»Wir wollen euch hier nicht haben!«

Ein Brandanschlag auf eine Behinderteneinrichtung in Gudow hat möglicherweise einen rechten Hintergrund

"Wir wollen euch hier nicht haben", teilte ein anonymer Anrufer einer Betreuerin der Sommerfreizeit für behinderte Menschen in Gudow mit. Wenige Stunden zuvor, in der Nacht zum 11. August, hatten unbekannte Täter die Fahrzeuge, mit denen die Gruppe der Evangelischen Stiftung Neuerkerode angereist waren, in Brand gesetzt.

Es war der letzte Abend der zehntägigen Freizeit in dem kleinen Ort, elf Kilometer entfernt von Mölln, als gegen 1.30 Uhr eine Nachbarin die Wohngruppenleiterin Elvira-Maria Neuhausen per Telefon alarmierte: "Bei ihnen im Garten brennt es!" Schnell trugen die BetreuerInnen die schwer- bis schwerstbehinderten Frauen und Männer, im Alter zwischen 20 und 45 Jahren, ins Freie, da man beürchtete, daß die Flammen auf das nur fünf Meter entfernte Freizeitheim "St. Gabriel" übergreifen könnte.

"Sie waren starr und verkrampft und wollten nicht aus dem Haus raus, weil sie von ihren Zimmerfenstern aus die Flammen gesehen hatten", berichtet Frau Neuhausen. Die sechs BetreuerInnen hatten einige Mühe, die Behinderten zum Ufer des Campingsees zu bringen. Neuhausen: "Sie saßen im Nachthemd auf der Erde und weinten. Wir holten Decken und versuchten, sie zu beruhigen." Nach zwei Stunden konnten sie in das Freizeitheim zurückgehen.

"Wenn sich der Wind gedreht hätte", so Neuhausen, "wären nicht nur unsere Fahrzeuge, sondern auch das Freizeitheim ausgebrannt. Es ist unbegreiflich, daß es Menschen gibt, die einen Anschlag auf geistig Behinderte verüben und dabei in Kauf nehmen, daß diese dabei hätten ums Leben kommen können." Auch der Direktor der Evangelischen Stiftung bei Braunschweig, Pastor Bernhard Isermeyer, verurteilt den "gemeinen Anschlag gegen Menschen, die sich nicht wehren können". Mittlerweile geht es den Betroffenen den Umständen entsprechend besser, teilte Meike Kochholstein, Leiterin der Heimabteilung der Stiftung, Ende letzter Woche mit. Die sprachlichen

Einschränkungen der Behinderten erschwerten jedoch eine Aufarbeitung der Geschehnisse. "Bisher sind wir von solchen Übergriffen verschont geblieben, was bei der Entwicklung in der Gesundheits- und Sozialpolitik und der Werteveränderung in der Gesellschaft ja eher überrascht", erklärte Kochholstein.

Seit neun Jahren fahren Wohngruppen der Braunschweiger Stiftung, in der 860 behinderte Menschen betreut leben, nach Gudow in das Freizeitheim, welches auch von Jugend- und Altengruppen angemietet wird. "In nächster Zeit werden wir da keine Freizeit mehr machen", betonte Kochholstein: "Dieser unbekannten Gefahr können und wollen wir uns nicht aussetzen."

In der Region ist es in den letzten Jahren schon zu mehreren Übergriffen auf behinderte Menschen gekommen, wie die Kriminalpolizei in Ratzeburg zu berichten weiß. Auf demselben Gelände verwüsteten außerdem Unbekannte das Jugendheim und vor drei Jahren wurde das Flüchtlingsheim in Gudow angezündet. "Wir haben hier keine rechtsextreme Szene", versichert ein Sprecher der Kripo. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. Das Gutachten über den Brandhergang und die Zeugenvernehmungen lägen auch noch nicht vor. Aber, so der Polizeisprecher gegenüber Jungle World, es müsse überprüft werden, "ob die Täter nicht aus der rechten Lübecker Szene kommen könnten".

"Wie viele gewalttätige Übergriffe an Menschen mit Behinderungen und gegen Einrichtungen, in denen behinderte Menschen leben und arbeiten, jährlich geschehen, kann ich nicht sagen", erklärt Horst Illiger vom Kieler Forum gegen Gewalt an behinderten Menschen. Es gebe keine bundesweite Erfassung der Übergriffe. "Der Zugang ist häufig sehr erschwert, da die Betroffenen aufgrund vielfacher negativer Erfahrungen nicht bereit sind, an die Öffentlichkeit zu gehen. Und die Medien berichten - wenn überhaupt - nur über die spektakulärsten Vorfälle." Die subtileren Formen der alltäglichen Diskriminierung würden schon gar nicht mehr wahrgenommen.

Und Udo Sierck, Mitinitiator der Krüppelbewegung und Autor zahlreicher Publikationen zur Sozial- und Behindertenpolitik, analysiert: "Gänzlich ausgeblendet wird die Basis und Struktur der Gewalttätigkeit gegen behinderte Menschen: die Tradition der Aussonderung, das Desaster der Pflege, die Wahrnehmung behinderter Menschen als Kostenfaktoren und als Symbol für Leid und Unglück sowie die Kontinuität des 'Lebensunwerten-Denkens'. Der humangenetische Spruch 'kommendes Leid verhindern' und die Skinhead-Parole 'unnützen Fressern das Maul stopfen' zielen auf ein und dasselbe Ideal: Behinderte sollen verschwinden."