Bömbchen wechsel dich

Bei der parlamentarischen Absegnung eines möglichen Nato-Einsatzes in Jugoslawien arbeiten die alte und die neue Regierung Hand in Hand

Vor einem Jahr noch sah Ludger Volmer die weltpolitischen Dinge etwas anders als heute: "Sollte es 1998 zu Koalitionsverhandlungen kommen, dann säßen drei Parteien am Tisch: die SPD, die Grünen und die Realos", hatte der designierte Staatsminister im Auswärtigen Amt im Frühjahr 1997 prophezeit. Nichts verkörperte die Spaltung der Bündnisgrünen in außenpolitischen Fragen mehr als die politische und persönliche Rivalität zwischen dem kommenden Außenminister Joseph Fischer und seinem parteiinternen Kontrahenten Volmer.

Ein Jahr später will der grüne Vorzeigelinke von Differenzen über die künftige weltpolitische Rolle Deutschlands nichts mehr wissen: "Was die Perspektive angeht, werde ich die gleiche Position vertreten wie Fischer", kündigte er bereits vor der Bundestags-Sondersitzung über einen Kosovo-Einsatz der Bundeswehr am vergangenen Freitag an.

Gesagt, getan: Zwar lehnte Volmer, wie auch acht weitere seiner FraktionskollegInnen, im Parlament die Beteiligung deutscher Soldaten an einem Luftschlag gegen Jugoslawien ab: Mit der Entscheidung, 14 Tornado-Kampfjets und 500 Bodenkräfte dem Nato-Oberkommando zu unterstellen, so Volmer, werde ein Präzedenzfall geschaffen, der einer künftigen Selbstmandatierung anderer Staaten in Konfliktfällen "Tür und Tor" öffne. Es sei auch nicht zu begreifen, wie jemand einem Nato-Einsatz zustimmen könne, der Jugoslawien nicht die Teilnahme an der Fußball-Weltmeisterschaft verwehrt habe. Letzteres, so Volmer im Parlament, hätte Milosevic "mehr Sympathien im Volk" gekostet als die Androhung eines Militärschlags.

Im rhetorischen Rückgriff auf die alte Grünen-Forderung, wonach Konfliktschlichtung zunächst mit nichtmilitärischen Mitteln versucht werden müsse, verwies er auf die unzureichende Umsetzung der EU-Sanktionen. So haben die Staaten der EU sich bis heute nicht auf eine einheitliche Regelung des Landeverbots gegen die jugoslawische Fluglinie JAT einigen können. Die entscheidende Frage jedoch, ob die UN-Resolution 1199 eine ausreichende Rechtsgrundlage für einen Angriffskrieg gegen die Truppen des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic biete, mochte Volmer wie bereits eine Woche zuvor nicht eindeutig beantworten.

Hatte der vermeintliche Gegenspieler Fischers schon in seiner Rolle als Begleiter des Kinkel-Nachfolgers in Washington durch flexiblen Umgang mit grünen Parteitagsbeschlüssen geglänzt, bekräftigte Volmer nun seine Forderung nach Neuinterpretation der grünen Bundeswehrbeschlüsse. Ließ Volmer während des Antrittsbesuch bei William Clinton noch wissen, daß die Grünen "erst bei der Auswertung dieser Reise über die Frage der Tragfähigkeit des bestehenden Kosovo-Mandats entscheiden" würden, wurde er gegenüber der Berliner Zeitung letzte Woche schon konkreter. Konkreter als in der Bundestagsdebatte selbst: Die Frage, ob ein Militäreinsatz nach Kapitel sechs oder sieben der UN-Charta stattfinde, so Volmer, "relativiere sich". Sie sei "in der Systematik wichtiger als in der Praxis" - was seine Entscheidung, trotzdem gegen den Einsatz zu stimmen, nur noch unverständlicher macht.

Selbst der scheidende Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP) argumentierte in der Debatte schärfer als Volmer: Der Einsatz sei eindeutig rechtswidrig, erklärte Hirsch in seiner Abschiedsrede. Da sich der Sicherheitsrat eine weitere Entscheidung ausdrücklich vorbehalten habe, bevor die Nato-Flieger jugoslawische Stellungen angreifen dürften, sei auch der Bundestagsbeschluß ohne Bindungskraft. Hirschs Ausführungen zu Ende gedacht, handelt es sich dabei um einen Verfassungsbruch: In der Kosovo-Resolution 1199 hatte der Sicherheitsrat Ende September das Recht auf "weitere Aktionen und zusätzliche Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit in der Region" für sich reklamiert. Ein Militärschlag wäre nur mit ausdrücklichem Verweis auf Kapitel sieben der UN-Charta zulässig - für Volmer lediglich ein Punkt, der "in der Systematik wichtiger als in der Praxis" ist.

