Radikalökologe Jörg Bergstedt

»Gemeinsam sind wir stark«

Ist ein grüner Umweltminister für Sie als langjähriger Umweltaktivist ein Grund zur Freude?

Die Grünen wollen die Umsetzung der Agenda 21 zur Grundlage einer rot-grünen Regierung machen. Dabei wird in den Agenda-Texten die Nutzung von Atomkraft und Gentechnologie festgeschrieben. Unter Rot-Grün wird der schon heute viel diskutierte "Nationale Umweltplan" umgesetzt werden. Wirtschaft, Verbände und Wissenschaft werden sich fünf bis zehn Jahre lang in Diskussionsrunden gegenübersitzen. Widerstand auf der Straße und öffentlicher Druck werden in dieser Phase kaum mehr möglich sein.

In der rot-grünen Verhandlungskommission hat man sich auf den Einstieg in eine ökologische Steuerreform geeinigt. Ist das nicht zumindest ein Anfang?

Ich setze mich für die Besteuerung aller Energieverbraucher ohne Ausnahme ein. Das war noch bis 1994 Beschlußlage sämtlicher Umweltverbände und auch der Bündnisgrünen. Danach wurden diese Beschlüsse zugunsten der Energiegroßabnehmer verwässert. Neueste Studien des Deutschen Naturschutzrings sehen vor, daß Konzerne nur noch zehn Prozent bezahlen sollen. An den Autofahrern bleibt dann die volle Besteuerung hängen.

Ihre Einschätzung der deutschen Umweltbewegung - "eine verdeckt agierende rot-grüne Seilschaft giert nach der Macht" - klingt ziemlich verschwörungstheoretisch ...

Im Moment existieren zwei Umweltbewegungen. Die Anti-AKW-Bewegung, die an den Castor-Blockaden beteiligt ist, läßt sich genausowenig in staatsnahe Bahnen lenken wie die BesetzerInnen von Gen-Feldern. Allerdings klammert diese Bewegung sehr viele gesellschaftliche Bereiche aus und bietet daher keine Alternative. Die großen Umweltverbände hingegen sind überwiegend auf Schmusekurs mit Politik und Wirtschaft. Mit Begriffen wie "Zukunftsfähiges Deutschland", "Nachhaltigkeit" oder "Agenda 21" und dem Bezug auf den Umweltgipfel von Rio soll vernebelt werden, daß noch nie mehr umweltfeindliche Entscheidungen getroffen und von der Umweltbewegung erkämpfte Standards zurückgeschraubt wurden als in dieser Zeit.

Die Haltung der Umweltverbände zur Expo 2000 in Hannover ist für diese Verstaatlichung der Bewegung charakteristisch. Entgegen anderslautenden Beschlüssen beteiligen sich viele Umweltverbände an der Vorbereitung der Expo, die in ihren Mitteilungen Gentechnik als Lichtblick für die Zukunft bezeichnet.

Wie haben die Umweltverbände auf Ihre Kritik reagiert?

Dort gibt es wenig Bereitschaft, sich mit Kritik auseinanderzusetzen. Funktionäre der Grünen Liga haben öffentlich erklärt, daß sie meine Veranstaltungen boykottieren werden. Eine solche Auseinandersetzung mit Kritik ist in der Umweltbewegung allerdings üblich und hat mich deshalb nicht verwundert.

Ist die von Ihnen diagnostizierte Verstaatlichung der Umweltbewegung noch aufzuhalten?

Die Perspektivdiskussion einer unabhängigen Umweltbewegung muß noch geführt werden. Diese Diskussion wird zur Zeit dadurch verhindert, daß viele Umweltaktivisten über Agenda-21-Strukturen in Arbeiten verstrickt sind, die die Umweltbewegung nicht weiterbringen. Das Problem der Verstaatlichung betrifft viele soziale Bewegungen. Einerseits nehmen die Basisaktivitäten ab, andererseits nimmt die Insti- tutionalisierung und Verstaatlichung der Bewegung zu. Nur, wenn sich die emanzipatorischen Teile der unterschiedlichen Bewegungen zusammensetzen und gemeinsam eine Perspektive erarbeiten, kann diese Entwicklung gestoppt werden.

Jörg Bergstedt arbeitet seit langem in Umweltverbänden und am Institut für Ökologie in Marburg. Er ist Autor mehrer Bücher und Herausgeber von Ö-Punkte.