Deutschland, erbrühe!

Fünf Jahre "Deutschländer"-TV-Spots.

Anfang der neunziger Jahre galt das öffentliche Interesse den neudeutschen Verhältnissen: Es war die Zeit des großangelegten Volkszorns, Pogrome in Ostdeutschland und abgebrannte Ausländerwohnheime beherrschten die Nachrichten. Das vereinigte Land ließ die Muskeln spielen.

Während in Talkrunden über Hoyerswerda diskutiert wurde, bekam - neben Smarties-, VW- und Slipeinlagen-Spots - ein besonderer Werbefilm intensive Ausstrahlung: "Deutschländerwürstchen".

Das war pikierend. "Nach bester deutscher Art" bissen seit Sommer 1993 fröhliche deutsche Kinderzähne reihenweise Dampfwurstenden zur entsprechenden Marschmusik an und wurden dabei von ebenso fröhlichen Eltern-Darstellern nach Leibeskräften unterstützt. Die Chefetage der Edewechter Fleischfabrik Meica, schien es, hatte besonderes Gespür für den Zusammenhang von Pop und Politik bewiesen. Mit der in der Lebensmittelwerbung gut eingeführten Hamburger Werbeagentur Pahnke hatte der Konzern einen adäquaten Partner für die fernsehgerechte Vermarktung des neuen Produkts gefunden. Eine offensichtlich funktionierende Kooperation: Heute sind die "Deutschländer" das national dominierende Fleischprodukt.

Seit Geburt der "Deutschländer" werden aber auch immer wieder Überlegungen zur Herkunft des Namens angestellt, nicht zuletzt vom akademischen Nachwuchs. Wie auf einer Internet-Seite der Universität Duisburg: "Wo ist der Volltrottel, der den armen Würstchen den Namen gab? Vermutlich seit 1945 tot, aber Traditionen müssen gepflegt werden, das sehe ich ein."

Mitnichten. "Der Name entstand vor sechs Jahren beim Brainstorming in unserer Firma", sagt Meica-Geschäftsführer Jochen Karmann. "Das Ziel war, die gesamtdeutsche Brühwurst zu erfinden." Es habe bis dato nur regionale Wurstsorten in Deutschland gegeben, "Frankfurter, Wiener, Thüringer" - Ergebnis kleinlichen Regionalbewußtseins. Die damaligen Vorkommnisse in Rostock hätten damit nichts zu tun gehabt. "Keinesfalls. Einfluß hatte aber zum Beispiel das Phänomen Volksmusik. Volksmusiksendungen haben die höchsten Einschaltquoten. Obwohl die angeblich keiner anschaut. Genau wie die Bild-Zeitung, die keiner liest, aber von der täglich Millionen Exemplare verkauft werden."

Ob er sich noch an den genauen Text des ersten Spots erinnere? "Der ist ja einfach", sagt Karmann und intoniert: "Ja, das sind Deutschländerwürstchen, Deutschländerwürstchen / Knackig, würzig, zart / Nach bester deutscher Art."

Die "Deutschländer" seien zur "stärksten Wurst" geworden, das Unternehmen Meica habe einen Spitzenplatz in Deutschland, dem "klassischen Wurst- und Würstchenland", eingenommen.

Wie ging's weiter? Dem ersten Spot folgte ein zweiter, der allerdings nur die Erinnerung an die nationale Erfolgswurst ein wenig auffrischen sollte. Inhalt: "Deutschländer" gibt es nun auch im wiederverschließbaren Glas. Ende 1997 aber blies Meica erneut - erst die deutsche Wursttheke, dann die ganze Welt - zum kulturpolitischen Großangriff: In heavy rotation lief und läuft ein weiterer, für seine Zwecke wiederum von Pahnke geradezu genial inszenierter Spot: "Deutschländer" goes to America.

Ein gut erhaltenes deutsches Großelternpaar, Typ privatversicherte junge Alte, steigt in New York aus dem Flieger, der Sohn wartet schon. Er kutschiert die Verwandtschaft durch die Straßen, Senior und Senora sind klar ersichtlich das erste Mal im Big Apple. Großmutter staunt übers Straßenbild: "Sie fahren unsere Autos." Der alte Herr entdeckt die Reklame: "Und sie trinken unser Bier!"

Während also US-amerikanische Gangster BMWs als Fluchtauto benutzen und afroamerikanische Ghetto-Bewohner ihre Sorgen mit Bitburger bekämpfen, gelangen die beiden an ihren Urlaubsort. Wo, ein fröhlicher blonder Junge seiner US-Blondinen-Mutter ein Würstchen vom Teller klaut. "Deuschlander?" radebrecht der Zwerg.

