»FC-Fans kriesche nit«

Zur Dialektik des temporären Fußballzweitligisten 1. FC Köln

Über den 1. FC Köln ist alles schon gesagt worden. Weil das so ist, können FC-Fans, mitleidsvoll befragt, wie sie über den temporär traurigen Zustand ihres Clubs denken, in aller Ruhe und mit etlichen Zitaten gespickt antworten.

"FC-Fans kriesche nit", FC-Fans heulen nicht, sangen bereits im Jahr 1980 die Bläck Föss. Das ist eine wirklich gute Beobachtung und gleichzeitig eine brauchbare Erklärung, warum die Anhänger des Clubs, der in diesem Jahr - neben erstmaligem Abstieg in der Geschichte, einem Saisonstart in die Zweite Liga u.a. mit einem 1:6 gegen Hannover und einem 1:4 gegen St. Pauli - zu allem Überfluß noch irgendwie die Feiern zum 50. Vereinsjubiläum hinter sich bringen muß, zwar mitunter "Berti für Kölle" rufen oder mal den Spielerbus angreifen, ansonsten aber doch sehr ruhig und bedächtig sind.

Das Lied von den Bläck Föss aus dem Jahr 1980 enthält folgende Kernpassage: "Em Stadion do trofen sich jot sibbetausend Mann. / Ich hatt ene jode Platz erwisch, / doch de Zick, die wood m'r lang, / ich wor ming Fahn am schwenke, / die Junge störte dat nit, / 2:1 verlore - FC-Fans kriesche nit." Dazu ist bloß noch ergänzend nachzutragen, daß auch der Umstand, daß das Lied von den Bläck Föss stammt, sehr wichtig ist, denn diese gleichermaßen sympathische wie oft unterschätzte Kombo hat eine gemeinsame Geschichte mit dem FC, die echte FC-Fans sicherlich ganz schrecklich finden.

FC-Fans, wie der Autor dieses Beitrags, erzählen diese Geschichte jedoch gern, wenn sie ihre Liebe zu diesem Club erklären müssen: Am 13. September 1993 veröffentlichte die Frankfurter Rundschau unter der Überschrift "Peinliches vom 1. FC Köln. 'Bläck Föss' statt Fußball vor Gericht" folgende Meldung des Sportinformationsdienstes:

"Bundesligist 1. FC Köln zieht derzeit auf scheinbar allen Gebieten den kürzeren und blamierte sich zu allem Überfluß noch bis auf die Knochen. Nicht nur die drakonischen Sperren des DFB für Mittelfeldspieler Rico Steinmann (sechs Spiele) und Stürmer Toni Polster (acht Spiele) erregten die Gemüter, sondern auch der Versuch der 'Geißböcke', entlastendes Videomaterial vorzuführen. Statt des Filmberichts des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) über die Szene beim Platzverweis für Polster im Leverkusen-Spiel (1:2) enthielt die von Geschäftsführer Wolfgang Schänzler besorgte Kassette Folklorevorführungen der Kölner Mundartgruppe 'Bläck Föss', vom 'Spatz vom Wallrafplatz' und des schwergewichtigen 'King-Size Dick'. Der Sportgerichtsvorsitzende Karl Schuberth (Homburg) fragte nur lakonisch: 'Glauben Sie, daß da noch einmal ein Fußballspiel erscheint?' Kölns Manager Bernd Cullmann verbarg seinen Kopf hinter seinen Händen und stammelte: 'Peinlich, wie peinlich.' Die betreffende Szene wurde dann doch noch vorgeführt, doch half sie Polster nicht weiter." Bei jedem anderen Bundesligaclub hätte die Vorführung geklappt. Und wenn es doch zu einer Panne gekommen wäre, dann wären Pornos zur Ansicht gelangt. Aber die Bläck Föss vor dem DFB-Sportgericht, das war und ist nur beim 1. FC Köln möglich.

Über den FC Köln findet sich noch mehr. Ein Text aus der taz von 1986 beispielsweise. Da wird der Beweis geführt, daß Peter Sloterdijk seine "Kritik der zynischen Vernunft" nur aus Anschauung des 1. FC Köln gewonnen hat: "Dialektik der Vollkommenheit: Im Vollkommenen ist selbst noch ein Mangel", heißt es bei dem Modephilosophen, und er beschreibt eine "Grundfigur dialektische Bewegungsphantasien: ein erster verlorener Gipfel wird wiedergewonnen im Anstieg an einen höheren". Und jener taz-Autor kommentierte: "So sorgt der FC während jeder Saison, in der er 'enttäuscht' (den Unkundigen: verlorener Gipfel der - nicht-realen - Prognose) für einen zweiten (höheren, weil realen) Gipfel, der neue Hoffnung fürs nächste Mal begründet."

Sollte heißen: Der FC startet gewohnheitsmäßig als Uefa-Cup-Aspirant in eine neue Saison, das Ziel wird nicht erreicht, der Verein rettet sich statt dessen im Abstiegskampf und tritt im nächsten Jahr wieder als Uefa-Cup-Aspirant an. Zum damaligen Zeitpunkt, 1986, gab es nur einen Ausreißer: das Double 1978. In den Jahren danach funktionierte die Sloterdijksche "dialektische Bewegungsphilosophie", wonach man den ersten Gipfel verpassen soll, damit man den zweiten anvisiert, den man erst im darauffolgenden Jahr nicht erreicht, weswegen es ja dann nicht mehr der zweite, sondern der erste Gipfel ist, meist recht gut, bis irgendwann der Fehler gemacht wurde, den Nichtabstieg als Saisonziel zu formulieren - prompt verpaßte der FC diesen ersten Gipfel.

