Ein Kern ohne Energie

Mit der neuen Koalition ist die Herbstkonferenz der Anti-Atom-Bewegung nicht glücklich

Von sportlichem Klettertraining über eine Arbeitsgruppe zu Autonomen in der Anti-AKW-Bewegung bis zu einer von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung angestoßenen und eher realpolitisch geprägten Diskussion über Entsorgungskonzepte fehlte kaum ein Programmpunkt auf der Herbstkonferenz der bundesweiten Anti-Atom-Bewegung am vergangenen Wochenende in Berlin.

Einen Punkt hatte man aber vernachlässigen wollen: Über einen Ausstieg aus der Atomkraft unter rot-grünen Vorzeichen hatte zunächst niemand so recht Lust gehabt zu diskutieren. Das werde, so die Veranstalter, "so und so Thema sein", und an der neuen Regierung wolle man sich nicht jetzt schon abarbeiten.

Auf dem Eröffnungsplenum am Samstagmorgen forderten dann aber doch einige TeilnehmerInnen, sich auch mit dem demnächst regierungsoffiziellen Ausstiegsszenario zu befassen. Mehr oder weniger spontan fand sich auch zu diesem Thema noch eine Arbeitsgruppe zusammen, in der man die neue Situation politisch bewerten und nach Interventionsmöglichkeiten suchen wollte.

"Was momentan läuft, ist kein Ausstieg und auch kein Ausstieg auf 40 Jahre, sondern eine Modernisierung des Atomprogramms", erzürnte sich ein Aktivist des Göttinger Anti-Atom-Plenums. In den rot-grünen Koalitionsverhandlungen war zwei Tage zuvor die dezentrale Zwischenlagerung von hochradioaktivem Atommüll an den Kraftwerken beschlossen worden. Mit der Genehmigung eines Endlagers, so befürchtete man in Berlin, würde der neuen Regierung sogar noch das gelingen, was ihre Vorgänger nicht erreichten: einen langfristigen Entsorgungsnachweis für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke zu schaffen.

Das Verhältnis zu den Grünen, darin war man sich ziemlich einig, müsse völlig neu überdacht werden. Die Öko-Partei war zwar schon bisher nicht immer auf große Gegenliebe gestoßen, wenn sie sich als parlamentarische Vertretung der Anti-Atom-Bewegung gerierte - hatte doch der lange Marsch durch die Parlamente schon vor langer Zeit zum Abrücken von der zentralen Forderung der Bewegung nach sofortigem Ausstieg aus der Atomtechnologie geführt. Doch nun scheint der ehemalige Konkurrent der außerparlamentarischen Bewegung zum Gegner zu mutieren.

Die grüne Führungsspitze ist sich dieser Problematik durchaus bewußt: Von den namhaften AtomkraftgegnerInnen aus den Reihen der Partei wird in den nächsten Wochen niemand einen Sitz im Bundestag einnehmen. Bis zum Ende der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Konsensgespräche zwischen Regierung und Industrie werden sich die Grünen, so nahm man in Berlin an, ruhig verhalten und die Bewegung auf die laufenden Verhandlungen verweisen.

Die meisten KonferenzteilnehmerInnen ignorierten jedoch den Machtwechsel und empfanden auch eine Neupositionierung als überflüssig. Wird die Anti-Atom-Bewegung einen Fehler vom Frühjahr wiederholen? Damals hätte sie die Möglichkeit gehabt, den sogenannten Castor-Skandal medienwirksam mit spontanen Aktionen zu kommentieren und so für sich zu nutzen. Statt dessen traf man sich zu einer Sonderkonferenz, ohne Impulse nach außen tragen zu können.

Anstatt sich mit dem Regierungswechsel zu beschäftigen, fanden es offenbar auch jetzt wieder die meisten wichtiger, die persönliche Motivation für das Engagement gegen Atomanlagen zu diskutieren. "Warum mach ich Anti-Atom-Arbeit?" lautete das Motto der Konferenz, und so drehten sich die meisten Diskussionen um den eigenen Kern. Spezialisierte Arbeitsgruppen beschäftigten sich etwa mit "UF6, einem gasförmigen Zwischenprodukt bei der Herstellung von Brennelementen, das eine eminent wichtige Funktion hat", wie der Kongreßaufruf informierte. Und wer selbst mit der AG "Militante Strategien in der Anti-AKW-Bewegung" nichts anzufangen wußte, der ging eben klettern mit der AG "Direct Action".

Als es dann jedoch an die Abschlußerklärung ging, raffte man sich noch einmal auf und bekräftigte die Forderung nach "sofortiger Stillegung aller Atomanlagen weltweit", "weil wir nicht bereit sind, das Schachern und Pokern der Grünen um der Macht willen auf Kosten von Gesundheit und Leben vieler Menschen mitzutragen".