Die Großeltern betreten das Haus, der Sound ist freundlich. "Granma!" rufend fällt der Junge der Oma in den Schoß. Richtig große Augen bekommt die Dame aber, als sie auf dem Tisch das aufgefahrene Abendbrot entdeckt - Sonne durchflutet mild das Zimmer: "Deutschländer und Kartoffelsalat", entfährt es ihr.

Die zugeheiratete Amerikanerin hat gelernt, wie man Gemütlichkeit herstellt. Wir sind draußen bei uns im Ausland. "Ihr seid zu Hause, Mutter." Dem wilden Klima der Straßen wird das Gefühl eigener vier Wände entgegengestellt - Familien-Burg statt chaotischem Internationalismus.

"Deutschländer" kitzeln die Familie am Gaumen, weltweit. Vom generationenübergreifenden Wurstessen im ersten Spot bis zur Besetzung des auswärtigen Territoriums. Man fühlt sich an die Formel "Made in Germany" erinnert. Deutsche Waren sind dermaßen überzeugend, daß sie auch im hochtechnisierten Ausland Akzeptanz finden. Der Kulturtransfer sorgt für Sicherheit: Dem Orientierungsverlust eines alten Ehepaars angesichts eines chaotischen (weil ausländischen) Flughafens folgt die Reterritorialisierung in der Familie, deren weibliche Führungskraft mit der richtigen und einfachen Speise in der Hamburger-Welt für Überschaubarkeit sorgt.

Der Raum ist ausgestattet mit Gardinen, Lichtflecken spielen auf dem Boden, es ist unvorstellbar sauber. Kartoffelsalat und Würstchen werden in Gefäßen aufgetragen, die auch in der deutschen Heimat benutzt werden. Dann der Lausbub, der am Wurstzipfel nagt. Undenkbar, daß auf dem Tisch jemals ein Truthahn dampfen könnte.

Meica - eine Story mit den leckeren Zutaten Innovation, Esprit, Kultur im Zeichen der Wiedervereinigung und eines ob der neuen Größe trunken selbstbewußten Deutschlands. Zu Hause ist, wo's um die Wurst geht. Die Fleischwaren-Spots - Vorzeigemodelle deutscher Pop-Kultur. Vielleicht muß man Pop-Videos auf Viva und MTV eben auch als Werbespots verstehen lernen. Und Wurstwerbung als Pop-Video.

Die Reaktionen seien zufriedenstellend, der Umsatz von Deutschlands Brühwurst Nummer eins habe zugelegt, sagt man bei Pahnke. Die Agentur war für alle drei Spots verantwortlich und ist im Wurstmarketing gut positioniert, arbeitet auch für die Konkurrenz und bewirbt derzeit Rügenwalder ("Die mit der Mühle"). Neue Pläne für die "Deutschländer" sollen zur Zeit nicht existieren. "Da haben wir momentan nix in der Pipeline", sagt ein Pahnke-Mitarbeiter.

Bei soviel Erfolg kann man sich auch ein gewisses Maß an Generosität leisten. Vorbei die Zeiten, als Meica mickrigmiese Schlagzeilen machte. Wie zum Beispiel vor zehn Jahren, als der Konzern eine Betriebsrätin feuerte, weil sie sich angeblich am Firmeneigentum bereichert hatte. Tatvorwurf: Sie habe sich während der Arbeitszeit Würstchen heißgemacht. Dieses Jubiläum durfte im Frühling dieses Jahres gefeiert werden.

Ein Bremer Richter bestätigte den Vorwurf und orientierte sich dabei am Urteil des Frankfurter Arbeitsgerichts. Das wiederum hatte dem Kündigungsansinnen eines Bäckereifachbetriebs stattgegeben. Eine Angestellte wurde entlassen, weil sie sich am Bienenstich gütlich getan haben soll.

Heute stehen die 1908 gegründeten Ammerländer Fleischfabriken, Mutterkonzern von Meica, relativ sauber da. Seit acht Jahren gebe es Tarifverträge für die 400 Beschäftigten, attestiert auch Matthias Brümmer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten, Bezirk Oldenburg. Das Betriebsklima sei zur Zeit wohltemperiert.

Mit ein wenig Verständnis der deutschen Pop-Kultur läßt sich Kasse machen. Immerhin kostet ein Glas um die fünf Mark. Kürzlich hatte Meica gemeinsam mit der Kochwoche ein Preisausschreiben arrangiert: "Wer weiß das beste Rezept für 'Deutschländer und Kartoffelsalat'?"

Einen Zusammenhang zwischen den aktuellen politischen Verhältnissen und der nationalen Namensgebung der gesamtdeutschen Brühwurst verneint Karmann natürlich kategorisch - für 1993 wie für heute. Daß die deutsche Wurst von ihnen dennoch profitiert haben könnte, möchte selbst er nicht ganz in Abrede stellen.