»Eine Annäherung an dievorfaschistische Konstruktion«

Andreas Hieronymus, Mitarbeiter des Instituts für Migrations- und Rassismusforschung in Hamburg

Die linksliberale Presse feiert die rot-grüne Vereinbarung, das Staatsbürgerschaftsrecht zu ändern, als großen Bruch zur bisherigen Gesetzgebung. Handelt es sich bei dem Beschluß tatsächlich um den Anfang vom Ende des Ius sanguinis?

In der aktuellen Diskussion ist kaum bekannt, daß das heute gültige Staatsbürgerschaftrecht auf der faschistischen "Modernisierung" der alten Gesetzgebung aus dem 19. Jahrhundert beruht. Diese wurde mit der "Reichsgründung" 1871 eingeführt; zum ersten Mal wurde damit definiert, was ein "deutscher Staatsbürger" ist. Vorher gab es ja "nur" die jeweiligen Länder wie Preußen, Sachsen etc.

Bei der juristischen Konstruktion des "Deutschen" mußte darauf noch Rücksicht genommen werden. Daher konnten vor 1913 die Prinzipien des Ius soli und des Ius sanguinis in den einzelnen Ländern des Kaiserreichs noch nebeneinander existieren. Erst die Nationalsozialisten zentralisierten die Staatsbürgerschaft: Das Prinzip des Bodens wurde gänzlich abgeschafft und das Blutsrecht zum alleingültigen Prinzip erhoben.

Die faschistische Bestimmung der Nürnberger Reichsgesetzgebung lautete: "Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, daß er gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen." Während es noch bis zum Ende der Weimarer Republik gleichgültig war, wie die Eltern eines Kindes zur deutschen Staatsangehörigkeit gekommen waren - ob durch Naturalisierung, durch Einstellung in den öffentlichen Dienst oder durch "deutsche Vorfahren" - führten die Nationalsozialisten zwei neue Kriterien ein: Blut und Treue. So gesehen bedeutet die Einschränkung des Blutsrechts durch die neue Koalition eine Annäherung an die vorfaschistische Konstruktion.

Handelt es sich dabei um ein originär rot-grünes Projekt?

Nein. Die Diskussion um die Staatsbürgerschaft wird schließlich seit über 20 Jahren geführt. Immerhin hatte schon die alten Regierung vor, eine "Kinderstaatsbürgerschaft" einzuführen. Bereits in der letzten Legislaturperiode zeichnete sich eine Mehrheit bis weit in die CDU ab, die eine "Modernisierung" des Staatsbürgerschaftsrechts für notwendig hielt. Eine Reform war in fast allen Teilen des Parteienspektrums längst konsensfähig. Und ein Grund dafür waren sicherlich bevölkerungspolitische Überlegungen, insbesondere der starke Geburtenrückgang bei der "deutschen" Bevölkerung.

Durchsetzbar wurde diese Reform erst durch die neue Mehrheit im Parlament. Aber auch die "neue Mitte" muß sich durch Abgrenzung definieren: So wurde die Frage der Staatsangehörigkeit gegen die CSU öffentlichkeitswirksam inszeniert. Wie sich die Mitte nach links abgrenzt, muß sich erst noch zeigen. Die Konturen aber scheinen schon durch: Eine völlige Abkehr vom Ius sanguinis und die Durchsetzung des Ius soli, was ja die Gleichberechtigung von Millionen von Menschen bedeuten würde, ist nicht absehbar.

Ändert die Reform etwas an der sozialen Situation der Einwanderer?

Da wird das Dilemma schon deutlich: Gleichberechtigung heißt ja auch immer, andere an die "eigenen" Fleisch- (oder Gemüse-) Töpfe zu lassen. Da sich diese Regierung aber einer "Verwaltung der Sachzwänge", so sieht es zumindestens bisher aus, verpflichtet fühlt und die Fleischtöpfe nicht üppiger füllen wird, bleibt nur der Ausschluß oder die Begrenzung der Anspruchsberechtigten.

Die Priviligierung einer bestimmten Einwanderergeneration funktioniert nur durch die Ausschließung anderen Gruppen, z.B. von Flüchtlingen. Das zeigt sich in den Koalitionsvereinbarungen. Weder das Asylbewerberleistungsgesetz noch andere Teile des Asylkompromisses von 1993 wurden zurückgenommen.

Wie ist das neue Recht im Vergleich zu den anderen EU-Ländern einzuordnen?

Die Reform bedeutet eher eine Normalisierung und Anpassung an den EU-Standard, als daß sie neue Maßstäbe setzen würde. In vielen EU-Ländern hat es in den letzten Jahren Änderungen des Staatsbürgerschaftsrechts und des Asylrechts gegeben. Frankreich beispielsweise hat sich in einigen Bereichen dem Ius sanguinis angenähert. Was auch von der Rechten begrüßt wurde. Jetzt nähert sich die BRD dem territorialen Prinzip an - europaweit findet eine Angleichung der Rechtspraxis statt. Die Frage einer gemeinsamen EU-Staatsbürgerschaft steht ja merkwürdigerweise nicht auf der politischen Tagesordnung.

Also eine Angleichung auf niedrigstem Niveau ...

Im Asylrecht hat diese Vereinheitlichung schon stattgefunden: Das Schengen-System wird immer weiter ausgebaut. Die Konsequenzen: Allein an der spanischen Mittelmeerküste bei Gibraltar sollen im letzten Jahr 2 000 Leichen angespült worden sein. Die Dunkelziffer der Ertrunkenen liegt vermutlich wesentlich höher. Eine Zahl, welche die Mauertoten der DDR in 40 Jahren bei weitem übertrifft, aber nicht einmal eine annähernde gesellschaftliche Skandalisierung erfährt.