Rache für Pearl Harbour

Roland Emmerichs "Godzilla" im Spannungsfeld von Japan und Amerika unter der Beteiligung von Frankreich und Deutschland.

Es geht alles kaputt. Ein Reptil, das infolge unlängst durchgeführter französischer Atomtests im Muroroa-Atoll zum neuartigen Riesending mutierte, marschiert ebenso eilfertig wie leichtfüßig vom Südpazifik in Richtung New York, um dort, genauer im Madison Square Garden, seine Eier abzulegen, die es - es ist das einzige seiner Art - ganz praktisch und biologisch vernünftig selbst befruchtet hat. Dabei kommt es schon auf dem langen Marsch aufgrund seiner Riesenreptil-Perspektive zu allerlei unvermeidlichen Interessenskonflikten zwischen Mensch und Tier. Das Riesending tritt nämlich all das entzwei, was den Menschen gut und teuer ist. In der Riesenmetropole New York spitzt sich die Lage zu. Beim Spaziergang durch die Straßen rempelt es unsensibel die Fassaden mehrstöckiger Bauten, es zertrampelt Autos, Bürger und Imbißbuden. Das ist kein Zustand.

Also machen sich der griechisch-stämmige Biologe Nick Tatopoulos (Matthew Broderick) und ein französischer Fremdenlegionär namens Roaché (Jean Reno), dessen Auftrag es ist, die Grande Nation vor weltweiter Schande zu bewahren (die Atombombentests, Sie wissen), sich an die Arbeit und bemühen sich um Schadensbegrenzung, während sie dabei von anderen prima im multi-ethnischen Schmelztiegel Assimilierten nach Kräften unterstützt werden. Quasi alle sind dabei, allein, wo sind die Japaner? Die waren nur in der Eingangssequenz als Frachterbesatzung im Bild und wurden mit viel Schnaufen und Gebrüll vom Mutanten filetiert. Nur einer überlebte. Der Augenzeugenbericht des alten Seebären wird im weiteren Verlauf, vermittelt durch ein Videoband, durch den Film gereicht wie eine kalte Schale Reis. Ist das gerecht?

Man muß dazu wissen, daß Godzilla, als es 1954 erstmals durch die japanischen Kinos wütete, ein freundliches prähistorisches, weil seit Jahrtausenden schlafendes Ungetüm darstellte, das durch Atombombentests (amerikanische) in den Wachzustand gerüttelt worden war. Darüber derart erbost, tobte es zornig durch Tokio, fauchte mächtig viel, richtete gewissermaßen ein zweites Hiroshima an und zeigte sich trotz schweren Beschusses durch Luftwaffe und Artillerie absolut unverletzbar. Ein findiger Wissenschaftler machte sich also daran, eine Superbombe zu entwickeln, warf sie Godzilla an den Kopf und nahm sich anschließend selbstlos das ehrenwerte Leben. Die Superbombe sollte nicht in falsche Hände fallen.

Das rührende Drama erwies sich als Welterfolg und ging in Serie. Es ermöglichte dem traumatisierten Japan den verlorenen Krieg zumindest symbolisch via Kintopp doch noch für sich zu entscheiden. Amerika als entfesseltes, radioaktiv betriebenes Riesenreptil, das Nippon aufs Dach steigt, aber mittels allerlei technischem Know-how in die Schranken gewiesen wird - ein Mythos, von dem bis in die neunziger Jahre 22 Versionen gedreht wurden.

Und tatsächlich haben die Japaner im wirklichen Leben die westliche Welt in Sachen Hi-Tech, Unterhaltungs-Schnickschnack und anderer Dinge überholt: japanische Autos, japanische Stereoanlagen, japanische Uhren und japanische Videospiele, Super Mario, Captain Future und Sushi. Schon vor einigen Jahren nahm man sich auch in Hollywood der Sache an, machte zum Beispiel in "Lethal Weapon 2 - Brennpunkt L.A." Witze über Japans Expansionsdrang und zeichnete in "Die Wiege der Sonne" das Bild verbrecherischer japanischer Wirtschaftsmultis, die Amerika mit fernöstlicher Hinterlist hopszunehmen suchen.

