebnis vom 27. September einen "klaren Auftrag zur personellen Erneuerung" herauslesen. Vor der Wahl war er sich noch sicher: "Es gibt keine Alternative zu Kohl."

Dieser Gesinnungswandel ist typisch für die junge Garde. "Wir sind die Ungeduldigen der Partei", verkündet der hessische CDU-Landesvorsitzende Roland Koch jetzt forsch. "Ohne uns sind Reformen nicht möglich", tönt der 40jährige und möchte heute nicht mehr gerne an sein vor der Wahl ausgesprochenes Glaubensbekenntnis erinnert werden: "Ich bin ein Kohlianer."

Kein Junger Wilder, der es nicht schon vorher gewußt hat: Es klinge "altklug, aber es war mir schon vorher relativ klar", kommentiert der 43jährige Hamburger Fraktionsvorsitzende Ole von Beust den Wahlausgang. Er sieht nun das "Ende einer Ära", das "eine große Chance zu Erneuerung sein" könne. Und die kann nur von ihm und den Seinen genutzt werden: "Die, die die CDU bisher repräsentiert haben, geben nicht mehr die Wirklichkeit der Gesellschaft wieder."

Immerhin reicht von Beust zur Zeit noch ein Platz im Bundesvorstand der CDU. Bevor Höheres ansteht, muß er erst noch seinen Landesverband unter Kontrolle bringen. Für den nächsten Landesparteitag hat er eine Kampfkandidatur gegen den amtierenden Landesvorsitzenden Dirk Fischer angekündigt. Der Saarländer Müller und der Hesse Koch wollen hingegen wie ihr qua Amt junger Kollege Escher von der Jungen Union ins unmittelbare Machtzentrum: ins Parteipräsidium.

Wenn es um Pöstchenschacher geht, darf natürlich einer nicht fehlen: Der 39jährige niedersächsische CDU-Landes- und Fraktionschef Christian Wulff. Auf einem vierstündigen inoffiziellen Treffen der Jungen Wilden Anfang Oktober in Frankfurt, an dem neben Müller, Koch, von Beust und Wulff auch die Landes- und Fraktionschefs Christian Köckert (Thüringen), Roland-Mike Neumeyer (Bremen), Christoph Böhr (Rheinland-Pfalz) und Günther Oettinger (Baden-Württemberg) teilnahmen, wurde vereinbart, den Prototypen des netten Schwiegersohns und ehemaligen Vorsitzenden der Schüler-Union als stellvertretenden Parteivorsitzenden vorzuschlagen.

Was die Jungen Wilden außer ihrem Alter verbindet, ist ihr unbändiger Karrierewille. In ihren Ländern konnten sie bereits Wahlschlappen der CDU zum eigenen Karriereschub und zur Verdrängung der Altvorderen nutzen, nun versuchen sie dieses Modell auf den Bund zu übertragen. Dabei prügeln die "Weihrauchschwenker und Oberministranten" (Heiner Geißler) nicht nur auf den abgehalfterten Kohl ein. Auch andere Heilige der CDU sollen vom Sockel gestoßen werden, wenn sie ihren Platz nicht freiwillig freimachen.

Beispielsweise Norbert Blüm: Der 63jährige will noch nicht in den Genuß seiner Rentenreform kommen und deswegen wieder stellvertretender Bundesvorsitzender werden. Dagegen macht JU-Chef Escher Front: Ein Minister, der gerade sein Regierungsamt verloren habe, dürfe nicht länger der engsten CDU-Führung in einer Art "Altersteilzeit" angehören. Das wäre ein "falsches Signal, das von den Jüngeren in der Partei nicht akzeptiert" würde. In einer Erklärung verkünden junge nordrhein-westfälische Abgeordnete gar, sie würden solche "rückwärtsgewandte Personalpolitik nicht kampflos" hinnehmen.