Vertauschte Rollen in der letzten Sitzung des alten Bundestags: Während Hirschs Fraktionskollegen betreten schwiegen, als er seine Ablehnung des Militäreinsatzes begründete, spendeten ihm die Abgeordneten der PDS großzügig Beifall. Deren Gruppe hatte einen Gegenantrag zur Beschlußvorlage der Regierung eingebracht, der erwartungsgemäß abgelehnt wurde.

Der PDS-Gruppensprecher Gregor Gysi bezeichnete in seiner Rede den Aktivierungs-Beschluß der Nato ohne entsprechendes UN-Mandat als "Selbstmandatierung". Allein die Androhung von Gewalt widerspreche der UN-Charta. Mit seiner Beschlußfassung, sagte Gysi, verändere auch der Bundestag die Weltordnung - "und zwar die völkerrechtliche Weltordnung". Darüber hinaus sei es "unglaubwürdig", so Gysi, den Militäreinsatz mit Humanität zu begründen. Auch hier werde "viel zu schnell ans Militär gedacht" und zu wenig an zivile Konfliktlösung. Geschlossen stimmten die 29 anwesenden PDS-Parlamentarier gegen den Militäreinsatz.

Drei Jahre nach dem Bosnien-Beschluß des Bundestags sind die demokratischen Sozialisten damit im Parlament die einzigen, die sich grundsätzlich gegen eine deutsche Beteiligung an militärischen Interventionen aussprechen. Obwohl im Juni 1995 - im Gegensatz zu heute - ein Mandat des Sicherheitsrats vorgelegen hatte, das die Angriffe auf serbische Stellungen in Bosnien legitimierte, konnten sich damals weitaus weniger Sozialdemokraten und Grüne zu einer Zustimmung durchringen.

Spielte in der Debatte damals auch die Kontinuität deutscher Außenpolitik auf dem Balkan eine Rolle, wurden die Verbrechen der deutschen Wehrmacht in der Sondersitzung diesmal nicht mehr thematisiert: kein Grund zu militärischer Abstinenz, schließlich handele es sich bei dem möglichen Einsatz im Kosovo um eine "humanitäre Intervention". Lediglich Gerhard Schröder griff das Vorgehen deutscher Militärs in Jugoslawien während des Zweiten Weltkriegs auf - und wendete die Erinnerung gegen die Interventionsgegner: Die Tatsache, daß die Bundesrepublik den Mißbrauch von Gewalt bei anderen Gelegenheiten nicht habe verhindern können, argumentierte der kommende Kanzler, sei ebensowenig eine Rechtfertigung dafür, auf die militärische Drohung zu verzichten wie der Hinweis auf die Verbrechen Hitlers in Jugoslawien. Die Folgerung, man müsse jetzt die Verbrechen Milosevic' zulassen, weil Hitler ebenfalls Verbrechen begangen habe, sei nicht schlüssig.

Der Schulterschluß mit der alten Regierung schon: Mit großer Mehrheit stimmten CDU, CSU, FDP sowie SPD und Grüne dem Mobilisierungsbeschluß zu: Von den 580 Abgeordneten stimmten 500 für die Regierungsvorlage, die Nein-Stimmen kamen von der PDS (29), der SPD (21), den Bündnisgrünen (9) sowie der FDP (1) und der Union (1). Kaum Grund, die Berechtigung des Bundestags in seiner alten Zusammensetzung zu bezweifeln - und damit der Argumentation zu folgen, die sowohl Hirsch als auch einige Grünen-Gegner des Beschlusses zu ihrer Entscheidung gebracht hatte: Sie sprachen dem Bundestag das Recht ab, über die deutsche Beteiligung an einem Kampfeinsatz zu entscheiden, weil er in seiner alten Zusammensetzung nicht mehr dem Wählerwillen entspreche.

Denn Rot-Grün - auf deren Wunsch die Sondersitzung erst zustande kam - hätte die Mehrheit für eine Militärintervention ebenfalls spielend erreicht. Keiner der kommenden Außenpolitik-Macher - weder Schröder, noch Fischer, noch Volmer - ließ sich die Gelegenheit entgehen zu erwähnen, daß es bei dem Beschluß in erster Linie um die Fortsetzung der schwarz-gelben Außenpolitik gehe. Was auch die eilige Hinwendung Volmers zu Fischer erklären dürfte: "Vieles war der Tatsache geschuldet, daß wir in der Opposition waren", erklärte Volmer die neue grüne Einigkeit. "Der interne Streit lag auf einer Ebene, die bei Koalitionsverhandlungen gar nicht erreicht wird."