Daß Hollywood jetzt mit seiner "Godzilla"-Verfilmung Japan die Bewältigungsstrategie des nationalen Traumas entwendet, sie im nachhinein gewissermaßen der Lächerlichkeit preisgibt, da es das Riesenreptil in seiner Version ungleich stattlicher, eleganter und gefährlicher aussehen läßt als in Nippons tapsig animierten Schießbudenversionen, kann man als subtile Rache sehen. Hier beginnt ein variantenreiches Spiel mit den Symbolen.

1.) Die Amerikaner statten das Monster, das die eigene Nation symbolisieren soll, nach allen Regeln der Tricktechnik aus. Wenn man schon ein Monster sein soll, will man wenigstens einen monstermäßig guten Eindruck machen. 2.) Die Amerikaner lassen den psychologisch wertvollen, japanischen Godzilla-Mythos superzynisch in der Seilaufhängung der Brooklynbridge erst verheddern, dann verenden. 3.) Die Amerikaner lassen die Japaner im Film ganz außen vor. (Daß zu Beginn des Films der Mutant den japanischen Frachter enterte, läßt sich mit der relativen Häufigkeit japanischer Frachter im Südpazifik erklären. Der Südpazifik ist allerdings wegen des Muroroa-Atolls dringend notwendig.) Sie schieben die Schuld den Franzosen in die Schuhe und lassen sich, statt brav an Croissant- und Camembert-Boykotts teilzunehmen, lieber New York platt machen. 4.) Sie behalten sich die Möglichkeit zu Fortsetzungen vor. Die Godzilla-Babys sind die ersten einer neuen Art, sie sind in New York geboren, also sind sie Amerikaner.

Das klingt soweit logisch, wird aber über den Haufen geworfen, wenn man bedenkt, daß der Regisseur Deutscher ist. Zwar hat man Roland Emmerich - wie auch Wolfgang Petersen - wiederholt vorgeworfen, ein besserer Amerikaner sein zu wollen, doch so einfach ist das nicht. Hält man "Independence Day" an "Godzilla", fällt auf, daß nicht der vermeintliche Hurra-Patriotismus das entscheidende Moment ist, sondern im Gegenteil Emmerichs offensichtlicher Spaß daran, amerikanische Nationaldenkmäler, Sehenswürdigkeiten und ähnliches zu zerstören. Denn kaum ist Godzilla in New York einmarschiert, liegt schon das Chrysler Building in Schutt und Asche, und zwar nicht, weil Godzilla dagegenläuft, sondern weil die Armee an dem Riesenreptil vorbeischießt, das sich dekorativ vor dem Gebäude plaziert hat, dann aber schnell den Kopf einzieht. Hinterher nennt man das dann Friendly Fire.

Und so geht es 140 Minuten lang: die New Yorker U-Bahn - kaputt, der Madison Square Garden - zerbombt, der Central Park - verwüstet, die Freiheitsstatue - kommt nicht mal vor. Und man ist nicht traurig darüber. Emmerich versteht es, Spaß an der Verheerung zu vermitteln. Durch die despektierlichen Äußerungen des Fremdenlegionärs Roaché über die amerikanische Kultur (Kaffeequalität, Kaugummis, Nikotinfeindlichkeit, Donuts) stellt sich sogar eine gewisse Sympathie für die Zerstörung vor. Im Grunde ist New York/Amerika es nicht wert, gerettet zu werden. Also gründet Roachés ganzes Engagement sich darauf, die dominante Godzilla-Rasse auszumerzen, bevor sie nach Frankreich übersiedelt und mit dem Baguette wedelt. Und der rührselige, melodramatische, ergreifende, peinliche, kanlldoofe Patriotismus? Wo er auftaucht, schießt er wieder gnadenlos übers Ziel hinaus. Wie in "Independence Day". Der war auch ziemlich lustig. Nach "Godzilla" darf man Emmerich ruhig neu denken. Und übrigens: "Godzilla" wurde von den Japanern lizensiert.

"Godzilla", USA 1998, Regie: Roland Emmerich, Darsteller: Matthew Broderick, Jean Reno, Maria Pitillo, Hank Azaria, Kevin Dunn