Die Jungen Wilden haben keine gemeinsame politische Linie. Nicht zu Unrecht mahnte ein CDU-Bundestagsabgeordneter in der Neuen Osnabrücker Zeitung, Verjüngung und inhaltliche Erneuerung gleichzusetzen. Zu viele in der CDU "wissen, was sie werden wollen, aber wissen nicht, welchen politischen Kurs sie und die Partei einschlagen sollen".

So verbindet denn auch den Saarländer Peter Müller und den Hessen Peter Koch inhaltlich nicht viel. Während Müller dem "Reformflügel" um Geißler, Blüm und Süssmuth zugerechnet wird, steht Koch ganz in der Tradition seines Mentors Manfred Kanther und attakkiert die rot-grüne Landesregierung in Hessen mit Law-and-Order-Parolen. Entsprechend unterschiedlich ist die Strategie der beiden für die Wahlen in ihren Ländern im kommenden Jahr: Koch setzt auf Schwarz-Gelb in scharfer Abgrenzung zu den Grünen, Müller liebäugelt mit Schwarz-Grün.

Während Müller an seiner Partei kritisiert, die Union weigere sich noch immer, zur Kenntnis zu nehmen, daß Deutschland ein Einwanderungsland sei, ist Koch eine solche Vorstellung ein Graus. Er hält es da lieber mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Rupert Scholz. Der bezeichnete in der vergangenen Woche das neue rot-grüne Staatsangehörigkeitsrecht als "verfassungsrechtlich fragwürdig": "Eine derart radikale Umstrukturierung des Staatsangehörigkeitsrechts greift an die Grundlagen der Identität des deutschen Staatsvolkes." Doch solche politischen Differenzen spielen zwischen Koch und Müller keine Rolle, wenn es darum geht, gemeinsam den Gipfel des Parteiolymps zu erklimmen.

Der eintägige CDU-Parteitag am 7. November wird zeigen, ob das Seilschaftsmodell der Jungen Wilden greift. Dem designierten Parteivorsitzenden Wolfgang Schäuble geht ihr Drang nach personeller Erneuerung schon jetzt zu weit. Die Partei brauche "auch künftig den Beitrag älterer, erfahrener, bekannter Frauen und Männer", warnte er in der Bild-Zeitung und fügte süffisant hinzu: "Im übrigen: Manche der älteren Kollegen wirken auf mich jünger als manche der Jüngeren." Das Motto des Parteitages ist jedenfalls passend gewählt. Es lautet: "Wir nehmen die Herausforderung an."

Als einzige CDU-Nachwuchskraft dürfte Christian Wulff seinen Sitz sicher haben. Wenn der designierte Vorsitzende Wolfgang Schäuble auf der Bundesvorstandssitzung am 22. Oktober Angela Merkel als Generalsekretärin nominiert, fällt eine Konkurrentin um einen der Stellvertreterposten weg, und es gibt mit Norbert Blüm, Erwin Teufel, Volker Rühe und Wulff genau vier Kandidaten für die vier zu vergebenden Plätze. Einziger Schönheitsfehler: Das Statut der CDU sieht ein "Frauen-Quorum" vor. Werden vier männliche Stellvertreter gewählt, gilt der erste Wahlgang als ungültig; ein rein männlicher Vorstand kann laut Satzung erst im zweiten Wahlgang gewählt werden.

Noch schwieriger wird es bei der Besetzung des Parteipräsidiums: Bislang haben schon zehn Kandidaten und Kandidatinnen ihren Anspruch auf einen Platz im siebenköpfigen Präsidium angemeldet. Neben Koch, Müller und Escher treten Rainer Eppelmann, Claudia Nolte, Peter Rauen, Rita Süssmuth, Christa Thoben, Arnold Vaatz und Matthias Wissmann an. Bei den Wahlen zum Bundesvorstand werden die Delegierten über ein noch größeres Angebot von Alternativen zu entscheiden haben. Soviel Demokratie im früheren Kanzlerwahlverein - daran werden sich einige erst gewöhnen müssen.