Bewußtlos, gelähmt und völlig verunsichert gab Neutrainer Bernd Schuster das neue Ziel "sofortiger Wiederaufstieg" aus - da mußte ja alles schiefgehen. Alles freilich ging auch nicht schief: Der Expreß, tägliches Fachblatt in allen FC-Fragen und durch seine Feindschaft zum ehemaligen Köln-Trainer Peter Neururer als ziemlich fußballkompetent ausgewiesen, rief 1993 - der FC war in höchster Abstiegsnot - seine Leser zu einem Songwettbewerb auf. Es gewann dieses Lied: "Denn mer sin kölsche Junge, / mer blieve, wo mer sin, / mer fahre nit nach Meppen, / da wolle mer net hin!"

Meppen war damals das Synonym für Zweite Liga-Mief. Und der FC brachte immerhin so viel dialektische List oder mutiges Ausharren auf, zu warten, bis der SV Meppen aus der Zweiten Liga abgestiegen war, obwohl das 1993 noch weniger denkbar war als ein FC-Abstieg, bis man selbst dorthin ging. Nun, im Jahr 1998, warten Cottbus und Gütersloh auf den FC, aber eben nicht Meppen.

Es ist eine bestimmte Art der rheinischen Prinzipientreue, elastisch ausgelegt, die der FC lebt, weswegen ihn auch der Autor dieses Textes liebt. Zu den erstaunlichsten Entdeckungen in der Zweitliga-Existenz des Clubs gehört nicht, daß überall FC-Fans sitzen: Das wußte man schon vorher oder ahnte es zumindest. Nein, die erstaunlichste Entdeckung ist, daß im Kölner PapyRossa-Verlag unter dem Titel "Die Geißböcke. Glanz und Elend des 1. FC Köln" die Autoren Max Annas und Elmar Wigand ein Buch herausgegeben haben, das der Poesie dieses schönen und eleganten Fußballclubs, der völlig unverdient in so tristen Gegenden wie Krefeld und dem Südstadion antreten muß, angemessen ist.

Ernsthaft berichtet Willy Lehmann über "Das erste Mal", was sich im Untertitel des entsprechenden Kapitels so liest: "Über die reale Existenz von Fußballgöttern und ihre zeitweilige Gutmütigkeit", mit großer Sorgfalt zeichnet Frank Nägele historisch den Niedergang des FC nach, damit künftige Generationen daraus vielleicht ihre Lehren ziehen können: Die entscheidende Phase, die das gegenwärtige Elend ermöglichte, war die 1987 vom CDU-Ratsherren Dietmar Artzinger-Bolten angetretene Präsidentschaft, innerhalb derer irgendwie die 17 Millionen Mark aus dem Häßler-Transfer verschwanden.

Mit der Andacht, wie sie nur respektvolle Fußballanhänger aufbringen können, porträtiert Elmar Wigand "Elf Spielerlegenden" vom "Klopper Hennes Weisweiler" bis zum "Fußballgott Toni Polster" (aber warum ist Heinz "Flocke" Flohe nicht erwähnt? Und wo ist Herbert Neumann?). Und mit dem historischen Optimismus, der der Sache angemessen ist, findet Ralph Christoph schließlich die treffende Formulierung für dieses traurige Jahr: "Der Abstieg als Chance".

Erstaunlicherweise fehlt in diesem an sich nur zu lobenden Werk ein Kapitel, das sich mit dem Thema "Der 1. FC Köln und die schönen Künste" beschäftigt, weshalb der Autor gezwungen ist, wieder sein Archiv zu öffnen und ein bemerkenswertes Stück herauszugreifen: Zur verkörperten Dialektik des 1. FC Köln gehört auch, daß eines der schönsten Liebeslieder über diesen wahrhaft großen Club verfaßt wurde - allerdings von einer der unangenehmsten und überflüssigsten, der katholischen Jugend entstammenden und mit "Olala, wir backen eine Pizza" den künstlerischen Bogen schon weit überspannt habenden Kombos des rheinischen Sprachraums, den Höhnern. Wie angedeutet: Obwohl es von den Höhnern stammt, ist es schön. Es lautet:

"Unser Hätz schlächt för dr FC Kölle / un dat nit nur wenn hä jewennt. / Schon als Pänz han mer op en / jeschannt, met em jeledde un us met em jefreut. / Dat eß hück noch esu! / Jeschannt wed üvver dr Vorstand, / jeledde met unsrem Räuber Toni, / wenn hä de Bud volljehaue kritt un / freue dun mer uns einmol em Johr, op de FC Sitzung. / Sullt dr FC ens dr Europapokal jewenne, / dann singe mer bestemp: / Dat Hätz vun dr Welt eß dr FC Kölle! / Hoffentlich singe dat nit eetz uns Urenkel ..."

Über den 1. FC Köln ist eben alles schon gesagt worden.

Max Annas / Willi Lehmann / Elmar Wigand (Hg.): Die Geißböcke. Glanz und Elend des 1. FC Köln. PapyRossa Verlag, Köln 1998, 271 Seiten, DM 29,80